Spezialist für genossenschaftliches Bauen: Christian Stupka referiert in Herrsching über bezahlbares Wohnen

Wie Mieter ihre eigenen Vermieter werden

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In Wörthsee lebt in jedem elften Haushalt nur noch eine Person – oft in einem viel zu großen Haus. Viele dieser Bewohnerinnen würden gerne in eine kleinere Einheit wechseln. Wie könnte man einen Wohnungstausch zur Erleichterung alter Menschen und zur Freude junger Familien organisieren? Christian Stupka, 69, Genossenschaftsspezialist in München, hat da ein paar feine Ideen. Die trägt er am Donnerstag, 27. April um 19 Uhr im evangelischen Gemeindehaus in Herrsching vor. Veranstalter sind die FDP, die BGH und die Grünen. Stupka ist Mitbegründer der WOGENO 1993, die schon über 1000 Wohnungen errichtet oder erworben hat. Außerdem arbeitet er als  Vorstand der GIMA München. Dieser Verband hat über 30 Wohnungsbaugenossenschaften mit 40.000 Wohnungen in seinen Reihen.

herrsching.online: Hilft uns genossenschaftliches Bauen aus der aktuell dramatischen Wohnungsnot?

Stupka: Zuerst einmal ist es eine Frage, wie Menschen, die nicht üppig geerbt haben, bezahlbaren Wohnraum finden. Es geht also darum, wie Kommunen mit anderen Akteuren dauerhaft preisgünstigen Wohnraum schaffen können. Und genossenschaftliches Wohnen ist eine Alternative, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

herrsching.online: Die Krise am Wohnungsmarkt, die sich jetzt auch zu einer Krise im Baugewerbe auswächst, verlangt doch auch von der Politik mehr steuernde Eingriffe?

Stupka: Dreh- und Angelpunkt sind die Grundstückspreise. Und bei den derzeitigen Grundstückspreisen ist bezahlbarer Mietwohnungsbau genauso wie erschwingliches Wohneigentum nicht möglich. Also muss ich die Bodenpreise deckeln. Nun kann eine Kommune in Bodenpreise steuernd eingreifen. Dafür gibt es 3 Möglichkeiten:

• Erstens:  Die Kommune kann Grundstücke mit der Verpflichtung an Bauherren abgeben, die sich verpflichten, die Mieten zu begrenzen, Wohnungen nicht in Eigentumswohnungen umwandeln und  Wohnungen an einen berechtigten Personenkreis vergeben. Das Grundstück, das die Gemeinde dann verkauft zu diesen Bedingungen, wird deutlich unter dem Marktpreis abgegeben. Im Gegenzug bekommt die Gemeinde dann den dringend benötigten Mietwohnungsraum. Dieses Vorgehen verstößt übrigens nicht gegen Artikel 75 der Bayerischen Gemeindeordnung.

• Zweitens: Die Gemeinde baut im Rahmen des kommunalen Wohnungsbauprogramms selbst. Der wird durch die Bayerische Staatsregierung stark gefördert. Die Kommune kann entweder selbst bauen oder eine eigene Gesellschaft gründen, die für sie Wohnungen baut.

• Drittens: Die Kommune schafft Baurecht auf privatem Grund und verbindet dies mit Verpflichtungen zum Bau dauerhaft bezahlbarer Wohnungen und der Beteiligung an Infrastrukturmaßnahmen. In München und anderswo wird diese sozialgerechte Bodennutzung seit vielen Jahren praktiziert.

herrsching.online:  Bauherren sind dann häufig Genossenschaften?

Stupka: Ja. Interessierte Bürgerinnen und Bürger  können  entweder speziell für ein Bauvorhaben eine Genossenschaft gründen, oder sie schließen sich einer bestehenden Genossenschaft an. Diese Genossenschaften können dann auch einen Wohnungsmix schaffen: Zum Beispiel sehr preisgünstige Sozialwohnungen für die unteren Einkommensgruppen und Wohnungen für die Mittelschicht.

herrsching.online: Die Wohnungsnot ist wohl auch eine Folge der demografischen Entwicklung?

Stupka: Im ganzen Münchner Umland wohnen oft ältere Menschen allein auf großen Flächen in ihren Einfamilienhäusern. Für einige dieser Menschen ist es hoch attraktiv, wenn sie in eine nachbarschaftliche Gemeinschaft wechseln – zum Beispiel in ein Mehr-Generationen-Haus. Für solche Modelle sind Genossenschaften prädestiniert. Das ist die wahre Stärke von genossenschaftlichem Eigentum. Die älteren Menschen leben dann unter einem Dach mit jungen Familien, die sich Wohneigentum nicht leisten können. Solche jungen Familien kann man dann in der Gemeinde halten, oder man holt sie mit diesem Wohnangebot zurück. Solche Mehr-Generationen-Wohnprojekte sind genau zugeschnitten auf die Bedürfnisse der unterschiedlich alten Bewohner: Sie sind barrierefrei und haben oft Gemeinschaftsräumlichkeiten. Denkbar ist auch, dass der Kommune Belegrechte für einen Teil der Wohnungen eingeräumt wird. Für die Bewohner gibt es ein lebenslanges Wohnrecht, aber das Eigentum bleibt bei der Genossenschaft. 

herrsching.online: Wie funktioniert denn eine Genossenschaft?

