70. Geburtstag, 30 Jahre Musiklehrervereinigung und daneben erfolgreicher Buchautor: Karl Rellensmann hat Herrschings Kulturleben stark mitgeprägt.

„Musizierende Kinder sind tatsächlich besser in der Schule”

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Schon wenige Monate Musikunterricht verändern Gehirnstrukturen, Synapsen wachsen, Nervenstränge werden dicker, behauptet die Wissenschaft. In Herrsching gibt es einen Mann, der diese Thesen bestätigen kann: Karl Rellensmann, 70, seit 30 Jahren in der Leitung der Musiklehrervereinigung, weiß aus langer Lehrtätigkeit: „Musizierende Kinder sind tatsächlich besser in der Schule.” herrsching.online hat mit Herrschings prominentestem Gitarrenlehrer über Freude und Zwang beim Musikunterricht gesprochen, über Talent und Faulheit, und über die Gefahren, die vom ständigen Handy-Daddeln fürs Musizieren ausgehen.

herrsching.online: Sind Kinder heute musikalischer als früher?

Rellensmann: Die Frage kann man so nicht beantworten. Was ist musikalisch? Wenn es darum geht, einen Rhythmus nachzuklopfen, ein rhythmisches Gefühl zu entwickeln, dann ist es sicher schlechter geworden. Wenn man das Interesse an Youtube-Musikvideos als Kriterium gelten lässt, dann ist es mehr geworden. Die Bedeutsamkeit der Musik hat zugenommen, aber die handwerklichen Fähigkeiten der Kinder sind, verkümmert würde ich jetzt nicht sagen, aber extrem in Gefahr. Um ein Instrument zu spielen, muss man seine Finger vom Gehirn her ansteuern können, und wenn man nur seinen Daumen benutzt, ist das ein bisschen zu wenig, um ein Instrument zu spielen. Die Fähigkeit, handwerklich geschickt zu sein, die ist wirklich gefährdet. Gitarre oder auch Klavier zu lernen, ist ja schließlich auch ein Handwerk.

herrsching.online: Ist das Handy der große Konkurrent aller Musiklehrer?

Rellensmann: Zeitlich gesehen schon. Wenn sie am Instrument genau so viel üben würden, wie sie Zeit mit dem Handy verbringen, würden sie schnell sehr große musikalische Fortschritte machen.

herrsching.online: Herrsching gilt ja als Gemeinde mit relativ wohlhabenden Bürgern. Ist musikalische Bildung nur eine Garnitur gepflegter Bürgerlichkeit, wie der SPIEGEL schreibt, ein Vergnügen der Betuchten?

Rellensmann: Dass bei uns alle Schichten der Bevölkerung gleichermaßen vertreten sind – das wäre gelogen. Wir tun uns schwer gerade mit Mittelschulkindern. Wir haben zwar jetzt Projektangebote wie »Kultur macht stark«, um Kindern aus finanziellen benachteiligten Schichten kostenlosen Unterricht anbieten zu können. Da sprechen wir auch Kinder mit Migrationshintergrund an oder Kinder, deren Eltern gar nicht auf die Idee kämen, uns zu fragen, weil das finanziell für sie nicht machbar wäre. Aber der normale Unterricht wird schon eher von Kindern genutzt, die einen gymnasialen Hintergrund haben. Das kann man so auch nicht sagen, weil die Kinder oft schon mit 6, 7 Jahren zu uns kommen, da ist das Gymnasium ja noch weit weg.

