Kohlstatt-Mord: „Es war ein beglückender Moment, als die Bestätigung der Festnahme kam“

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Über das Motiv des Kohlstatt-Mörders gibt es in Ermittlerkreisen über ein halbes Jahr nach der Bluttat immer noch Rätselraten. Immerhin weiß man jetzt, dass der Prozess gegen den 22-Jährigen vermutlich im Frühjahr stattfinden wird. herrsching.online hatte über die Motiv-Forschung im August 2024 mit dem Leitenden Kriminaldirektor Manfred Frei gesprochen. Im Jahresrückblick erinnern wir noch einmal an die grausame Tat und den Ablauf der Ermittlungen.

Keine 12 Stunden nach dem Mord in der Kohlstatt hatte Kriminaldirektor Manfred Frei eine Ermittlungsgruppe in Herrsching installiert, in den Tagen danach waren 250 Beamte bei der Fahndung nach dem Kohlstatt-Mörder beteiligt. Im Interview mit herrsching.online gestattet der Ermittlungschef nun einen Blick auf den riesigen Polizeiapparat, dem es gelang, den 22-jährigen mutmaßlichen Mörder in Frankreich festnehmen zu lassen. Auch abgeklärte Kriminalbeamte, die schon viel erlebten, haben dann Gefühle: „Ein Gefühl der Erleichterung und der Zufriedenheit stellte sich ein. Und Stolz. Stolz auf die Leistung der eigenen Mitarbeiter. Und ein wenig stolz auch auf mich selbst“, bekennt Manfred Frei im Interview. Aber die Arbeit sei noch längst nicht vollendet, sagte Frei im August letzten Jahres. „Wir haben noch zwei Drittel der Arbeit vor uns.“ So liege bis heute – auch nach zahllosen Verhören – das Motiv für die grausame Tat immer noch im Dunkeln.

herrsching.online: Keine 12 Stunden nach dem Mord in Herrsching hatten Sie eine Ermittlungsgruppe installiert. Wie organisiert die Kripo an einem Wochenende ein  solches Gremium?

MANFRED FREI: Hier muss ich vielleicht etwas weiter ausholen. Wir haben einen Kriminaldauerdienst (KDD), der 24/7 besetzt ist und für kriminalpolizeiliche Belange sofort ausrücken kann. Unser KDD wurde unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat in Herrsching verständigt. Aufgrund der geschilderten Sachlage  (Überfall, eine Person getötet, unbekannter Tatverdächtiger flüchtig…Infolage noch sehr vage und unübersichtlich) wurde ich zeitnah in der Nacht vom KDD-Leiter verständigt.

Nach kurzer Bewertung der bis dato spärlichen Informationen habe ich veranlasst, dass Kolleginnen und Kollegen des Fachkommissariats 1 (zuständig unter anderem für Gewalttaten gegen das Leben) und des Fachkommissariats 7 (Erkennungsdienst/Spurensicherung) aus ihrer Freizeit in den Dienst versetzt werden und die sofortige Tatortarbeit übernehmen. Noch in der Nacht wurde ein zusätzliches Team unserer „Digitalen Forensik“ (Kommissariat Cybercrime) nachalarmiert. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sowohl die Rechtsmedizin, als auch der zuständige Staatsanwalt für Kapitaldelikte noch in der Nacht am Tatort waren.

Aufgrund der Informationen, die mir frühmorgens, am Samstag um 05:30 Uhr durch den Leiter K 1 übermittelt wurden, war klar, dass hier in erheblichem Umfang sofortige Ermittlungen zu tätigen sein werden. Daher stand für mich bereits zu dieser Zeit fest, dass wir eine starke Ermittlungsgruppe umgehend einrichten werden, ja einrichten müssen. Zu diesem Zweck habe ich von allen Kommissariaten weitere Kriminalbeamtinnen und -beamte aus ihrer Freizeit nachalarmiert. Als Dienstbeginn wurde 11:00 Uhr bei der Polizeiinspektion Herrsching festgelegt. Somit konnten sich die Kollegen der Nacht noch einige wenige Stunden ausruhen, und die nachalarmierten Kräfte hatten genügend Zeit, sich zunächst zur KPI FFB zu begeben, dort aufzurüsten und dann nach Herrsching zu verlegen.

Konkret sind wir mit  30 Kriminalbeamtinnen und -beamten in die Ermittlungsgruppen-Arbeit eingestiegen. Übrigens: Es sind mehr Kolleginnen und Kollegen gekommen, als von mir angefordert wurden. Die Motivation meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat mich positiv beeindruckt.

herrsching.online: Welche Fachbereiche sind in einer solchen Ermittlungsgruppe vertreten?

FREI: Es sind die Fachbereiche vertreten, die für die Ermittlungen benötigt werden. Im Herrschinger Fall waren dies zunächst

  • kriminalpolizeiliche Ermittlungskräfte unter Führung des Kommissariat 1
  • Spezialisten der Spurensicherung
  • Spezialisten der „Digitalen Forensik“
  • Spezialisten für operative Maßnahmen/Fahndung
  • Kräfte zur Betreuung der Angehörigen des Opfers

herrsching.online: Welche Schritte hatte die Gruppe zu allererst eingeleitet?

