Herrschings Kommunalpolitiker haben pünktlich zu den beginnenden Haushaltsberatungen das Jammern gelernt: Leere Kassen, klaffendes Loch im Haushalt, bald kein Geld mehr für Vereine – und dazu noch ein Bahnhof, an dem der Zahn der Zeit nagt. Allein die Grundsanierung der Statik, der Elektrik und der Heizung würde fast zwei Millionen Euro verschlingen. Die aber hat die Gemeinde nicht. Doch jetzt leuchtet ein zartes Lichtlein auf im maroden Gemäuer: Ein Bürgergremium will das 125 Jahre alte Haus mit einer Genossenschaft retten. Mitte Oktober setzen sich ein paar Initiatoren schon zum zweiten Mal zusammen, um die rechtlichen Strukturen für eine BLRG, eine Bahnhofslebensrettungs-Genossenschaft zu gründen. Der grüne Gemeinderat Gerd Mulert warb jetzt erstmals öffentlich im Seniorenbeirat für die Idee. Mulerts eher scherzhaft gemeinter Appell an seine Zuhörerinnen: Liebe Herrschingerinnen und Herrschinger mit wohlbeleibten Bankkonto: Schenken Sie zu Weihnachten kein E-Bike, sondern ein Stückchen Bahnhof.
„Wir haben ein Juwel vor der Nase“, sagte Mulert vor hochinteressierten Senioren, aber das Juwel bedarf dringend einer neue Fassung. Mulert berichtete nun erstmals öffentlich von einem Treffen interessierter Bürger im Ciao Mausi (Weßlinger Banhof), in dem die Idee einer bürgerschaftlich organisierten Genossenschaft diskutiert wurde. Das Ziel: zuerst einmal eine Struktur schaffen, aus der ein Vorstand wachsen könnte. Nach Gründung der Genossenschaft (in Bayern gibt es übrigens keine „Genossen“, sondern „Mitglieder“) könne man von schätzungsweise 1000 Leuten viel Geld einsammeln. „Denn Geld gibt es genug in Süddeutschland“, sagt ein Sanierungsexperte, „es liegt nur nicht im Rathaus, sondern auf dem Konto vieler Bürger.“ Wichtig ist Mulert, dass die Genossenschafts-Mitglieder aus der Bürgerschaft kommen. Er wolle keinen Investor, der Millionen einsetzt und dann das Sagen über das Schicksal des Bahnhofs habe.
Mulert erwartet nach einer erfolgreichen Sanierung und der Verpachtung der Räume an Gewerbebetriebe („klar, Vetter muss bleiben“) eine Anteilsrendite von zwei Prozent. Der Genossenschaftsexperte und erfolgreiche Bahnhofssanierer Christian Skrodzki hatte für den Leutkircher Bahnhof 1,1 Millionen eingesammelt – von 700 Bürgern aus dem Umkreis von 50 Kilometern rund um Leutkirch. Die Gesamtsanierung habe 2,7 Millionen Euro verschlungen. Die Verzinsung der Genossenschaftsanteile ist allerdings nicht so üppig ausgefallen, wie es Mulert in seinem Vortrag versprach: In Leutkirch gab’s zwischen einem und 1,5 Prozent Dividende.
Der Kreis der Genossenschafts-Initiatoren trifft sich nun am 16. Oktober um 18 Uhr in der Herrschinger Insel. Dann soll es konkret werden. Eine große Unbekannte allerdings konnte Mulert auch noch nicht auflösen: Was sagt eigentlich der Eigentümer des Gebäudes zu dieser Idee? Das ehemalige DB-Gebäude gehört inzwischen nämlich der Gemeinde. Ob die ungebetene Hilfe annimmt, gilt noch nicht als ausgemacht.