Die Gründerin und Leiterin der Herrschinger Tafel, Karen Bauer, 68, (rechts) mit ihrer „rechten Hand" Manuela Drexler, 61, (links) und den Mitarbeiterinnen Ria Rossek, Gulnissa Ahmadi und Inge Wimmer. Foto: Gerd Kloos

„Es ist nicht richtig, dass das Landratsamt die Leute immer zu den Tafeln schickt”

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Ein teurer Geländewagen rangiert in den Hof der Herrschinger Tafel an der Ladestraße – Tafelkunde mit dem Sechszylinder? Eine gepflegte Frau steigt aus und macht den Kofferraumdeckel auf – alles voller Lebensmittelkartons. „Das hab ich gerade eingekauft für Euch”, ruft sie der Leiterin der Herrschinger Tafel, Karen Bauer, 68, zu. „Oh, kaltgepresstes Speiseöl”, freut sie die Tafel-Mitarbeiterin Manuela Drexler, 61. Die SUV-Fahrerin hat mal eben 200 Euro im Supermarkt für die Bedürftigen in Herrsching ausgegeben. Seit 15 Jahren gibt es die Tafel nun in der Seegemeinde. Und viele Rentner, Hartz-4-Empfänger, Flüchtlinge und Alleinerziehende gehen nicht hungrig ins Bett, weil Karen Bauer, Manuela Drexler und 18 weitere Mitarbeiter einen wundervollen Job machen. Job? Nein, ein Job ist es nicht, alle hier arbeiten für Gottes Lohn. herrsching.online haben sie auch etwas geschenkt – eine wertvolle Stunde für dieses Interview.

herrsching.online: Kann man sagen, dass die Spendenbereitschaft der Geschäfte abgenommen, die Spendenwilligkeit der Bürger aber zugenommen hat?

Bauer: Ja, so kann man es sagen. Die Spendenbereitschaft hängt auch von der Jahreszeit ab. Zu Weihnachten und Ostern werden wir mit Süßigkeiten überhäuft. Hin und wieder bekommen wir Spenden bei Haushaltsauflösungen oder private Spenden wie Nudeln oder Toilettenartikel. Diese Möglichkeit der direkten Spende hat sich in den letzten Jahren sehr herumgesprochen. Und wir erleben, dass diese Spenden nun häufiger sind.  

herrsching.online: Hat die Spendenbereitschaft der Leute durch die ukrainischen Flüchtlinge noch einmal zugenommen?

Bauer: Es hat sich herumgesprochen, dass in Herrsching und Umgebung mittlerweile viele Ukraine-Flüchtlinge leben. In der letzten Woche hatten wir Besuch von 60 Erwachsenen und 60 Kindern.  

herrsching.online: Was war damals der Anlass für die Gründung vor 15 Jahren?

Bauer: Ich habe damals vor 15 Jahren beim Landratsamt angefragt, ob es in Herrsching überhaupt Bedarf gäbe für eine Tafel. Man sagte mir damals, dass in Herrsching ungefähr 400 Personen ein Anrecht darauf hätten, bei einer Tafel Lebensmittel zu beziehen.

herrsching.online: Welche Personen sind bezugsberechtigt?

Bauer: Hartz-4-Empfänger, Geringverdiener und Grundsicherungsempfänger.

herrsching.online: Über wieviele Bürger sprechen wir da im Jahre 2022?

Bauer: Im Augenblick sind das 50 und 60 Haushalte. Pro Haushalt kann man 2 Personen rechnen.

Drexler: Ich hatte letztes Mal 40 vollgepackte Tüten ausgegeben. In diesen Tüten sind Grundnahrungsmittel wie Mehl, Milch und andere Lebensmittel.

Frisch eingetroffen: Lebensmittelspende eines Supermarktes. Freiwillige sammeln die Spenden mit ihrem eigenen Pkw ein

herrsching.online: Diese Lebensmittel beziehen Sie von den Supermärkten der Umgebung?