Stupka: Eine Genossenschaft kann schon von 3 Personen gegründet werden. Die Genossen sind Vermieter und Mieter zugleich. Das Haus gehört der Genossenschaft, den Nutzen, nämlich das Wohnen, haben die Genossenschaftsmitgliedern.

herrsching.online: Alle Mieter sind also auch Genossen und damit Anteilseigner am Haus?

Stupka: Genau. Die Genossenschaft wirtschaftet für ihre Mitglieder. Das nennt man Eigenwirtschafts- oder Identitätsprinzip. Das nötige Kapital, um zu bauen, wird von allen Genossenschaftsmitgliedern aufgebracht. Eine Genossenschaft kann aber auch weitere Mitglieder, die investieren wollen, aufnehmen. Weil sie selbst nicht in dem Haus wohnen, bekommen sie eine Dividende von der Genossenschaft.

herrsching.online: Nun gibt es Kommunen, die kommunalen und sozialen Wohnungsbau auflegen, und es gibt Gemeinden, die das nicht machen. Ist das auch eine ideologische Frage in den Gemeinden?

Stupka: Die Frage stellt sich andersherum: Viele Kommunen fragen sich, wo sie eigentlich ihre Polizisten, Krankenschwestern, junge Familien unterbringen können. Und wo können Beschäftigte der ortsansäßigen Firmen wohnen? Viele Gemeinden sind da völlig blank. Inzwischen ist es eine  zentrale Frage der Daseinvorsorge in Kommunen, ob sie diese Wohnungsprobleme lösen können.

herrsching.online: Wäre Erbbaurecht eine Lösung für dieses komplizierte Problem?

Stupka: In vielerlei Hinsicht eine ganz spannende Frage. Wenn eine Gemeinde Grund für Wohneigentum verkauft, ist er für den Sektor Bezahlbares Wohnung auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Deshalb vergeben viele Kommunen  Grundstücke  im Erbbauchtrecht. Die Genossenschaft hat für 99 Jahre ein Nutzungsrecht und entrichtet dafür einen Erbbauzins an die Gemeinde. Die Kommune hat dadurch laufende Einnahmen und kann im Gegenzug die Genossenschaft auf die Ziele der Gemeinde verpflichten. Die Gemeinde kann zum Beispiel sagen: Du, Genossenschaft, darfst nur zu festgelegten Mieten vermieten, und du musst einen bestimmten Prozentsatz der Wohnungen an kommunale Beschäftigte vergeben.

herrsching.online: Nur ein Modell für öffentliche Grundstückseigentümer?

Stupka: Das Modell ist auch für private Grundstücksbesitzer interessant. Der Bauer verkauft seinen Acker nicht, sondern vergibt ihn im Erbbaurecht, die Gemeinde schafft das Baurecht und kann dann auch bei der Belegung der Wohnungen mitbestimmen. Das ist ein prima Dreiecksgeschäft. In Wörthsee  ist ein Projekt mit etwa 60 Wohnungen auf dem Weg,  da ringt man gerade noch mit den hohen Baukosten.

herrsching.online: Auch anerkannte Geflüchtete drücken ja auf den Wohnungsmarkt…

Stupka: Die Gemeinde kann bei einem Projekt in Erbbaurecht zum Beispiel  10 Prozent der Wohnungen an Geflüchtete vergeben, die einen Wohnberechtigungsschein haben.

herrsching.online: Ein großes, schwierig zu hebendes Potenzial an Wohnraum sind auch Einpersonenhaushalte, in denen viele ältere Mitbürger wohnen, denen ihre Wohnung eigentlich zu groß ist. Wie kann man denen und gleichzeitig auch dem Wohnsmarkt helfen?

Stupka: Ich habe kürzlich mit der Bürgermeisterin von Wörthsee, Christel Muggenthal, gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass es in Wörthsee etwa 2700 Haushalte gibt, überwiegend Einfamileinhäuser. In 300 dieser Haushalte wohnt nur noch eine Person. Viele dieser Bewohnerinnen oder Bewohner würden liebend gerne in eine kleinere Einheit wechseln. Damit würde das Haus für Bekannte, Verwandte oder andere Familien frei werden, wenn es alternative Projekte wie zum Beispiel sogenannte Mehr-Generationen-Wohnanlagen geben würde.  

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