Neue Verzögerungen im NS-Straßennamen-Komplex: Nach einer nichtöffentlichen Klausurtagung („Datenschutz“) beschloss der Gemeinderat am Montagabend, der Historikerin und Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer neue „Hausaufgaben“ mitzugeben. Sie muss jetzt alle 38 Straßen, die nach Personen benannt sind, noch einmal auf NS-Bezüge untersuchen (Gemeinderätin Gruber: „Ein bisschen schikanös“). Hellerers Forschungsergebnisse über Alfred Ploetz, Erich Holthaus und Madeleine Ruoff sollen um die „Wohltaten der benannten Personen“ ergänzt werden. Erst wenn die „Unterlagen, Texte und Informationen vorliegen, soll in einer Gemeinderatssitzung ein Grundsatzbeschluss“ folgen. (Über die Gemeinderatssitzung und über die Biografien der 3 Namensgeber Ploetz, Holthaus und Ruoff berichtete herrsching.online unter: https://herrsching.online2024/03/19/wir-muessen-draussen-bleiben/)
Die Gemeinde, das ließ Bürgermeister Schiller in der Gemeinderatssitzung anklingen, befürchtet Klagen von betroffenen Anliegern. Deshalb ließ sich die Verwaltung vom Landratsamt rechtlich beraten. In diesem „kommunalrechtlichen Beratungsgespräch“ seien, so Hauptamtsleiter Guido Finster, neue Aspekte aufgetaucht:
• „Die persönliche Beteiligung von Damen und Herren des Gemeinderates als betroffener Anlieger“
• Die Gründe für die damalige Straßenbenennung müssen geklärt werden. Es seien auch die positiven Aspekte der Namensgeber zu beleuchten. Die entsprechenden Texte seien entsprechend zu ändern/ergänzen.
• Bedenken werden bei einer eventuellen Änderung der Ploetzstraße gesehen, da der Familienname nicht im Rahmen der „Sippenhaft“ beurteilt werden könne.
• Grundsätzlich sei der Datenschutz bei Bezügen zu lebenden Personen beziehungsweise Nachfahren zu beachten.
Bei der persönlichen Beteiligung von Gemeinderäten spielen die Juristen wohl auf den ehemaligen FDP-Gemeinderat Alfred Ploetz an. Ploetz ist ein Enkel des NS-Rassenhygienikers Alfred Ploetz (Zitat aus einem der Aufsätze von Professor Ploetz aus dem Jahre 1928: „Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen (Eheberatungsstellen), durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (Möglichkeit von Straferlass bei Sterilisierung), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches.” ).
Der ehemalige FDP-Gemeinderat Alfred Ploetz sagte 2018 der Süddeutschen Zeitung: Seinen Großvater (also den NS-Rassenhygieniker) als Nazi hinzustellen, sei völlig daneben. FDP-Gemeinderat Alexander Keim, der immer vehement für maximale Öffentlichkeit in den politischen Prozessen eintritt, sieht bei den Namensgebern der 3 Straßen „keine Verbrecher gegen die Menschlichkeit“. Wörtlich teilte er herrsching.online mit: „Ich hatte von Anfang an gefordert, dass wir auf die Integrität der betroffenen Familien Rücksicht nehmen müssen, da ich jede Form der Kontaktschuld entschieden ablehne.“
Die frisch vereidigte Gemeinderätin Susanne Hänel, als Lehrerin der Sprache besonders verpflichtet, stellte gleich eine kritische Nachfrage: „Das Wort Wohltaten ist mir aufgestoßen.“ Im Lexikon werden Wohltaten so definiert: „Freiwillige Aktion, mit der jemand einem Bedürftigen oder einer Gruppe Armer ohne Gegenleistung hilft.“
Christiane Gruber, die mit ihrer BGH-Fraktion die Umbenennung der Straßen angestoßen hatte, hielt den Auftrag an Archivarin Hellerer, noch einmal Straßennamen mit Personenbezug auf NS-Bezüge zu untersuchen, für „ein bisschen schikanös“.
Alle Beschlussvorschläge der Verwaltung aber fanden Zustimmung im Gemeinderat.
Wie geht man mit NS belasteten Namen auf Straßenschildern um?
Naheliegend ist es, diese gegen wirklich verdiente Persönlichkeiten auszutauschen.
Wir haben eine Zeit hinter uns, in der verdrängt und kleingeredet wurde. Wer sich nach dem Krieg als Wohltäter zeigte, konnte sich seine NS beschmutzte Weste allzu leicht wieder reinwaschen. Er/Sie konnte auch wieder durch einen Straßennamen geehrt und somit entschuldet werden.
Es ist nun leicht, sich als Nachgeborener über die Verführbarkeit, Feigheit und den Opportunismus der vorangegangenen Generationen als moralisch überlegen zu positionieren. Einer Geschichtsvergessenheit ist jedoch entschieden entgegenzutreten. Anstatt zu tilgen, was war, könnten belastete Straßennamen kommentiert beibehalten werden. Etwa so:
Alfred-Ploetz-Straße
Alfred Ploetz sen., führender NS Rassentheoretiker, lebte und arbeitete von xxx bis xxx mitten unter uns
Denn wir können uns nicht aus unserer Geschichte davon stehlen.
Sehr geehrter Herr Keim, Ihre im Artikel zitierte Stellungnahme macht nicht nur mich fassungslos! Insbesondere bei Herrn Ploetz hat es sich doch nachweislich um einen der schlimmsten Nazischergen gehandelt. Und Sie verbreiten Ihre offensichtlich unglaubliche Überzeugung, sein Tun sei kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen. Damit stellen Sie sich auf die Stufe des ehemaligen auch FDP-Gemeinderates Ploetz, der seinen Großvater, einen Nazi der schlimmsten Sorte, so nicht sehen will. Ich empfehle Ihnen dringend, etwas Geschichtsforschung zu betreiben. Schade Herr Keim, ich habe mir mehr von Ihnen versprochen.
Seit der Streichung des Vornamens im Jahr 2002 ist doch nicht mehr eindeutig klar, wer Namensgeber der Plötz-Straße ist. Oder wissen Sie da mehr? Und gemäss dem herrsching.online-Artikel bezieht sich die Aussage von Alexander Keim auf die Namensgeber.
Es geht um den Großvater, der im Jahr 1940 verstorben ist. Der gleichnamige Enkel ist sicher nicht gemeint. Da jetzt nur ein Familienname dasteht, sind viele Bewohner verwirrt. Eine ganze Familie wird ja doch selten geehrt. Der Gemeinderat hat schon vor einigen Jahren versucht, die problematische Namensgebung zu „entschärfen“ und den Vornamen weggelassen. Das diente eher der „Vertuschung“. Ich denke, so wie die Sache jetzt in der Herrschinger Verwaltung und im Gemeinderat gehaendelt wird, wird es noch sehr lange dauern, bis die Sache mit nationalsozialistisch belasteten Strassennamen in Herrsching zu einem Ende kommt.
Es gibt ja auch eine Schillerstraße in Herrsching. Die ist ganz gewiss nicht nach unserem derzeitigen Bürgermeister benannt 🙂
Spaß beiseite: es ist äußerst ungewöhnlich, dass eine Persönlichkeit so jung zu der Ehre kommt, dass eine Straße nach ihr benannt wird.
Die auf die Kurzform Ploetz-Straße reduzierte Benennung geht also ganz sicher auf Alfred Ploetz senior zurück und ist deshalb untragbar.