Da hilft nur noch Maria, sagen mutige Frauen in der Kirche, und sie meinen nicht nur die Madonna, sondern auch ihre Gruppierung Maria 2.0. In Herrsching hat Uli Spindler die Erneuerungsbewegung mitgegründet. Aber nach den letzten Beschlüssen aus Rom muss man sie fragen: Woher nehmen Sie noch die Motivation, für Reformen in der Kirche zu streiten? Ein ehrliches Gespräch mit einer kämpfenden Katholikin.
herrsching.online: Sie haben in Herrsching die Frauenbewegung Maria 2.0. mitbegründet. Seither ist viel passiert, aber wenig geschehen in der katholischen Kirche. Sie glauben noch an Gott, aber glauben Sie auch noch Veränderungen in der Kirche?
Spindler: Ja, ich glaube noch an Veränderungen. Aber alles ist sehr sehr zäh. Es wird ja oft das Bild von einem sehr großen, sehr behäbigen Schiff bemüht. Es bewegt sich sehr langsam, aber es bewegt sich doch.
„Und der Auftritt der Bewahrer, die in Wahrheit Verhinderer sind, wird immer peinlicher“
herrsching.online: Verfolgt das Schiff einen erkennbaren Kurs, oder fährt’s im Kreis herum?
Spindler: Bei der Bischofssynode in Rom, die kürzlich zu Ende ging, waren 45 stimmberechtigte Frauen dabei. Bestimmte Kreise in der Kirche wollten das Thema Frauen eigentlich ganz ausklammern, aber das ist ihnen nicht gelungen, im Gegenteil, das Thema war die ganze Zeit präsent. Die Frauen haben sich sehr vehement für die Frauenweihe ausgesprochen. Auch eine ganze Reihe von Bischöfen, darunter auch Bischöfe aus Afrika und Ozeanien haben, die Diakoninnenweihe befürwortet, und der Satz: „Die Frage des Zugangs von Frauen zum Diakonat bleibt offen“ fand Zugang ins Abschlussdokument. Trotzdem war der Passus über die Frauen sehr weichgespült und erhielt immer noch 97 Gegenstimmen.
Das Argument konservativer Bischöfe in Deutschland, dass man auf die Weltkirche Rücksicht nehmen müsse, wird immer schwächer. Und der Auftritt der Bewahrer, die in Wahrheit Verhinderer sind, wird immer peinlicher. Sie werden jetzt entlarvt. Das zeigte sich ganz deutlich bei dem Eklat um den Statusbericht der Studiengruppe 5, die sich um das „Frauenthema“ kümmern sollte. Und der Papst hat das Dokument, das die Synode verabschiedet hat, angenommen und wird kein weiteres rechtsverbindliches Schreiben folgen lassen. Das ist auch ein Novum. Über den Status dieses Dokuments streiten sich die Gelehrten allerdings noch, da es „interpretationsoffen“ ist. Aber wir können nun sagen: Hier steht’s, dann lass uns machen.
herrsching.online: Was wollen Sie machen?
Spindler: In den Thesen von Maria 2.0. ist das alles zusammengefasst, war die Kirche von morgen ausmachen sollte. Überall da, wo die Amtskirche die genannten Themen verletzt oder nicht lebt, macht sie sich unglaubwürdig. Zum Beispiel bei den Themen Missbrauch, Gleichberechtigung von Mann und Frau und Finanzgebaren. Oberstes Ziel sollte doch sein, die jesuanische Botschaft zu leben.
herrsching.online: Ist die Bewegung 2.0. eine Organisation mit festen Strukturen wie in einer Partei?
Spindler: Da gibt es keine formale Mitgliedschaft. Es ist eine Graswurzelbewegung wie ein „freischwebendes Netz“. Wer Interesse hat macht mit.
“Einige Pfarrer lassen etwas zu, was andere verbieten, zum Beispiel beim Predigen“
herrsching.online: Klingt jetzt ein bisschen nach Funktionären. Wie wollt Ihr denn die Amtskirche aufscheuchen?
Spindler: Wir im Bistum Augsburg haben uns zum Beispiel auch mit anderen Reformkräften zu einer Initiativgruppe „Synodal-in-Augsburg“ zusammengeschlossen. In dem Kreis arbeiten Theologen, ehemalige Pfarrer, Rechtsanwälte, Klosterschwestern, alles theologisch hochkarätige Leute mit, die alle ein Ziel bewegt: Wie können wir die synodalen Beschlüsse umsetzen? Dazu hatten wir auch im Januar einen Fragebogen entwickelt, mit dem wir die Meinungen der Gläubigen gemäß der Bitte von Papst Franziskus nach dem ersten Teil der Vollversammlung abfragt hatten. Diese Aktion war ein voller Erfolg, da wir dadurch auch das Bistum zum Handeln gebracht hatten. Nun werden wir uns wieder gemeinsam Gedanken zu den Inhalten des Abschlussdokuments machen.