Bauer: Wir geben in erster Linie Obst, Gemüse und Molkereiprodukte ab. Und das Volumen richtet sich nach dem, was in den Läden übrig geblieben ist.

herrsching.online: Übrig geblieben, weil das Ablaufdatum überschritten ist…

Drexler: Ja, oder wenn der Apfel nicht mehr so schön aussieht, oder wenn zum Beispiel in einem Netz eine Paprika angeschlagen ist. Die sortieren wir aus, die guten geben wir aus.

Bauer: Für die Geschäfte ist das ein zusätzlicher Arbeitsaufwand. Die müssen diese Lebensmittel separieren und für uns auf die Seite stellen.

herrsching.online: Mit welchen Märkten kooperieren Sie jetzt?

Bauer: Rewe, Norma, Netto, Edeka, Benedikter, Scheitz, Ginder, Aldi, der Ruhdorfer, der Feinkostladen in Herrsching, Karlas Kaffeehaus, Biowelt.

herrsching.online: Wieviel Kilo Lebensmittel schlagen Sie in der Woche um?

Bauer: Das wissen wir nicht. Aber das ist auch nicht so wichtig.

herrsching.online: Frau Bauer, Frau Drexler, was ist Ihr Antrieb, für andere Menschen soviel Zeit und Energie einzusetzen?

Bauer: Wir wollen einfach, dass nutzbare Lebensmittel nicht weggeworfen werden, sondern bedürftigen Menschen zugute kommen. Außerdem ist es auch schön, mit sovielen Menschen in Kontakt zu kommen – die Einheimischen kennen wir alle mit Namen.

Drexler: Die sind dankbar, deshalb macht man es auch.

herrsching.online: Kommen wirklich nur Bedürftige zu Ihnen, oder gibt es auch Abstauber?

Bauer: Nein, das wird ja auch kontrolliert. Wir lassen uns ja ihre amtlichen Bescheide zeigen.

herrsching.online: Sie machen einen Job, den eigentlich  der Staat machen müsste?

Bauer: Ja klar. Und es ist auch nicht richtig, dass das Landratsamt die Leute immer zu den Tafeln schickt. Das ist überhaupt nicht richtig. Dabei darf bei den Leuten nichts Außergewöhnliches passieren. Wenn einem Hartz-4-Empfänger der Kühlschrank kaputt geht, sieht der alt aus. Der kann von seinem Budget keinen neuen Kühlschrank kaufen.

herrsching.online: Vermitteln Sie auch gebrauchte Geräte?

Bauer: Wir haben einen Spendentopf, aus dem wir im absoluten Notfall helfen, zum Beispiel auch bei Brillen und Zahnersatz. Und jetzt kommt noch die Energiekrise dazu. Wir haben alle unsere Kunden darauf aufmerksam gemacht, dass sie möglichst einen Zehner zur Seite legen sollten, weil die Nebenkosten im nächsten Jahr heftig werden. Das können die alle nicht leisten. Es sei denn, die Hartz-4-Sätze werden endlich mal heraufgesetzt.

Drexler: Die Rentner bekommen ja auch von der Energiepreispauschale von 300 Euro nix.

herrsching.online: Woran liegt es, dass jetzt viele Tafeln in Deutschland zu wenig Lebensmittelspenden bekommen?

Bauer:  Ich glaube, dass die großen Supermärkte jetzt besser kalkulieren. Die Warenwirtschaftssysteme geben den Geschäften ja genaue Zahlen, welche Mengen von welchen Lebensmitteln gekauft werden. Dann bleibt natürlich weniger übrig. Vielleicht kaufen die Leute auch gezielter ein.

herrsching.online: Ist Ihnen bange um die Zukunft der Tafeln?

Bauer: Die beste Tafel ist die, die nicht gebraucht wird.

herrsching.online: Herrsching gilt als wohlhabende Gemeinde. Unter dieser Decke des überall zu besichtigenden Wohlstandes steckt schon auch konkretes Elend?

Drexler: Wir haben Obdachlose, wir haben Rentner, für die die kleine Rente kaum zum Leben reicht.

