Alexander Keim: Steht die FDP im Gemeinderat in der Fortschritts-Koalition?

„Ich bin nicht im Gemeinderat, um Spaß zu haben”

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Halbzeit in der Kommunalpolitik: Was gelang in den 3 Jahren zwischen 2020 bis 2023, was blieb liegen? herrsching.online hat die Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat zur Halbzeitbilanz gebeten. Den Anfang macht die kleinste Fraktion. FDP-Sprecher Alexander Keim, der 2020 auch fürs Bürgermeisteramt kandidiert hatte, zu den Punkten:

• Treten Sie wieder zur Bürgermeisterwahl an?

• Was wird aus dem Bahnhof?

• Was läuft gut in Herrsching, was läuft nicht gut?

• Wie kriegen wir in Herrsching die Energiewende hin?

herrsching.online: Werden Sie bei der nächsten Bürgermeisterwahl wieder kandidieren?

Keim: Sie sind jetzt schon der zweite, der mich das diese Woche fragt. 2 Jahre hat das gar keinen mehr interessiert. Ich mache es sehr stark davon abhängig, welche Kandidaten noch zur Auswahl stehen. Ich möchte auf jeden Fall einen Kandidaten unterstützen, der eine Chance gegen den Amtsinhaber hat.

herrsching.online: Lässt der Amtsinhaber Platz für neue Bewerber?

Keim: Der Amtsinhaber lenkt die Geschicke der Gemeinde seit mittlerweile 15 Jahren. Er ist ein Medienprofi, beliebt bei vielen Bürgern und seinen Verwaltungsangestellten und von Amtsmüdigkeit sehe ich keine Spur. Aber Themen gegen seinen Willen durchzusetzen, ist oft schwer bis unmöglich. Damit schafft er sich im Laufe der Zeit ein gewisses Ressentiment.

herrsching.online: Beispiel Bahnhof und Geothermie? Diese Debatten können nicht ganz nach Ihrem Geschmack gelaufen sein. Wie frustrierend ist es, keine Mehrheit zu finden?

Keim: Was mir beim Bahnhof aufgestoßen ist, war der Eindruck, dass im Prinzip alle das Gleiche wollen, aber im Detail hat man sich dann doch in eine gewisse Richtung lenken lassen. Ich fand es zum Beispiel nicht gut, dass wir die Kulturveranstaltungen komplett von der Gastronomie abhängig machen. Dass ein Wirt entscheidet, was in Herrsching an Kultur passiert, gefällt mir nicht. Es war ja so gedacht, dass Vereine und Bürger für eine Einzelveranstaltung oder Veranstaltungsreihen die Räumlichkeiten benutzen können. Im Bahnhof kann man einen Saal schaffen, der relativ schnell nutzbar ist. Auch das Thema Barrierefreiheit ist ein großes Thema in Herrsching. Neulich gab es in Herrsching eine Tanzveranstaltung für behinderte Jugendliche. Die Eltern und Helfer mussten die Teilnehmer teilweise im Rollstuhl über Treppen in den dritten Stock bringen. Für solche Angebote wäre der Bahnhof gut geeignet. Ich glaube nicht, dass da kommerzielle Interessen eines Wirts immer dienlich sind.

Die Diskussion um die Nutzbarkeit der Geothermie in Herrsching gerät immer wieder ins Stocken. Hier hoffe ich auf die Bundes- und Landespolitik, die beispielsweise mit der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) neuen Schwung in die Sache bringen können.

herrsching.online: Macht die Gemeinderatsarbeit Spaß, wenn man seine guten Konzepte nicht durchkriegt?

Keim: Ich bin ja nicht im Gemeinderat, um Spaß zu haben.  Ich bin gewählt, um die Interessen der Bürger im Rahmen meiner Möglichkeiten zu vertreten und im Dialog gute Entscheidungen herbei zu führen. Es gibt halt oft weichgespülten Konsens. Ich bleibe kritisch und manchmal unbequem, um neue Akzente zu setzen. Dafür stehe ich persönlich.

herrsching.online: Für was steht die Herrschinger FDP?

Keim: Für möglichst wenig Verordnungspolitik, und für Selbstbestimmung. Die Bürger sollten mehr eingebunden werden wie zum Beispiel beim Bahnhof. Das macht auch die Bürgergemeinschaft (BGH) vorbildlich. Sowas sieht man bei den anderen Parteien selten. Die Gemeinde ist ein Dienstleister für die Bürger.

herrsching.online: Geht’s wirklich ohne ordnungspolitische Eingriffe der Politik? Man kann alle wünschenswerten Verhaltensweisen der Freiwilligkeit überlassen?