  • Vernehmungen/Befragungen von Zeugen, Nachbarschaftsbefragungen
  • akribische Spurensicherungsmaßnahmen am Tatort (…die gingen letztlich über mehrere Wochen…)
  • kriminalpolizeiliche Betreuung der Obduktion des Opfers
  • Absuche des Grundstücks und erste Absuchen des Umfeldes nach verfahrensrelevanten Gegenständen unter Hinzuziehung von Diensthunden
  • erste Absuche möglicher Fluchtwege des Täters unter Hinzuziehung von Diensthunden
  • Datensicherung und Auswertung der Aufzeichnungen der vorhandenen Überwachungskameras
  • konkrete sofortige Ermittlungen aufgrund der Erkenntnisse „Rucksack“ (aufgefundene tatrelevante Gegenstände)

Es gilt grundsätzlich, die anfangs sehr dürftige Informationslage sehr schnell und sehr gründlich zu verbessern Was ist konkret geschehen? Tatablauf? Tatmittel? Zeugen? Hinweise? Täterbeschreibung? Das Ziel ist es, schnellstmöglich weitere Ermittlungsansätze zu gewinnen, die unter anderem zu einer Identifizierung eines Tatverdächtigen führen können. 

herrsching.online: Nun hat auch „Kommissar Zufall“ etwas mitgeholfen, weil Bürger den roten Rucksack gefunden und abgeliefert haben. Ist Glück ist bei solchen Großeinsätzen unverzichtbar?

Auf diesem Foto einer Überwachungskamera sieht man den möglichen Täter mit seinem roten Rucksack

FREI: Nun, etwas Glück ist bei allen Ermittlungen durchaus kein Nachteil. Und ja, der Fund des Rucksackes hat sich als sehr wichtige Spur herausgestellt. Er hat die weiteren Ermittlungen sehr positiv beeinflusst. Der Inhalt des Rucksackes hat uns vielseitige weitere Ermittlungsansätze gebracht, die es uns unter anderem ermöglichten, sehr schnell an Bilder des Tatverdächtigen zu kommen. Dadurch konnten wir diesen – nach deren Veröffentlichung in der Presse – aufgrund eines Zeugenhinweises sehr schnell identifizieren.

herrsching.online: „Wir leben in einem elektronischen Zeitalter“, haben Sie bei der Pressekonferenz nach der Festnahme bei Paris gesagt. Welche technischen „Wundermittel“ haben Ihnen bei der Fahndung besonders geholfen?

FREI: Es gibt keine technischen Wundermittel, zumindest keine, die mir bekannt wären. Aber Tatsache ist, dass wir in einer digitalisierten Welt leben und mittlerweile – ob wir wollen oder nicht – auch vielfach digitale Spuren hinterlassen. Die Kunst ist das Erkennen, welche Spuren vorhanden sein könnten. Danach stellt sich die Frage, ob wir rechtlich auf diese Spuren zugreifen dürfen und letztlich, ob diese Spuren überhaupt noch verfügbar sind (Thema Vorratsdatenspeicherung). Und dann muss es noch gelingen, bestimmte qualifizierbare digitale Spuren eindeutig dem Tatverdächtigen zuzuordnen. Eine klassische digitale Spurenquelle ist natürlich ein Mobiltelefon, wenn Sie mit Ihrer Frage darauf abzielen.

herrsching.online: Die Suche nach einem Motiv, so hat es der kundige Krimi-Gucker gelernt, sei ein zentraler Ermittlungsansatz. Nun gibt es bei dem Serben nach wie vor kein schlüssiges Motiv. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Lösung dieses mysteriösen Falles?

FREI: Richtig. Bislang hat sich der Tatverdächtige bei uns noch nicht zur Tat und/oder dem Tatmotiv geäußert. Zudem war die Tatbegehung äußerst ungewöhnlich. Das bedeutet, dass sich der Sinn der Tat (was wollte der Täter?) (noch) nicht wirklich erschließt.  Daher arbeiten wir auch aktuell noch mit verschiedenen Arbeitsthesen und gehen bei den Ermittlungen sehr gründlich in die Tiefe. Der abgedroschene Satz „Wir ermitteln in alle Richtungen“ hat hier durchaus seine Berechtigung. Allerdings bin ich mir sicher, dass es uns auch ohne die Mitwirkung des Tatverdächtigen gelingen wird, das tatsächliche Motiv valide, nachvollziehbar und gerichtsverwertbar herauszuarbeiten.

Kripo-Chef Frei in der Pressekonferenz einen Tag nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters. Rechts von ihm Michael Graf vom Polizeipräsidium Oberbayern Nord und der Herrschinger Polizeichef Winfried Naßl. Foto: Gerd Kloos

herrsching.online: Wie zufrieden sind Sie mit der Mithilfe und Anteilnahme der Bevölkerung?

