Pfarrer Ulrich Haberl vor der Erlöserkirche. Foto: Gerd Kloos

Kirche muss in den nächsten Jahren Gemeindehäuser aufgeben

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Die Welle der Kirchenaustritte wird auch in der evangelischen DreiSeengemeinde tiefe Spuren hinterlassen. Pfarrer Ulrich Haberl deutet im Interview mit herrsching.online an, dass sich die Gemeinde in den nächsten Jahren auf Herrsching konzentrieren werde. Das bedeutet: Seefeld und Wörthsee werden aufgegeben. Haberl betont in dem Gespräch aber auch, dass er die Welle der Austritte nicht nur negativ sieht.

• Die Kirche tritt in Zukunft bescheidener auf

• Es gibt mehr finanziellen Spielraum für besondere Anliegen und weniger für den Unterhalt von Häusern

• Die Kirche muss lernen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die nicht traditionell kirchlich geprägt sind

• Hilfe für die Ukraine ja, aber einer gewissen Traurigkeit

herrsching.online: Die katholische Kirche verlor in den vergangenen Jahren viele Mitglieder. Jetzt kam die Meldung, dass die evangelische Kirche im letzten Jahr 380 000 Mitglieder verloren hat. Gibt es dafür eine plausible Erklärung?

Haberl: In einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Individuums immer wichtiger wird, leiden eben die Großinstitutionen.  Ich finde aber diesen Trend, dass sich Kirchenmitgliedschaft verändert, nicht nur schlecht. Der klassische Austrittsmoment war früher der Moment, in dem die Leute ihren ersten Lohnzettel bekamen. Deshalb ist es krass, dass sich soviele Menschen entscheiden, in der Kirche zu bleiben, obwohl man mit sehr geringem Aufwand austreten könnte. Und die Kirchensteuer ist ja kein kleiner Beitrag. Ich bin also jemand, der nicht nur jammert. Und schließlich haben wir die Entwicklung ein Stück weit mit verursacht. Aber natürlich ist es für eine Institution wie die Kirchen schwer, die Konsequenzen aus dieser Entwicklung zu wuppen. Ich bin ja auch betroffen, weil ich mein Gehalt von der Institution bekomme.

herrsching.online: Jeder Kirchenaustritt ist ja auch ein Stück Machtverlust der Institution. Das muss doch schmerzen, schließlich hat die Kirche jahrhundertelang Macht genossen und ausgeübt.

Haberl: Für die Institution ist es natürlich eine riesige Krise. Die Kirchen versuchen ja mit aller Schwerfälligkeit, darauf zu reagieren. Auch mit einer Verschlankung der Strukturen. Wir müssen uns das neue Gewand, das künftig zu uns passt, zurechtschneidern. Zum Beispiel bei den Immobilien. wir brauchen künftig auch mehr Spielraum für besondere Anliegen und weniger für den Unterhalt von Häusern. ..

herrsching.online… heißt das, Sie müssen sich von kirchlichen Räumen trennen?

Haberl: Das Ziel, das der Kirchenvorstand mitträgt, heißt: In den nächsten Jahren konzentrieren wir uns auf einen Immobilienstandort. Und das wird Herrsching sein. Wir werden also mit einer Übergangsphase die beiden anderen Gemeindehäuser in Seefeld und Wörthsee aufgeben. Aber das ist eine Frage von Jahren. Dazu werden wir einen Rückgang von kirchlich Beschäftigten erleben, weil nicht mehr soviele Menschen kirchliche Berufe ergreifen werden, und weil die Kirchensteuer weniger wird.

herrsching.online: Sind die Austritte in Herrsching ähnlich hoch wie in anderen Gemeinden?

Haberl: Wir sind in den letzten 20 Jahren von etwa 5 300 auf 4 100 Mitglieder zurückgegangen, haben also rund ein Drittel verloren.  Und in den letzten Jahren gab’s Ausschläge nach oben.

herrsching.online: Die evangelische Kirche in Herrsching ist ja in der Öffentlichkeit sehr präsent: Die Sommerkirchen an idyllischen Plätzen, die vielen kulturellen Veranstaltungen, die Medienauftritte, neue Gottesdienstformen. Hilft all das nicht, den Trend umzukehren?

Haberl: Ich bin skeptisch, dass wir den Trend drehen können. Diese historischen Prozesse kann man nicht umkehren. Und wiederhole noch einmal: Die sind ja auch nicht nur schlecht. Sie haben vorhin von Machtverlust gesprochen. Das ist nicht nur schlecht für unsere Kirche. Das bietet auch die Chance für die Kirche, in einer neuen, glaubwürdigeren Form aufzutreten. Etwas schlanker, und bescheidener. Wir bringen uns natürlich trotzdem ein in Diskussionen und Diskurse. Und wir müssen lernen, eine Sprache zu finden, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die nicht traditionell kirchlich geprägt sind.

herrsching.online: War Ihre Faschingspredigt so ein Versuch, neue Sprachformen zu finden? Immerhin war die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt.

Haberl: Es kam tatsächlich viel Resonanz vom Publikum. Aber die Leute, die zur Faschingspredigt kamen, sind nicht die Leute, die potenziell aus der Kirche austreten. Vielleicht sagen die Leute: Das ist schon im positiven Sinn zeitgemäß. Die Kirche beschäftigt sich mit Themen, die relevant sind. Ob sich damit eine Abwärtsspirale bei der Zahl der Kirchenmitglieder aufhalten lässt, kann ich nicht abschätzen.

herrsching.online: Der katholische Pfarrer Rapp hat einmal in einem Interview gesagt, dass der Glaube und das Wissen um die Religion in der Gesellschaft verdunsten. Was macht das mit unserem Land: Wie sähe eine Zukunft ohne religiöse Grundwerte aus?

Haberl: Irgendwann muss sich jeder Mensch mit existenziellen Dingen beschäftigen. Zum Beispiel, wie man Beziehungen erfüllend gestaltet und sich beide gut in der Beziehung entwickeln können. Deshalb haben wir mit Pfarrer Rapp zusammen den ökumenischen Gottesdienst About Love gestaltet.

Und eine große existenzielle Frage ist, wie man mit der Endlichkeit des Lebens zurande kommt. Die dritte Frage, die mich umtreibt, ist: Wo können wir im Leben gestalten, und wo müssen wir auch Geschehendes annehmen und akzeptieren. Heute können wir viel mehr gestalten als früher – auch dank der großen medizinischen Möglichkeiten. Wann und wo jemand stirbt, ist eine Entscheidung der Mediziner, der Familie, des Betroffenen selbst. Da hat die Kirche ein Defizit, diese Entscheidungsmöglichkeiten der Menschen zu akzeptieren. 

herrsching.online: Auch in der Kirche gibt es einen großen Deutungsstreit über die militärische Hilfe für die Ukraine. Wie stehen Sie zu diesem Komplex?

Haberl: Religion kann nicht die politischen Antworten dazu geben. Wenn wir aber Hilfe zur Verteidigung leisten, dann tun wir’s nicht mit Begeisterung, sondern mit einem gewissen Vorbehalt und mit einer gewissen Traurigkeit. Ich jetzt nicht aus religiösen Gründen der totale Pazifist, dafür ist die  Welt zu kompliziert. Wir müssen aber immer daran arbeiten, wie wir Feindschaften überwinden, auch gegenüber den Russen. Wir waren nach dem Zweiten Weltkrieg auch froh, dass die Welt einen Weg gefunden hat, mit uns zu leben.

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