Aus den Anfängen der Musiklehrervereinigung

Unter dem Pseudonym Carl Os veröffentlicht Karl Rellensmann erfolgreiche Romane

1983 bin ich mit meiner Frau nach Herrsching gezogen. Damals habe ich Musikpädagogik studiert. Ich hatte Kurse an der Volkshochschule Dachau, habe dann Kurse an der VHS Herrsching gegeben,  89 hatte ich schon 7 Kurse. Es kam das Bestreben, etwas Musikschulartiges über die Volkshochschule in Herrsching zu organisieren. Dann kamen andere Lehrer hinzu, die Klavier oder Blockflöte angeboten haben. Und irgendwann gab’s auch Einzelunterricht. 1992 hatten wir schon 80 Musikschüler über die Volkshochschule, bei einem Ort, der 10 000 Einwohner hatte, war klar, dass eine Musikschule ein Erfolg werden musste. Ich hatte den Fachbereich Musikunterricht geleitet. Die VHS besann dann nach einem Vorstandswechsel und meinte überraschend, dass sie ja Erwachsenenbildung betreibe und keinen Musikunterricht für Kinder und Heranwachsende. Dahinter standen wohl arbeitsrechtliche Bedenken wegen Scheinselbstständigkeit. Deshalb war Schluss mit dem Unterricht an der VHS, ein Team von insgesamt 13 Lehrern gründete dann 1994 einen eigenen Verein mit dem etwas sperrigen Namen Musiklehrervereinigung Herrsching e. V. Dieses Konstrukt war am schnellsten zu verwirklichen. Ein Trägerverein über die Eltern war uns zu kompliziert. Das  Problem waren nun die Räume in der Christian-Morgenstern-Schule, die die VHS nicht so gerne hergeben wollte. Vor Gericht gab’s dann einen Vergleich, mit dem sich die MLVH weiterhin Räume in der Schule sichern konnte. Inzwischen nutzen wir 11 Räume, seit 3 Jahren haben wir sogar sogar – der Grundschule sei Dank – einen eigenen Musikraum, in dem wir unsere  eigenen Instrumente aufbewahren. Ich war die ersten 25 Jahre Erster Vorstand und habe später auch die Schulleitungsfunktion, später gegen ein geringes Honorar, übernommen. Vor 4 Jahren habe ich den Posten des Ersten Vorstandes abgegeben, weil es eigentlich ganz gut ist, beide Funktionen zu trennen. Als Schulleiter bin ich jetzt angestellt. Paradoxerweise, seit ich in Rente gegangen bin vor 4 Jahren.

herrsching.online: Gibt es auch die Eltern, die ihre Kinder – Verdacht Wunderkind – schon mit 4, 5 Jahren für einen Unterricht anmelden wollen?

Rellensmann:  Ja, es kommen sehr viel mehr Eltern als früher mit dem Wunsch, dass ihre 4-, 5-, 6- oder 7-Jährigen musikalisch gefördert werden.

herrsching.online Sind Kinder, die ein Instrument lernen, bessere Schüler? Der im SPIEGEL zitierte Neurologe Altenmüller behauptet, dass schon das regelmäßige Üben eines Instruments nach wenigen Monaten zu sichtbaren Veränderungen der Gehirnstruktur führe.

 Rellensmann: Da muss man immer den lateinischen Satz »Cum hoc ergo propter hoc« zitieren.

herrsching.online: …„Mit diesem folglich deswegen”, der Fehlschluss einer Scheinkausalität..

Rellensmann: Ja, das heißt soviel wie, dass etwas nicht Ursache von etwas sein muss, wenn es gleichzeitig auftritt. Musizierende Kinder sind tatsächlich besser in der Schule. Aber sind sie wirklich besser, weil sie Musik machen? Oder weil sie von ihren Eltern grundsätzlich mehr gefördert werden? Ich würde aber vermuten, dass Musik den Kindern in der Schule hilft, weil die handwerklichen Fähigkeiten eine kleine Revolution im Gehirn auslösen. Wenn man seine Finger nutzt, dann erschließt man ganz neue Regionen im Gehirn, die bislang der Sprache vorbehalten waren. Ich würde also sagen: ein vorsichtiges Ja.

herrsching.online: Der Neurologe, der im SPIEGEL zitiert wird, behauptet, ein Instrument zu spielen mache unendlichen Spaß. Dabei hat jeder Mensch noch Beispiele von geplagten Kindern im Kopf, die von einer gestrengen Musiklehrkraft gequält werden. Ein Klischee, das es so heute nicht mehr gibt?