Keim: In unserer überschaubaren Gemeinde müsste sich immer ein Mittelweg finden, der eine Verordnung überflüssig macht.

herrsching.online: Auch bei der Energiewende? Herrsching rangiert beispielsweis bei der grünen Stomerzeugung auf einem der hinteren Tabellenplätze im Landkreis.

Keim: Das kann ja der ­­­Markt regeln. Wenn es beispielsweise für die Geothermie ein gewinnbringendes Konzept gibt, wird sich auch ein Investor finden. Wenn die Gemeinde aber schon im Vorfeld abwinkt und behauptet, das lohne sich nicht, dann geht nichts voran. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass man das der Privatwirtschaft überlassen müsste. Ein Projekt kostet zwischen 12 und 15 Millionen Euro, und wenn du nichts oder zu wenig nutzbares heißes Wasser findest, kannst du das Geld abschreiben. Um das ganze Thema aber anzuschieben, mag ein staatlicher Risikofonds eine gute Idee sein. Solche Starthilfen gibt es ja auch für Wärmepumpen und Elektroautos.

herrsching.online: Was könnte die Gemeinde machen, damit auch in Herrsching die Energiewende vorankommt?

Keim: Von Förderungen halten wir wenig…

herrsching.online:.. Haben Sie nicht einmal einen Zuschuss zum Lastenrad gefordert?

Keim: Dafür habe ich tatsächlich eine Kostenbeteiligung der Gemeinde gefordert. Da ging’s aber auch um Eltern, die über weniger Einkommen verfügen und nicht um Häuslebauer. Ich habe mich dabei auch inspirieren lassen durch andere Gemeinden im Landkreis.

herrsching.online: Eigentlich sind das klassische grüne Themen. Lustig, dass sich ein FDP-Mann dafür stark macht…

Keim: Die Grünen haben meinen Antrag damals auch leider nicht unterstützt. Das scheint hier eine spezielle Fraktion zu sein. Bei anderen Themen haben wir aber auch schon zusammengefunden.

herrsching.online: Es gibt im Gemeinderat eigentlich eine Fortschrittskoalition, mit der viele Projekte beschlossen werden könnten. Werden sie aber nicht. Woran liegt das?

Keim: Wenn’s die gibt, dann hoffe ich, dass jeder weiß, wer dabei ist. Nehmen wir mal an, wir wären auch dabei.

herrsching.online: Was läuft in Herrsching gut, was läuft schief?

Keim: Gut läuft sicherlich die Verwaltung des Status quo, das läuft sogar ganz hervorragend. Wir sind auch bei den Finanzen in einer noch relativ guten Position. Da haben wir doch ganz gut gehaushaltet. Als es noch Niedrigzinsdarlehen gab, haben wir nicht aus dem Vollen geschöpft. Jetzt gibt es aber einen Investitionsstau, irgendwann wird nicht nur dem Landkreis das Geld ausgehen.  Wenn ich da an das neue Krankenhaus denke, die Überplanung des alten Schindlbeck-Geländes, Bahnhof, Kultursaal in der Kirche, da müsste man schon mal anfangen zu priorisieren.

herrsching.online: Welches Projekt hätte für Sie Vorrang?

Keim: Vorhaben, die sich mit vertretbaren Aufwand machen lassen, die erreichbar sind und den Bürgern einen Mehrwert bieten. 

herrsching.online: Die Seegemeinde wird mit immer mehr Verkehr zugeschwemmt. Muss da nicht mal endlich ein probates Verkehrskonzept her?

Keim: Im Vergleich zu anderen Gemeinden finde ich den Verkehr bei uns noch in Ordnung. Auch die Parkplatzsituation haben wir im Griff, sieht man von den Spitzenzeit in den Sommermonaten ab. Der springende Punkt wird sein, wie wir den Auto- mit dem Schienenverkehr harmonisieren. Wir werden mit dem 10-Minutentakt der S-Bahn  vermutlich ein Problem  bekommen.

herrsching.online: Also her mit der Unterführung?

Keim: Eben genau nicht. Ich wäre eher für eine Verlegung des Bahnhofs Richtung Norden.

herrsching.online: Welches Thema werden Sie als nächstes aufgreifen?

Keim: Mein Hauptaugenmerk liegt auf den Kindern. Viele haben in den 2 Corona-Jahren stark unter Bewegungsmangel und sozialer Vereinsamung  gelitten. Deshalb ist es mir eine Herzensangelegenheit, hier Angebote zu schaffen. Gemeinsam mit einer engagierten Nachbarin wollen wir Kochkurse für gesunde Ernährung organisieren. Ich bin mit potenziellen Unterstützern in der Gemeinde bereits im Gespräch.

