Das ist die passende Antwort auf die Kettensägen: Jede Herrschingerin, jeder Herrschinger pflanzt an ihrer, an seiner Hochzeit oder zur Geburt eines Kindes einen Baum. Mit dieser Idee will der Ingenieur für Landschaftsbau, Konrad Herz, die Seegemeinde noch grüner machen und die Fällungen dieses Winters kompensieren. Herz ist Mitglied der neuen Bürgerinitiative Pro Natur Herrsching. Im Interview mit herrsching.online bestreitet er, dass Baumschutz mit Bauschutz kollidieren müsse. Man könne sogar eine 100-jährige Eiche wegen eines Neubaus erfolgreich umpflanzen. Herz plädiert noch einmal für eine wirksame Baumschutzverordnung, die zu Herrsching passe. „Das ist kein Hexenwerk“.

herrsching.online: Haben Sie es schon einmal erlebt, dass ein ökobewusster Bauherr sein Haus um einen Baum herumgebaut hat?
Herz: Ein Gebäude so zu errichten, dass die Bäume erhalten werden, geschieht häufiger als gedacht. Ich habe Bauvorhaben mit Aussparungen in Terrassen und Holzdecks gebauleitet, durch die dann ein vorhandener Baum weiterwachsen kann. Spannend bei jedem Projekt ist, wie zufrieden die Bauherrschaft bei Fertigstellung ist, weil es gleich eine passende, große dritte Dimension im Garten gibt. Gleiches gilt für die Option, große Bäume per sogenannter Großbaumverpflanzung zu sichern und nach Fertigstellung der Baumaßnahme an anderer Stelle auf dem Grundstück anzupflanzen. In Fürstenfeldbruck ist im Herbst letzten Jahres eine 100-jährige Eiche auf diesem Weg umgezogen.
herrsching.online: Viele private Bauherren betrachten Bäume auf dem Grundstück immer noch als Freiheitsberaubung, weil Bäume sich ihren Plänen in den Weg stellen. Sehen Sie bei den Baumherren inzwischen ein Umdenken?
Herz: Die Erfahrung mache ich gar nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich zu 95 Prozent der Bauvorhaben mit qualifizierten Landschaftsarchitekten/-Innen arbeite. Im Zuge der Planung hat es so umfangreiche Vorgespräche und einen intensiven Ideenaustausch gegeben, dass der Stellenwert von Grün längst mehr ist als Alibi oder Staffage. Herrsching ist dafür doch ein gutes Beispiel. Ich würde behaupten, dass die Bürgerinnen und Bürger in Herrsching seit Bestehen der Gemeinde ein Vielfaches der Pflanzen gepflanzt haben, die die Gemeinde selbst in die Erde gebracht hat.
herrsching.online: Wenn Menschen wegen eines Golfrasens im Garten die Axt anlegen, müssen Baumfreunde zu Partisan Gardening greifen? Zum Beispiel zur Wiederanpflanzung von abgeholzten Bäumen im öffentlichen Raum ohne Genehmigung?
Herz: Ich kenne einen alten Gärtner, der seit Jahrzehnten unweit von Herrsching im Winter Zeit verbringt. Dieser Gärtner hat in 40 Jahren jährlich auf seiner Reise einen kleinen Baum mitgebracht und an ausgewählten Standorten eingepflanzt. Nicht jeder gepflanzte Baum ist vorher genehmigt worden. Daraus sind im Laufe der Jahre viele stattliche Bäume geworden und von „Gärtner zu Gärtner“ sind in dem Ort mittlerweile auch zwischenmenschliche Wurzeln gewachsen. Der Gärtner ist mein Vater.
herrsching.online: Baumexperten schwärmen davon, dass in Zukunft Bäume einen konkreten Wert haben. Dieser grüne Wert und die Erhaltung dieses atmenden Gutes wirke sich künftig sogar in der private Steuererklärung positiv aus. Glauben Sie daran, dass sich Bäume künftig in Euro und Cent rechnen?
