Ganz easy: Gysi

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Ach, wären doch alle Polittalks im Fernsehen so unterhaltsam: Gregor Gysi, Altstar der Linken und Pointen-Produzent der Extraklasse, gastierte am Montagabend im evangelischen Gemeindehaus in Herrsching. Religion trifft politischen Rigorismus, würde man vermuten. Weit gefehlt, Gysi, mit seinen 76 Jahren immer noch schlagfertig wie die Rechte von Tyson Fury, gab in der Diskussion mit dem Schüler-Sprecher Noah Flämig den Elder Statesman – pointenreich, Fakten-sicher und milde wie ein alter Rotwein.

„Man muss Sie, glaub ich, nicht mehr vorstellen“, sagte Gesprächsleiter Hans-Hermann Weinen im randvollen Gemeindeaal. „Nein, ich kenne mich“, meinte Gysi trocken und machte klar, dass er keinen Moderator, sondern höchstens einen Stichwortgeber braucht. Weinen kam gleich auf die Plagen der Jetztzeit zu sprechen, und Gsyi nahm den Steilpass gerne auf. Er rechnete mit der Corona-Politik der (ehemaligen) Regierung ab: „10 Millionen Menschen haben sich nicht impfen lassen, und sie kamen in den Medien mit ihren Motiven nicht zu Wort“, meinte er, im Sound verdächtig nahe an seiner ehemaligen Parteigenossin. „Das hat die AfD stark gemacht.“ Gysi gehörte nach eigener Aussage nicht zu den Verweigerern: „Viermal geimpft und zweimal genesen“, beteuerte er.

Gregor Gysi, Moderator Hans-Hermann Weinen und Noah Flämig, Schülersprecher des Christoph-Probst-Gymnasiums Gilching. Foto: Gerd Kloos

Der Wassereimer im Schulflur

Auch die Bildungspolitik in Deutschland bekam ein miserables Zeugnis verpasst (so in Richtung Setzen 6). „Nur eine Regierung wäre mit der Herausforderung in der Bildungspolitik nicht überfordert“, schob Gysi nach, „eine Regierung unter meiner Leitung.“ Lacher im Publikum, Punkt und Satz Gysi. Das im Grundgesetz verankerte „Kooperationsverbot“ des Bundes mit den Ländern müsse man einfach in ein Kooperations-Gebot umwandeln, meinte der Jurist, „Wenn wir unsere Jugend nicht besser bilden und ausbilden, dann haben wir noch einen Standortnachteil mehr in Deutschland.“ Der Schülersprecher des Christoph-Probst-Gymnasiums in Gilching, Flämig, schilderte die mitunter katastrophale Situation an den Schulen ganz konkret – mit dem berühmten Eimer im Flur, der das Regenwasser aus dem undichten Dach auffängt.

„Warum klebt ihr euch nicht vor dem Verkehrsministerium fest?“

Und so hangelten sich die drei im Panel zu einer weiteren Katastrophe: Dem bevorstehenden Klimakollaps. „Ich mit meinen 76 Jahren halte den Klimawandel bis zu meinem Tode noch aus“, meinte Gysi. Schüler Flämig aber, der es noch ein bisschen länger auf dieser Welt aushalten muss, setzte zu einem leidenschaftlichen Appell für mehr Klimaschutz an. Gysi streute ein, dass er als Anwalt Klimakleber vor Gericht verteidigt habe. Den Protest habe er verstanden, die Methode nicht: „Man muss seinen Protest so setzen, dass ihn die Gesellschaft akzeptiert“, meinte er, „warum, hab ich die Klimakleber gefragt, klebt ihr euch nicht vor dem Verkehrsministerium fest, dann müssten die Beamten ein bisschen länger arbeiten.“ Wieder Lacher im Publikum, fänden wohl viele akzeptabel. Flämig erregte sich über den Gouverneur von Florida, dem nach den Stürmen nichts anderes einfiel als der törrichte Satz: „Stürme sind nichts Neues unter der Sonne.“ Wir brauchen, meinte Flämig mit der jugendlichen Brise Revolution, neues Führungspersonal und ein politisches System, das krisenfest ist. Beifall im Saale.