FREI: Hier will ich mich ausdrücklich für die Mithilfe bei der Bevölkerung bedanken. Unsere Ermittlungen wurden allseits positiv unterstützt. Meine Kolleginnen und Kollegen hatten nahezu nirgends auch nur ansatzweise Probleme, wenn sie diverse Ansinnen hatten. Die große Anteilnahme der Herrschinger Bevölkerung, ihres Bürgermeisters und der umliegenden Ammerseegemeinden war auch für uns zu jeder Zeit greif- und spürbar. Ebenso haben wir das Vertrauen gespürt, das in unsere Arbeit gesetzt wurde.

herrsching.online: Welche Gedanken und Gefühle beherrschen einen erfahrenen Kripo-Beamten, wenn der mutmaßliche Täter gefasst wird? 

FREI: Ich wusste bereits am Tag vor der Festnahme, dass sich unser Tatverdächtiger vermutlich in Frankreich aufhalten soll. Am Festnahmetag erfuhr ich gegen kurz nach 8 Uhr, dass die französischen Kollegen offensichtlich seinen konkreten Aufenthaltsort (Haus/Wohnung) lokalisiert hatten. Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass dessen Festnahme nur noch eine Frage von Stunden sein würde.

Ich war folglich auf die bevorstehende Festnahme vorbereitet. Dennoch war es ein beglückender Moment, als die Bestätigung der Festnahme kam. Es stellte sich – zumindest für einen kurzen Augenblick – ein Gefühl der Erleichterung und der Zufriedenheit ein. Und Stolz. Stolz auf die Leistung der eigenen Mitarbeiter, die die Tage zuvor jeder in seinem Bereich Bestleistung erbracht und die für einige Tage den normalerweise zur Erholung benötigten Schlaf auf nur wenige Stunden reduziert hatten. Und ein wenig stolz auch auf mich selbst, zumal auch ich am Erfolg beteiligt war.

herrsching.online: Wieviele Beamte waren bei der Aufklärung des Falles involviert?

FREI: Das kann ich Ihnen tatsächlich nicht konkret beantworten. Auch wenn der Fall von meiner Dienststelle bearbeitet wird und wir bei den Ermittlungen neben der Staatsanwaltschaft München II die zentrale Rolle spielen, so ist der Erfolg im Grunde der aus meiner Sicht bestens organisierten bayerischen Polizei zuzuschreiben. Neben meinem Kernteam (rund 30 Beamte) waren für und in unsere Ermittlungen eingebunden:

  • benachbarte Dienststellen des eigenen Präsidiums (personelle Unterstützung durch Spezialisten)
  • Kräfte der Bereitschaftspolizei (Tauchergruppe, ein Ausbildungsseminar (Hundertschaft) für Walddurchsuchung, Hubschrauberstaffel)
  • Diensthundeführer mit Flächensuchhund und Personensuchhunden
  • Polizeipräsidium München (Schichtzug für Absuchen, Super-Recogniser, „Profiler“ (Operative Fallanalyse))
  • Bayerisches Landeskriminalamt (Berater, Biometrische Lichtbildrecherche, diverse Untersuchungsstellen/Labore, diverse Gutachter, Zielfahndung mit internationalem Netzwerk…)

Daneben waren eingebunden:

  • Bundespolizei (Fahndungsraum S-Bahnen + Zugverkehr)
  • Bundeskriminalamt (Koordinierung internationale Fahndung)
  • Europol

Müsste ich Ihnen nun eine Zahl nennen, so würde ich ohne zu übertreiben auf etwa 250 Beamte kommen, die in irgendeiner Form beteiligt waren.

herrsching.online: Nun ist  die Hauptarbeit erledigt, wie wichtig ist aber die wahrscheinlich mühsame, kleinteilige Anschlussarbeit? Kommen von der Staatsanwaltschaft noch viele Fragen, die Ihnen Arbeit machen?

FREI: Falsch. Die Hauptarbeit ist noch lange nicht erledigt. Ich denke, wir haben noch gut 2 Drittel der eigentlichen Arbeit vor uns. Allerdings ist der absolute öffentliche Druck mit der Festnahme des Tatverdächtigen so nicht mehr vorhanden und das Sicherheitsgefühl in der Region steigt wieder. Es gilt nun in höchster Qualität alle Ermittlungsspuren abzuarbeiten. Mit der von Ihnen angesprochenen Staatsanwaltschaft arbeiten wir sehr eng und vertrauensvoll zusammen. Und selbstverständlich werden wir auch alle Aufträge der Staatsanwaltschaft akribisch abarbeiten. Dies immer in dem Ansinnen, das später mit dem Fall betraute Gericht in die Lage zu versetzen, die begangene Tat gerecht, objektiv und neutral bewerten zu können, um letztlich ein gerechtes Urteil zu fällen.

herrsching.online: Herr Frei, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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