„Ich bin kein Baumumarmer“
Herz: Ich bin wahrlich kein esoterischer Baumumarmer, aber die Idee, dass Bäume monetarisiert werden, ist für mich absurd. Treevolution hat der Gemeinde das Modell vorgeschlagen. Dabei sollen die Kohlenstoffeinlagerungen im Holzteil der Bäume kompensierend zur Treibhausgas-Berichterstattung bilanziert werden. Das heißt, die Torsi ohne Krone, die zum Beispiel am Rauscher Fußweg oder vis a vis der Hechendorfer Straße am Zugang zum See stehen, gehen in die Bilanz ein. Ein Kind malt doch keinen Baum als dicken braunen Strich? Ausstoß und Abbau von CO2 gehören in diese Bilanz. Wer bilanziert den Herrschinger Ausstoß und wie? Ist der Bilanz-Stichtag des Baumes die Keimung? Die des Gymnasiums dieGrundsteinlegung mit allen Baumaschinen, An- und Abtransporten? Was ist „Soll“ und was wird „Haben“? Ein Baum, jede Pflanze rechnet sich – schon immer. Ohne Bilanz – sowieso.
herrsching.online: Sind Bäume künftig Assets (Vermögenswerte), die einer Gemeinde einen großen Standortvorteil verschaffen und nicht nur teure Unterhaltsmaßnahmen verursachen?
Herz: Was ist teuer? Der Bürgermeister zeigt in seiner Bürgerveranstaltung eine Postkarte von 1912 und freut sich darüber, dass 2022 mehr Bäume an gleicher Stelle stehen. Das ist nicht Ergebnis seiner vermeintlich fleißigen Pflanzarbeit, sondern ganz im Wesentlichen Ergebnis der „Fruchtfolge“ von Eigentum. Diejenigen, die in hundert Jahren landwirtschaftliche Flächen in Bauland umgewidmet haben, haben indirekt für die Anpflanzungen gesorgt.
„Grundstückseigentümer sind nicht Gefangene Ihrer Anpflanzungen“
Die meisten Bäume, Sträucher und Hecken in Herrsching stehen doch auf privatem Grund? Der Bürgermeister suggeriert mit seiner Form der Darstellung, dass Grundstückseigentümer mit einer Baumschutzsatzung quasi zu Gefangenen ihrer Anpflanzungen würden. Das ist doch gar nicht der Fall. Der Bürgermeister weiß, dass die Holzverlattung des Gymnasiums oder der neue Asphalt der Mühlfelder Straße keinen ökologischen Mehrwert für Herrsching hat. Das bisschen Baumpflege und die paar Pflanzungen, die veranlasst werden, sind doch gegen die anstehenden beziehungsweise die getätigten Investitionen ein Klacks. Die Idee „Standortvorteil“, den Anpflanzungen bieten, müsste sich im Kopf breit machen und verfestigen.
herrsching.online: Ein Baumkataster, wie es Herrsching inzwischen pflegt, könnte ja ein Anfang für ein Umdenken sein. Da ist aber der ernüchternde Satz, dass Baurecht Baumrecht bricht. Muss der Paradigmenwechsel vor allem beim Gesetzgeber vollzogen werden?
Herz: Das Baumkataster wird doch an der Haltung nichts verändern. Wenn Sie in der Gemeinderatssitzung vom 21. März gesehen haben, wie der Bürgermeister kaum noch hat aufhören können zustimmend zu nicken, als Herr Schaft von Treevolution die Vorzüge der CO2-Wäsche mit den Gemeindebäumen erläutert hat, ist ein Umdenken anscheinend weit, weit entfernt. Das Aussetzen der Baumschutzsatzung 2018 hat nicht dazu geführt, dass 2018 ein Fond oder ein zweckgebundener Grundstock zur Förderung von Anpflanzungen aufgelegt wurde. Wenn es diese behauptete Idee gibt, warum ist in den letzten 4 Jahren nichts unternommen worden?
„Kein einziges umweltrelevantes Ziel“
Wieviele Baumstandorte sind von Treevolution als „nicht besetzt“ kartiert? Über 50 – und davon viele länger als 2018. Der Bürgermeister kann keine Gesetzte ändern, aber ein Vorbild mit einer gewissen Richtlinienkompetenz ist der Bürgermeister bei dem Thema nicht. Über Bebauungspläne erhaltenswerte Bäume festzusetzen, wäre ein kleiner Anfang. Schauen Sie sich die politischen Programme und Ziele der verschiedenen Herrschinger Parteien der vergangenen Kommunalwahl an. Da finden Sie beim Bürgermeister nicht ein einziges umweltrelevantes Ziel für die Zukunft der Gemeinde.
herrsching.online: Im Gemeinderat blieb der Experte die Antwort schuldig, welche Bäume dem Klimawandel in Herrsching trotzen. Welchen Rat haben Sie für Baumfreunden, die für Ihre Enkel erfolgreich pflanzen wollen?