Weinen wollte von Gysi wissen, was er der Jugend in dieser prekären klimatischen Lage rate. „Das muss die Jugend selbst in die Hand nehmen“, forderte Gysi, notfalls mit einer neuen Partei.“ Aber nicht mit einer so blöden, setzte er hinzu (er meinte die AfD, nicht das BSW). Flämig stimmte zu und forderte mehr Engagement von der Jugend: „Noch nie war die Gesellschaft so politisiert, aber man engagiert sich nicht mehr in den Institutionen, sogar die Vereine bluten aus“, meinte er, leicht verzweifelt.

Für die Spitzenbeamten 3000 Euro Inflationsausgleich, für Rentner 300 Euro

Keine Talkshow ohne routinierte Verzweiflung über die politische Kaste: „Alle im öffentlichen Dienst haben 3000 Euro Inflationsausgleich bekommen, sogar der Bundeskanzler“, schimpfte Gysi, „die Rentner mussten mit 300 Euro auskommen.“ Gysi kam zum Kernthema der Linken, der Sozialpolitik. „37 neue Milliardäre in den letzten Jahren“, beklagte er. Und Flämig nahm den Ball dankbar auf und forderte, dass die Hälfte eines großen Erbes vom Staat abgegriffen werden müsste. Gysi untermauerte die wunderbare Milliardärsvermehrung mit einer Beispielsrechnung: Wenn ein Erbe das Geld auf die Bank legt, bezahlt er 25 Prozent Kapitalertragssteuer, wenn einer arbeitet und gut verdient, muss er sein Einkommen mit durchschnittlich 42 Prozent versteuern. Bei Kohl habe der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent gelegen, „und Kohl war des Linksextremismus unverdächtig“. Schröder habe den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent gesenkt. Und die Milliardärssteuer, die viele Länder einführen wollten, sei ausgerechnet an – Deutschland gescheitert. Klar, da habe die FDP Einspruch erhoben, schränkte Gysi ein, „aber da hätte Scholz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen müssen“.

„Von denen lächelt keiner“

Gsyi erzählte ohne ideologische Erregung von einem Vortrag, den er vor vielen Reichen gehalten habe. Als er erwähnte, dass nicht sie, die reichen Zuhörer, für die soziale Ungerechtigkeit im Lande bezahlen, sondern ihre Enkel, da sei denen ganz anders geworden. Überhaupt, Reichtum, welche Bürde: „Von denen lächelt keiner“, stellte Gysi fest. Er befand sich da ganz auf der Linie einer Wiesn-Bedienung, die im „Spiegel“ feststellte: „Die Reichen sind am geizisten und haben am wenigsten Spaß.“

Und zum Schluss, man diskutierte schließlich in einem evangelischen Gemeindehaus, wollte Weinen frei nach Faust, wissen, wie er’s mit der Religion halte. „Aber ich will Sie nicht missionieren“, schob Weinen nach. Gysi machte deutlich, dass ein solcher Versuch in einem Alter von 76 Jahren auch zu spät komme. Aber er meißelte einen Satz in den Raum, der allen Christinnen und Christen im Saale gefiel: „Hätten wir die Religion nicht, dann hätten wir auch keine allgemein verbindliche Moral.“

Weil aber Gysi auch Easy (listening) ist, sollte niemand mit schweren Gedanken ins Bett geschickt werden. Gysi ist schließlich auch ein Versprechen für vergnügliche Momente. Kostprobe: „Komm ich mit dem Norbert Blüm in eine Kneipe und sag‘ dem Barkeeper: Zwei Kurze. Sagt der Barkeeper: Das seh ich, aber was wollt Ihr trinken?“ Gysi ist 1,64 Meter groß.

Musikalisch begleitet wurde der Abend von der Kirchenmusikerin Christa Edelhoff-Weyde am Klavier und der Leiterin der Kantorei, Birgit Henke, an der Posaune und an der Tuba. Foto: Gerd Kloos

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