Rellensmann: Solche Lehrkräfte, die Sie hier zeichnen, habe ich nie in unser Team geholt. Klar gibt es solche Lehrerinnen und Lehrer noch, aber sie sind auf dem Rückzug. Vielleicht gibt es sie noch gelegentlich in den klassischen Fächern Klavier oder Violine. Ich habe immer Wert darauf gelegt, dass Lehrer in unserer Musikschule nicht nur Kompetenz vermitteln, sondern auch Freude an der Musik. Was man bei einem unserer Konzerte auch sehen kann oder sehen sollte.

herrsching.online Wieviel Druck ist sinnvoll, dass Kinder bei der Stange beziehungsweise bei der Saite bleiben und soviel üben, dass sich der Spaß von selbst einstellt?

Rellensmann: Am besten gar keiner. Am besten wäre es, wenn der Lehrer dem Kind so etwas wie einen Fahrplan mit auf den Weg gibt. Am Anfang sagt man dem Kind ehrlich, dass es ein bisschen üben muss. Man sagt dem Kind: Du brauchst Freiräume zum Üben, wann könnte das denn Deiner Meinung nach sein? Dann macht man mit dem Kind einen kleinen Plan und fragt dann im Unterricht: Und, hat’s geklappt mit dem Plan? Nö, leider nicht. Gut, dann schauen wir mal, ob’s nächste Woche klappt.

herrsching.online: Kommen auch Kinder in die Musikschule, die nach landläufiger Meinung überhaupt kein musikalisches Talent mitbringen?

Rellensmann: Musik ist eine Sprache. Man kann sie durchaus mit anderen Sprachen vergleichen. Je früher eine Sprache gelernt wird, desto flüssiger spricht man sie. Ein unmusikalisches Kind gibt es genauso wenig wie ein Kind, das nicht in der Lage ist, Italienisch zu lernen. Manche lernen Italienisch halt schneller, manche langsamer. Es käme aber nie jemand auf  die Idee, dem Kind zu sagen, weil’s langsamer geht, lernst Du die Sprache nicht.

herrsching.online: Kinder, die sich schwerer tun und langsamer lernen, erfahren also keine Diskriminierung in der Musikschule?

Rellensmann: Ganz im Gegenteil, für solche Kinder ist es sogar noch wertvoller, die Sprache zu lernen, weil sie einem ja etwas Unvergleichliches wieder zurückgibt. Und wenn man ein Instrument spielen kann, dann kann man sich erstens mit sich allein beschäftigen, und man kann mit wildfremden Menschen, deren Sprache man nicht spricht, Musik machen – zum Beispiel auf Reisen.

herrsching.online: Wie wichtig ist das Vorbild der Eltern, und wie hoch darf der Druck auf das Kind sein, sich anzustrengen?

Rellensmann: Wenn Eltern merken, dass das Kind beim Üben nicht so richtig mitzieht, könnten sie ja mit gutem Beispiel vorangehen und selber üben oder ein paar Stunden Musikunterricht nehmen. Damit geben sie ein wichtiges Vorbild: „Ich spreche diese Sprache auch, magst Du Dich nicht auch in dieser Sprache mit uns unterhalten?”

herrsching.online: Welche Musikinstrumente sind eigentlich niederschwellig, sprich von jedem Kind relativ einfach zu erlernen?

Rellensmann: Die klassische Blockflöte ist schon einfacher zu erlernen als ein Saxophon, allein schon wegen der Anblastechnik. Es gibt tatsächlich schwierigere Instrumente, Cello gehört dazu, Violine ist sicherlich auch nicht ganz einfach. Deshalb muss man eben auch früher damit beginnen. Kinder können mit 4 anfangen, aber in diesem Alter bedarf es der ständigen Begleitung durch die Eltern. Bei der Suzuki-Methode zum Beispiel lernen die Eltern parallel mit dem Kind genau das gleiche Stück.