Es gibt vieles, was heute auch kirchenrechtlich schon möglich wäre, aber nicht überall gelebt wird. Oder einige Pfarrer lassen etwas zu, was andere verbieten, zum Beispiel beim Predigen. Es gibt Kirchengemeinden, in denen Frauen in der Eucharistiefeier predigen dürfen. Das ist zwar offiziell nicht erlaubt, aber es funktioniert.
herrsching.online: Es gibt also viele Möglichkeiten der Erneuerung, die eine Gemeinde umsetzen könnte, wenn sie ein bisschen Mut aufbringen würde?
„Es gibt schon Pfarrer, die mutig sagen: Ich mache das jetzt, auch wenn es vom Bischof nicht explizit erlaubt wurde“
Spindler: Ja. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir – jeder einzelne von uns – Kirche sind. Es gibt ja das schöne Bibelwort: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen. Wir als Kirchenbasis müssen aktiver und mutiger werden, uns einbringen und das Feiern unserer Glaubensgemeinschaft noch mehr mitgestalten und neue Wege gehen.
Es gibt inzwischen schon Pfarrer, die mutig sagen: Ich mache das jetzt, auch wenn es vom Bischof nicht explizit erlaubt wurde. Andere sind weniger mutig und berufen sich darauf, dass sie ihrem Bischof Gehorsam gelobt haben. Diese Leute kommen natürlich in Gewissenskonflikte, wenn sie neue Wege gehen.
herrsching.online: Gibt es da ein repressives System in der Kirche?
Spindler: Jeder Bischof hat einen sehr großen Handlungsspielraum. Es hängt daher vieles von der Einstellung des Bischofs ab. Ob unser Bischof mit seinen Pfarrern und Mitarbeitern repressiv umgeht, weiß ich nicht, kann ich auch nicht beurteilen.
Unserer Maria 2.0 Gruppe hat er beim letzten Informationsaustausch vor zwei Jahren mehrfach gesagt, wir sollen „einfach machen“ und nicht darauf warten, dass er Forderungen schriftlich bestätigt hat. Wir haben diese Aufforderung letztendlich angenommen, wir sind unabhängig, aber das heißt auch, dass er bewusst eine Grauzone generiert, die ihm immer wieder die Möglichkeit gibt, sich hinter fadenscheinigen, offiziellen Statements des Vatikans zu verstecken. Wer zum Beispiel den letzten Hirtenbrief aufmerksam gelesen hat, seine Pressekonferenzbeiträge oder letztens seinen Reisebericht aus Rom verfolgt hat, kann das Muster seiner Argumentation gut erkennen. Das macht es für Mitarbeiter und Pfarrer, nicht leicht, die sich an ihren gelobten Gehorsam halten möchten, da sie in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn sie „einfach machen“.
herrsching.online: Wie gut fühlen Sie sich in Herrsching bei der Durchsetzung von Reformen unterstützt?
„Viele haben keine Hoffnung mehr auf Veränderung“
Spindler: Die Unterstützung in Herrsching ist (lange Pause) ein schwieriges Thema. Zuerst einmal: Wir dürfen machen. Und wir haben einen Pfarrer, der für diese Themen offen ist. Ich denke auch, dass viele Leute sich Reformen wünschen und dafür offen sind, aber aktiv dafür aufzustehen oder sich bei Aktionen einzusetzen, machen wenige. Im Gespräch wird uns oft Respekt und Zustimmung gezollt, aber gleichzeitig auch signalisiert, dass sie keine Hoffnung mehr auf eine Änderung haben oder aber bereits mit der Kirche abgeschlossen haben.
herrsching.online: Viele an Ihrer Stelle würden aufgeben oder verzweifeln. Woher nehmen Sie die Motivation, beharrlich weiterzumachen?
Spindler: Gute Frage. Irgendwann stellte sich die Grundsatzfrage: Entweder ich trete aus diesem Verein aus. Oder ich mache den Mund auf und trete für Veränderungen ein. Ich habe mich für die zweite Option entschieden, allerdings weiß ich nicht, wie lange meine Energie noch reicht. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich an der, an meiner Kirche als Glaubensgemeinschaft hänge, und die Vernetzung bei Maria 2.0 und den anderen Reformgruppen mir immer noch Kraft und Bestätigung gibt. Und ich bin zutiefst überzeugt davon, dass alle Kirchen, nicht nur die katholische, einen sehr wichtigen Auftrag hätten, besonders in der heutigen Zeit, nämlich unsere fundamentalen Werte in die Gesellschaft zu tragen. Nur muss ich natürlich diese Werte, wenn ich sie nach aus außen vertreten will, auch intern leben.
herrsching.online: Zum Beispiel die grundgesetzlich verankerte Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau?
