Auto-Frühling: Erwin lässt den Tiger los

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Wenn die Frühlingssonne die Lebenslust anknipst, erwacht auch der „Tiger” aus dem Winterschlaf. Das Tierchen mit dem furchterregenden Namen ist ganz possierlich, sieht aus wie ein rasender Rettich und hat ein stolzes Alter erreicht: Seit 1959 räubert es über die Straßen, schlägt Haken wie eine Großkatze auf Verfolgungsjagd und beschert seinem „Herrchen” das Gefühl erhabener Unverwundbarkeit auf kurvigen Gebirgsstrecken. Wenn Erwin Schmidt-Achert den Tiger loslässt, stiehlt er jedem Maserati oder Rolls Royce die Schau. Sein Messerschmitt TG 500 hat zwar nur 500 Kubikzentimeter unter der Haube, gilt aber als rollender Zeitzeuge des bundesdeutschen Wirtschaftswunders in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren. Pilot und Copilot sitzen hintereinander und klappen die Plexiglashaube über die Sitze wie in einem Eurofighter.

Erwin Schmidt-Achert hatte schon als junger Mann einen ausgefallenen Autogeschmack. „Ich wollte mir  1969 als Gymnasiast mit meinem mit Nachhilfe in Englisch verdienten Taschengeld einen „Lloyd Alexander TS” („Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd”) kaufen, mein strenger Vater war aber der Ansicht, ich dürfe mir erst ein Auto kaufen, wenn ich selbst berufstätig wäre. Unser Turnlehrer Schmitt am Gymnasium Grafing verkaufte zu dieser Zeit seinen dreirädrigen Messerschmitt Kabinenroller „Karo 200″. Mit dem Argument, dies sei ja kein Auto, konnte ich meinen Vater überreden. Ein Jahr später sah ich in der „Auto, Motor, Sport” die Verkaufsanzeige für einen „Tiger” in Baden-Baden (die vierrädrige Sportversion des Kabinenrollers, von dem nur etwa 300 Exemplare gebaut wurden – eine echte Rarität).”

Schmidt-Achert erzählt in seiner rasenden Zigarre weiter: „Der Tiger hat 4 Räder und wurde ursprünglich für Bergrennen gebaut. Er besitzt einen 500-Kubikzentimeter-2-Taktmotor. Laut Kfz-Brief fährt er 126 km/h schnell. Der Tiger war ein typischer Vertreter seiner Zeit, das Wirtschaftswunder begann in Deutschland. Neben dem Kabinenroller gab es den Lloyd Alexander, der schon so ähnlich wie ein Auto aussah, gab es den Heinkel-Kabinenroller, das Goggomobil und die BMW-Isetta. Aber sehr schnell wurden die Autos wieder größer. Von dem vierrädigen Tiger wurden maximal 300 Stück gebaut. Heute fahren immerhin noch 50 Stück herum vom TG 500. Man kennt ihn noch unter dem alten Herstellernamen Messerschmitt, was aber nicht ganz richtig ist, die Firma wurde übernommen vom FMR Fahrzeug- und Maschinenbau Regensburg. Tatsächlich war der Tiger das schnellste Auto auf der Straße, mit Ausnahme von Porsche natürlich. In Regensburg hat die Polizei auch den Tiger gefahren. Man muss sich das mal vorstellen: Die Polizei macht die Haube auf und hält die Kelle raus, ich weiß nicht, ob die Leute überhaupt angehalten haben. Die haben gelacht und sind wahrscheinlich gleich weitergefahren. Der Tiger ist, das glaubt man nicht, zugelassen für 2 Erwachsene und ein Kind.”

Schmidt-Achert hatte den Tiger 1970 für 350 DMark gekauft und bekam dafür – 19,6 PS. Was die hergeben auf kurvigen Landstraßen, das hat herrsching.online mit Filmkameras festgehalten https://youtu.be/2J_7N1iANf0 Wir fuhren die Schmidschneiderstraße nach Andechs hoch und gaben dann Vollgas auf der kurvenreichen Straße nach Machtlfing. Auf dem Klosterparkplatz war der Tiger der Star – eine hübsche junge Frau wollte sogar im Tiger Platz nehmen lassen. Die hatte – zur Erleichterung des Eigners – keinen Führerschein und den Tiger deshalb nur gestreichelt.

1 Comment

  1. Ein Klasse Bericht – gratuliere dazu. Ich fühlte mich um gut 50 Jahre zurückversetzt. Als Jugendlicher war ich total scharf auf einen Tiger, von dem es in unserer Nachbarschaft einen gab. Ich habe den Besitzer sehr beneidet.
    Mit seinen knapp 20 PS und dem rasanten, drehfreudigen Zweitakter hatte er bei nur 250 Kilo ein tolles Leistungsgewicht – entspricht 100 PS bei einem heutzutage als leichtgewichtig angesehenen 1250 Kilo Fahrzeug. Das war zur Zeit des Tigers ein Topwert. Ein etwas dreimal so schwerer Käfer hatte – so glaube ich mich zu erinnern – 24 PS und galt schon als flottes Auto.
    Ich gäbe was drum, einmal in einem Tiger zu fahren. Das muss ein Heidenspaß sein.
    Bei mir hat es damals nur zu einem schönen Rennrad gereicht – aber auch damit kann man glücklich werden.
    Gleich werde ich mir das Video nochmal anschauen – es macht einfach gute Laune. Vielen Dank dafür.

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