Ein Beispiel für funktionale und ökologische Bauweise: das neue Wohnungslosenheim in Herrsching. Architekt Christoph Welsch (Foto) ist auch stolz auf die perfekte Raumausnutzung. Foto: Gerd Kloos

Neues Heim für wohnungslose Herrschinger

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Die Lage ist zweideutig: Das neue Obdachlosenheim liegt – genau wie die wohnungslosen Mitbürger – am Rande der Gesellschaft. Oder anders: Das Heim steht im Grünen – nur Vogelgezwitscher stört die Ruhe. Am Mittwochabend wurde das Haus feierlich seiner Bestimmung übergeben.

Gediegen, ästhetisch und funktional: Außenansicht des neuen Heimes. Das Haus wurde in Holzständerbauweise errichtet. Zeichnung: werkraum a

Der Flachbau mit 8 Schlafräumen liegt an der Gewerbestraße neben der Kleingartenanlage und dem Schäferhundeverein. Fast in Rufweite befinden sich Supermärkte und Drogeriemarkt – wer das nötige Kleingeld hat, ist bestens versorgt.

Auf 166 Quadratmeter Wohnfläche sind 8 Apartments und 3 Funktionsräume untergebracht. Der Flur zu den Apartments führt über die Terrasse. Geheizt wird mit einer Wärmepumpe. Zeichnung: werkraum a

Bürgermeister Christian Schiller begann seine Einweihungsrede mit einem fast paradoxen Wunsch: Er wünsche sich, dass nicht soviele Bewohner kommen. Hintergrund dieses Wunsches: Wer in einem der schmucken Apartments strandet, der hat schon bessere Tage gesehen. Nachdem das alte Heim für Wohnungslose am Martinsweg ein hoffnungsloser Sanierungsfall geworden war (und außerdem einer Erweiterung des Schulhofs im Wege stand), suchte die Gemeinde auf Antrag der CSU-Fraktion einen neuen Standort. Es bot sich ein 200-Quadratmeter-Grundstück am Ende der Gewerbestraße an. Allerdings, räumte Schiller ein, waren die Nachbarn vom Kleingarten- und vom Schäferhundeverein nicht „Feuer und Flamme” wegen des neuen Nachbarn. Bei Planungsbeginn 2016 rechnete man im Bauamt noch mit Kosten um die 400000 Euro – 6 Jahre später sind es dann 930 000 Euro geworden. Trotzdem war es, so Schiller, kostenplanerisch fast eine Punktlandung.

Gruppenbild mit Bauherren und Spender: Bürgermeister Schiller freut sich über eine Spende des Rotaryclubs Ammersee, der durch den Präsidenten Bernhard Kern vertreten wurde. Ganz links im Bild: Malermeister und Gemeinderat Ludwig Darchinger; Mitte: Architekt Christoph Welsch; rechts: Bauamtsleiter Guido Finster

Architekt Christoph Welsch war ebenfalls zufrieden mit seinem Werk, das die 166 Quadratmeter Wohnfläche sehr raumsparend ausnutzt. Es gibt keinen Flur und keine Eingangshalle, die 8 Schlafräume mit eigener Sanitärzelle sind über die umlaufende Terrasse zugänglich. Diese Außenflur-Lösung, so steht es im Pressetext der Gemeinde, vermindere außerdem das „Konfliktpotenzial”. Dezentrales Konzept nennt das der Fachmann. Die Räume sind 13,5 Quadratmeter groß und bieten 3 Betten (ein Stockbett), abschließbaren Schränken und einem Tisch Platz. Ein Wasserkocher und ein Kühlfach machen das Leben zudem angenehmer. Das Bad ist 3,4 Quadratmeter groß. Ein Waschraum mit Waschmaschine samt Trockner, ein Technikraum und ein Mehrzwegraum bieten alles, was ein Mensch braucht.

Die Bauweise ist ökologisch auf dem neuesten Stand: Die Wände sind in Holzständerbauweise errichtet, die Decke besteht aus Massivholz und wird nächstes Jahr auch noch eine Photovoltaikanlage aufnehmen. Die Wände, das betonte der Architekt besonders, sind so stabil, dass sie auch roher Gewalt standhalten. Die Energiebilanz des Hauses kann sich sehen lassen – 22 kWh pro Quadratmeter sind ausgewiesen. „Damit ist das Haus energetisch hochwertig”, betonte Welsch.

Die „Punktlandung bei den Baukosten” (Schiller) führte Welsch auf die Vergabeart zurück: Nicht die Gemeinde, sondern ein beauftragter Unternehmer hatte alle Gewerke ausgeschrieben – das Bauamt blieb so von überraschenden Kostensteigerungen verschont.

Wichtig war den Rednern auch, dass das neue Haus kein Magnet für durchreisende Wohnungslose ist, sondern für in existenzielle Not geratene Herrschinger gebaut wurde. Die Sozialpädagogin Julia Schmidbauer, Leiterin des Sozialreferats, verwaltet zusammen mit Patrizia Göser vom Ordnungsamt die Hausbelegung. In diesem Jahr musste sich ihr Referat um 20 Haushalte kümmern, die in Wohnungsnot gerieten – im ganzen letzten Jahr waren es 50 Familien, die von Wohnungslosigkeit bedroht waren. Die Gründe, sagt Schmidbauer, seien vielfältig: Psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Eigenbedarfskündigungen oder auch Gewalt in der Familie seien oft Ursachen für drohende Obdachlosigkeit.

Nach der neuen Satzung für das Haus kostet eine Übernachtung 8,59 Euro. Auf die Frage im Gemeinderat, wie ein mittelloser Obdachloser diese „Hotel”-Kosten bezahlen solle, verwies die Gemeindeverwaltung auf die Unterstützung durch das Sozialamt oder auf die Jobcenter.

Und für längere Aufenthalte ist das Haus ohnehin nicht gedacht.

1 Comment

  1. Nur Lob fuer das neue Gebäude fuer Wohnungslose am Rande Herrschings in der Gewerbestraße.
    Es ist “funktional, ästhetisch, ökologisch, hat eine gute Energiebilanz”.
    Dem kann man nur zustimmen! Die Gemeinde hat da tatsächlich ein Vorzeigeprojekt geschaffen und keine billige Lösung gesucht.

    Aber warum hört das positive framing bei der Beschreibung der potentiellen Bewohner auf ?
    Musste es erwähnt werden, dass sogar der Schäferhundeverein und die Kleingärtner nicht “Feuer und Flamme” für die neuen Nachbarn waren?
    Musste es erwähnt werden, dass die Wände so stabil seien, dass sie “roher Gewalt” trotzen? Welche Gewalt ist gemeint?
    2017 wurden bundesweit 1400 Gewalttaten gegen Obdachlose polizeilich gemeldet, Tendenz steigend(nur 20 Prozent der Täter kommen aus dem Milieu der Obdachlosen). Welche Mauern müssen also wen vor wem schützen?

    Übrigens kann Jede/r (!) ganz schnell durch Krankheit, Jobverlust, persönliche Krise in die Obdachlosigkeit an den Rand der Gesellschaft und des Ortes “abrutschen.”Der Blick sollte schon allein deshalb ein empathischer sein.
    Und außerdem drängt sich natürlich die ultimative Frage auf: hat eigentlich Jemand die Wohnungslosen gefragt, ob sie Feuer und Flamme sind fuer Schäferhunde als neue Nachbarn?
    (Bitte keine Zuschriften, bin absolute Hundeliebhaberin..)

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