5 Comments

  1. Man möchte gleich einen Link einfügen zum Interview mit Frau Gruber.

    Wer ist dieser „Markt“ und wohnt der auch in Herrsching?
    Es ist doch exakt dieser „Markt“ (ich unterstelle, dass Kapitalismus oder ein irgendwie geartetes Wirtschaftssystem gemeint ist?) der uns alle in die derzeitige Krise geführt hat.

    Die Herrschinger (natürlich nicht nur) Kommunalpolitik doktort an bereits bestehenden Krankheiten herum, statt die Ursachen oder sichtbaren Symptome für drohende, weitere Szenarien zu erkennen zu wollen und vorausschauende Maßnahmen zu ergreifen.

    Auf der einen Seite zu behaupten, dass Hauptaugenmerk läge auf den Kindern, aber gleichzeitig den Status quo nicht deutlich verändern zu wollen, ist entweder das Verschließen der Augen vor Fakten oder FDP-Logik in Insellage. Unser jetziges Handeln hat Auswirkungen für Generationen. Ohne Regeln wird es nicht gelingen für unsere Kindeskinder einen lebenswerten Planeten weiterzugeben.
    Bitte den Begriff „Fortschrittskoalition“ im Zusammenhang mit den Ansätzen dieser FDP eliminieren.

    Da schaut Frau Gruber wesentlich aufgeklärter und ohne politische Scheuklappen auf das Jetzt und leitet passende sowie dringend notwendige Schlussfolgerungen für die Zukunft ab.

    Fehlt demnächst nur noch die passende Bürgermeisterin.

    • Lieber Herr Herz

      Sie mögen es für eine Floskel halten, haben aber inhaltlich offenbar nicht verstanden, worum es mir geht. Nur weil ich mich gegen die vorgelegte Baumschutzverordnung ausgesprochen habe, heißt das nicht, dass ich mich ab sofort für Flächenversiegelung stark mache. Im konkreten Fall habe ich über das Geothermievorhaben gesprochen. Es gibt viele Wege, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Wir können lange darüber philosophieren, wo man den meisten Hebel hat und wir man es vor allem schafft, die Bürger mitzunehmen. Das beste was wir für unsere Kinder tun können, ist es damit aufzuhören, alle umweltpolitischen Themen mit dem Weltuntergang in Verbindung zu bringen. In den letzten 3 Jahren hat der Anteil von Jugendlichen mit depressiven Störungen um 15 Prozent zugenommen. An dieser Angstmacherei und Überzeichnung werde ich mich nicht beteiligen.

  2. Im Verbund mit anderen Fraktionen könnte die FDP im Gemeinderat durchaus Akzente setzen. Aber dazu müsste man sich auch von den üblichen Floskeln “…das kann ja der Markt regeln”, “…für Selbstbestimmung und wenig Verordnungspolitik” verabschieden.

  3. Ja lieber Alexander Keim. Möglichst viel Selbstbestimmung der Bürger finde ich auch wichtig und gut. Aber wenn fremde Spekulanten, wie hier in Neuwiddersberg, alle Bäume und jedes Grün vernichten dürfen, um Maximalbebauungen plus Schottergärten für reiche Neuhinzuziehende hinzustellen, dann wären wir doch recht froh über eine Begrenzung der Maßlosigkeit und Profitgier durch unsere Gemeinderätinnen und Räte. Mit einer neuen Baumschutzverordnung gäbe dafür auch das herrschende Baurecht genügend Handhabe. Und was diese totale Versiegelung für Natur- Klima- Tier- und Artenschutz bedeutet, ist inzwischen ja auch hinreichend bekannt.
    Zusätzlich erhöhen sich die Sturzflutgefahren auf unseren Hügeln wesentlich, da das Wasser nicht mehr versickern oder von Baumwurzeln aufgenommen werden kann. Auf unserer einzigen engen kurvigen
    steilen Strasse kommt bei Starkregen jetzt so wie so schon ein Bächlein hinunter geschossen. Und in einigen Kellern steht dann das Wasser. Aber anstatt das alles vorher zu bedenken, wird jetzt ein Sturzflutmanagement eingerichtet, das diese Gegebenheiten durch ihre Messungen auch nicht mehr verhindern kann.
    Eine neue Baumschutzverordnung sollte daher unbedingt die mehrheitliche Zustimmung im Gemeinderat erhalten! Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt! Lieben Dank im voraus!

  4. Schade, dass sich Herr Keim wie unser Bürgermeister vehement gegen eine Baumschutzverordnung stellt. Andere Gemeinden haben mit einem solchen Regelwerk beste Erfahrungen gemacht. Lassen Sie sich inspirieren, Herr Keim.

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