Spindler: Ja. Zu diesem Thema wurde schon alles gesagt und mehrfach geprüft, aber die Berichte werden unter Verschluss gehalten. Viele Theologen sagen, dass es aus theologischer Sicht keinen Grund gibt, Frauen nicht zum Weiheamt zuzulassen.
herrsching.online: Wir danken für das offene Gespräch.
Hier die sieben Thesen von Maria 2.0.
1. gerecht – gleiche Würde – gleiche Rechte
In unserer Kirche haben alle Menschen Zugang zu allen Ämtern. Denn Menschenrechte und Grundgesetz garantieren allen Menschen gleiche Rechte – nur die katholische Kirche ignoriert das. Mannsein begründet heute Sonderrechte in der Kirche.
2. partizipativ – gemeinsame Verantwortung
In unserer Kirche haben alle teil am Sendungsauftrag; Macht wird geteilt. Denn der Klerikalismus ist heute eines der Grundprobleme der katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch mit all seinen menschenunwürdigen Facetten.
3. glaubwürdig – respektvoller Umgang und Transparenz
In unserer Kirche werden Taten sexualisierter Gewalt umfassend aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Ursachen werden konsequent bekämpft. Denn viel zu lange schon ist die katholische Kirche ein Tatort sexueller Gewalt. Kirchliche Machthaber halten immer noch Informationen zu solchen Gewaltverbrechen unter Verschluss und stehlen sich aus der Verantwortung.
4. bunt – leben in gelingenden Beziehungen
Unsere Kirche zeigt eine wertschätzende Haltung und Anerkennung gegenüber selbstbestimmter achtsamer Sexualität und Partnerschaft. Denn die offiziell gelehrte Sexualmoral ist lebensfremd und diskriminierend. Sie orientiert sich nicht am christlichen Menschenbild und wird von der Mehrheit der Gläubigen nicht mehr ernst genommen.
5. lebensnah – ohne Pflichtzölibat
In unserer Kirche ist die zölibatäre Lebensform keine Voraussetzung für die Ausübung eines Weiheamtes. Denn die Zölibatsverpflichtung hindert Menschen daran, ihrer Berufung
zu folgen. Wer diese Pflicht nicht einhalten kann, lebt oft hinter Scheinfassaden und wird in existentielle Krisen gestürzt.
6. verantwortungsvoll – nachhaltiges Wirtschaften
Unsere Kirche wirtschaftet nach christlichen Prinzipien. Sie ist Verwalterin des ihr anvertrauten Vermögens; es gehört ihr nicht. Denn Prunk, dubiose Finanztransaktionen und persönliche Bereicherung kirchlicher Entscheidungsträger haben das Vertrauen in die Kirche tiefgreifend erschüttert und schwinden lassen.
7. relevant – für Menschen, Gesellschaft und Umwelt.
Unser Auftrag ist die Botschaft Jesu Christi. Wir handeln danach und stellen uns dem gesellschaftlichen Diskurs. Denn die Kirchenleitung hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Sie schafft es nicht, sich überzeugend Gehör zu verschaffen und sich im Sinne des Evangeliums für eine gerechte Welt einzusetzen.
Die sieben Thesen von Maria 2.0. sind längst überfällig – schließlich leben wir im 21. Jahrhundert!
Ich frage mich manchmal, ob die mächtigen Männer der katholische Kirche auch junge Menschen in ihren Lebenswelten ansprechen möchte, oder ob es lediglich um das Konservieren überholter Werte geht. Die Suche nach Spiritualität ist in allen Gesellsachaftsschichten groß. Schade, wenn die Kirche keine passenden Angebote für die Menschen unserer Zeit macht.
Es ist gut, dass Uli im Interview bei der Rolle der Frau in der katholischen Kirche den Schwerpunkt setzt. Es sind natürlich in den letzten Jahrzehnten mehr „Baustellen“gestoppt worden, die endlich zu einem guten Ende kommen müssten. Ich denke da an das Zölibat, den Missbrauch von Kindern und die Verschwendung von Kirchengeldern. Ich habe mich entschlossen nach 73 Jahren auf keinen Fall auszutreten, aber ich mache bei Maria 2.0 nicht mehr aktiv mit. Warum? Ich denke, dass nicht ich als Nichttheologin und nur christlich bekennendes Mitglied etwas im kirchlichen Apparat ändern kann. Ich meine, es müsste von den Pfarrern, Dekanen und Amtsträgern ausgehen. Wenn die Amtstraeger argumentieren, dass wir Gläubige es machen sollen, dann unterschätzen Sie ihren Einfluss in der Kirche gewaltig und wälzen die Verantwortung auf uns ab. Hut ab vor Bischof Baetzig. Bischöfe wie er überzeugen mich.