Gitarre ist das populärste Instrument

Rellensmann gibt sogar Unterricht im Senegal.

Das beliebteste Instrument ist bei uns die Gitarre, nicht weil es am einfachsten wäre, sondern weil das Instrument wunderbar zu verstehen ist. Außerdem ist die Gitarre sehr populär, und sie ist sehr vielseitig. Man kann klassische Gitarre spielen, südamerikanische, Flamencogitarre. Dazu kommt, dass wir 3 sehr gute Gitarrenlehrer haben, einer davon bin ich (lacht), der andere ist Florian Weinhart, ein ehemaliger Schüler von mir, und Christoph Zöller. Ich mache eher den klassischen Bereich, Zöller E-Gitarre, Florian – unter anderem auch – Songwriting und Music Production.

herrsching.online: Was muss in der Schule passieren, dass Musik wieder einen neuen Stellenwert bekommt?

Rellensmann: Dreimal soviel Musikunterricht wie jetzt und viel mehr Integration der Musik in die anderen Fächer, Inklusion sozusagen.. Ein Englischlehrer wird in seinem Fach mehr Erfolge erzielen, wenn er beispielsweise die Lieder aus der Popmusik übersetzen lässt. Man sollte in der Schule viel mehr fächerübergreifend arbeiten – selbst Biologie und Physik haben viel mit Musik zu tun.

herrsching.online: Das Gegenteil passiert gerade. Die neue Kultusministerin wollte die Lehrpläne von kulturellen Inhalten befreien…

Rellensmann: Die Unterschriftenaktion dagegen habe ich auch mit unterschrieben…ich frage mich wirklich, warum ausgerechnet in Bayern, das immer so schlau tut. Das ist ausgesprochen dumm.

herrsching.online: Wieviele Instrumente spielen Sie eigentlich?

Rellensmann: Ich spiele Gitarre und ähnliche Instrumente wie Oktav-Gitarre oder Ukulele. Hauptsächlich spiele ich klassische Gitarre, habe als Kind aber auch Blockflöte gelernt. Ich spiele auch immer noch Tenor-Blockflöte. Aber mein ganz großes Hobby sind die Trommelinstrumente, also alles, was man mit Händen spielt: Congas, Djembe, Darabuca. So kann ich zum Beispiel afrikanische Trommeln ganz gut. Ich bin sogar jahrelang zu einem Trommellehrer in den Senegal gefahren und habe mir dort Bougarabou-Unterricht geben lassen. Seit einem Jahr habe ich ein völlig neues Instrument für mich entdeckt: die Handpan. Man lernt eben nie aus.

Was kostet eigentlich Musikunterricht?

105 Euro im Monat kostet die Musikerziehung

Heute hat die Musiklehrervereinigung 21 Lehrer und 440 Schüler an 22 Instrumententypen. Nur bei den Bläsern haben wir Lücken, weil wir der Blaskapelle Herrsching keine Konkurrenz machen wollen.

Wir haben in den 30 Jahren jedes Jahr ein ganz großes Konzert und 5 bis 7 andere Konzerte, zum Beispiel Tasten und Saitenspiele, Chorkonzerte, klassische Matinéees, Lehrer- Schülerkonzerte oder Weihnachtskonzerte.

Pro Monat kostet die Dreiviertelstunde 105 Euro. Das sind netto 3 Stunden pro Monat. Wir machen immer Jahresverträge. Es gibt Gruppen- und Einzelunterricht. Das beliebteste Modell ist der 30-Minuten-Einzelunterricht (74 Euro monatlich). Alleine davon gibt es etwa 175 Kurse. Insgesamt laufen jede Woche weit über 300 diverse Kurse.

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