Bauer: Elend ist vielleicht übertrieben. Aber wir haben hier auch Leute, die haben es sehr schwer, ihren Unterhalt zu bestreiten.

herrsching.online: Wegen der hohen Mieten?

Bauer: Weil die Mieten zu hoch sind, weil die Unterhaltskosten so hoch sind, weil der öffentliche Nahverkehr so teuer ist… deshalb verleihen wir ja auch ISAR Cards zusammen mit der Insel.

Drexler: Der Münchner Speckgürtel ist einfach sehr sehr teuer. Selbst der Discounter ist im Münchner Umland teurer als anderswo, haben wir den Eindruck.

herrsching.online: Die Tafel ist für Sie fast schon ein Hauptberuf?

Bauer: Ja, aber wir haben ja beide noch Familie, und es gibt auch ein Leben neben der Tafel.

herrsching.online: Brauchen Sie noch Freiwillige, die Ihre Arbeit unterstützen?

Bauer: Ja, wir brauchen noch Freiwillige, die die Arbeit draußen im Hof unterstützen und dann brauchen wir dringend noch 2 Fahrer, die die Lebensmittel bei den Geschäften abholen. Die Abholer haben einen 14-Tage-Rhythmus. Wir haben sogar Fahrer über 80, und für die ist das schon eine Belastung, die müssen ja auch schwere Kisten schleppen. Insgesamt sind wir 20 Leute in der Tafel-Organisation.

Drexler: Die Arbeit ist wirklich fordernd. Wenn ich mittwochs von eins bis drei die Ausgabe mache, bin ich hinterher platt.

herrsching.online: Gibt es Unterschiede zwischen Ihren angestammten Kunden und den ukrainischen Flüchtlingen?

Bauer: Bei den ukrainischen Kunden können wir zur Zeit nicht auf spezielle Wünsche eingehen. Die kriegen ihre Tüten, und die sind damit auch sehr glücklich. Bei unseren angestammten Kunden haben wir Kärtchen, auf denen Wünsche und Unverträglichkeiten notiert sind.

herrsching.online: Gibt es manchmal Futterneid zwischen den normalen Kunden und den Flüchtlingen?

Bauer: Mitunter schon.

Drexler: Wenn dieser ganze Hof mit Menschen voll ist, dann überfällt einen das Gefühl, wie schafft man das, wie kriegt man jemals wieder diesen Hof leer.

Bauer: Es gibt auch Situationen, die einen auch persönlich belasten. Letzte Woche hatten wir einen Korb für eine Kundin hergerichtet, und wir haben sie in dem Pulk nicht gefunden. Dann habe ich den Korb jemand anderem gegeben. Schließlich kam die Dame doch, und wir hatten fast gar nichts mehr.

herrsching.online: Und diesen Stress erdulden Sie nur für Gottes Lohn?

Bauer: Ja, jeden Mittwoch klopfen wir uns gegenseitig auf die Schulter und sagen uns: Das haben wir wieder gut gemacht. Nein, wir wollen kein Geld, und wir sind auch niemandem verpflichtet außer unseren Tafel-Grundsätzen. Und es kann uns niemand dreinreden.

herrsching.online: Aber der Staat verlangt doch von Ihnen, dass Sie die Hygienegrundsätze beachten, wie sie auch für Supermärkte gelten?

Bauer: Die gelten auch für uns, da gibt es keinen Unterschied. Nächsten Dienstag zum Beispiel kommt eine Ärztin mit einem Formblatt. Manuela und ich haben sogar eine Schulung besucht, in der es um Lebensmittel-Hygiene und Arbeitsschutz ging.

herrsching.online: Hat sich Herr Söder schon einmal wegen eines Ordens für Sie gemeldet?

Bauer: Nein…

Drexler: …das hättest Du aber verdient.

Wenn Sie mit Spenden oder Arbeitseinsatz helfen wollen, dann wenden Sie sich doch an k.h.bauer@gmx.de oder wählen Sie: 08152/9938031

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