Herz: Die Frage nach dem Baum konnte Herr Schaft nicht beantworten, weil dazu tatsächlich die Kenntnis über mehrere Standortfaktoren wichtig sind. Bei der Bayerischen Landesanstalt für Gartenbau in Veitshöchheim gibt es seit mindestens 7 Jahren ein Forschungs- und Innovationsprojekt mit Versuchsbaumarten zum Klimawandel. Und 2010 wurde das „Bayerische Netzwerk Klimabäume“ ins Leben gerufen. Weil Sie nach den Enkeln fragen: Im Gemeindegebiet kann mit Rückgriff auf die Liste dieser Klimabäume zum Beispiel ein Arboretum (Sammlung verschiedener Gehölze; Red.) von Geburts- und Hochzeitsbäumen entstehen.
Das wäre ein praktisches Projekt und gleichzeitig mit dem Symbolcharakter für Zuversicht, Optimismus und Zukunftsglaube verbunden sowie ein jeweils ganz persönlicher Beitrag zum Klimaschutz. Pro Hochzeit und Geburt ein Baum? Das hätte doch was! Ganz praktische Bürgerbeteiligung.
herrsching.online: Der Bürgermeister hat in vielen Sitzungen erläutert, warum eine Baumschutzverordnung nicht funktioniert. Wie müsste man sie gestalten, dass sie doch funktioniert und nicht mit dem berühmten Eigentumsvorbehalt kollidiert?
„Es gibt eine Musterbaumschutzsatzung, die nicht von Kampfgrünen stammt“
Herz: Die inhaltliche Gestaltung eine Baumschutzsatzung ist nicht schwierig. Es gibt vom Deutschen Städtetag seit 2010 eine Musterbaumschutzsatzung, die vom Arbeitskreis der Gartenamtsleiterkonferenz Deutschland erarbeitet wurde. In dem Gremium sitzen keine Kampfgrünen, sondern erfahrene und qualifizierte Fachleute, die sich ganz pragmatisch Gedanken über die Lebensqualität der Bevölkerung machen.
Die auf die örtlichen Verhältnisse anzupassen, ist kein Hexenwerk. Die grundsätzliche Frage, ob der Bürgermeister in gemeindeökologischer und gemeindegestalterischer Hinsicht über solche Werkzeuge Einfluss nehmen möchte, kann ich nicht beantworten.
Wie schnell sich zig Bürgerinnen und Bürger an die Herrschinger Bürgerinitiative „Pro Natur Herrsching“ gewandt haben, zeigt in meinen Augen, dass es ein breites Interesse am Thema gibt. Leider scheint das Herrschinger Klima bei dem Thema eingetrübt zu sein. Als sogenannter „Bürgermeister für alle“ zu suggerieren, dass „echte“ Einheimische die Vorzüge in Herrsching einschließlich fortschreitender Bebauung hinnehmen und die Zugezogenen die kritischen Geister sind, die ihn „nachdenklich“ machen, ist für eine vorurteilsfreie Diskussion nicht hilfreich.
Warum werden die Meinungen im Gemeindegebiet von Herrsching immer lauter, dass im Rathaus leider nur wenig Interesse am Naturerhalt besteht? Warum zeigt sich immer mehr Profitgier und Maßlosigkeit, besonders bei Maximalbebauungen für wenige Betuchte, denen Bäume. Büsche und Blumenwiesen zum Opfer fallen? Verschandelte Ortsbilder und erhöhte Gefahr durch wachsendes Verkehrsaufkommen als Folge eingeschlossen? Weil die Gesetze halt so sind, weil andere Institutionen zuständig sind, oder weil man eh nichts ändern kann?
Ist es da vielleicht mal bedenkenswert, dass die Corona Pandemie, während wir Menschen immer weiter die Lunge unserer Erde zerstören, die Lunge des Menschen, als einzige Spezie aller Wesen, angreifen? Was ja bekanntlich oft zum Tod führt?
Wollten wir nicht aus der Pandemie lernen?
Ein kluger Mann sagte einmal: “ Der Verstand des Menschen ist wie ein Sektkorken, der auf den Wellen des Meeres tanzt und ruft: „Ich bin der Ozean, ich bin der Ozean..“
Nichtsdestotrotz hoffe und träume ich weiter davon, dass bei Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung ganz bald ein Sinneswandel geschieht. Und dass dann Natur-Klima-Mensch-Tier- und Artensschutz einen großen Stellenwert bei ihren Planungen und Aktivitäten erhalten. Auch als Vorbild und Anregung für uns Bürger, vielleicht doch einmal um einen schattenspendenden Baum herum zu bauen.