„Warum grenzt ihr euch selber aus?”

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Mit 7226 Buchstaben durfte der Impfskeptiker Dr. Martin Hirte auf herrsching.online seine Thesen zu Covid, Corona-Maßnahmen und den „Spaziergängen” darlegen. Hirte hatte beim Verwaltungsgericht München auch gegen das Verbot des Landratsamtes geklagt – mit Erfolg. Jetzt antwortet ihm die Ärztin Dr. Regine Böckelmann, die lange in Andechs eine Arztpraxis führte. Regine Böckelmann beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Infektionsgeschehen in Deutschland und mit den Studien zu diesem Thema. Hier ihre Antworten auf die Argumente von Martin Hirte.

Von Dr. Regine Böckelmann

„Ich weiß nicht, wo Herr Hirte eine „unglaubliche Eskalation” zu beobachten glaubt. Im Vergleich zu den zeitweiligen Lockdowns in den letzten beiden Jahren können wir jetzt ein verhältnismäßig freies Leben führen, die Schulen bleiben offen, wenn auch mit Einschränkungen, weil immer wieder Lehrer und Schüler durch Krankheit oder Quarantänemaßnahmen ausfallen. Restaurants, Läden und manche Kulturveranstaltungen stehen zur Verfügung, wenn auch mit der teilweisen Einschränkung durch „2G”.

Findet die Eskalation nicht eher bei denen statt, die der Maßnahmen und Einschränkungen müde sind (wie wir alle), aber meinen, das Problem auf ihre Weise lösen zu müssen?

Impfgegner beklagen „gesellschaftliche Ausgrenzung”, weil sie im öffentlichen Leben stärker eingeschränkt werden als geimpfte Personen. Da möchte ich fragen: Warum grenzt ihr euch selber aus? Warum wollt ihr die Ängste der Menschen nicht wahrhaben und ernstnehmen, die sich vor einer Ansteckung fürchten und die durch eine Erkrankung womöglich schweren Schaden erleiden könnten? Die Politik tut nichts anderes, als die Interessen dieser Leute, wie auch die der Pflegekräfte und Ärzte, die seit Monaten am Limit arbeiten, zu vertreten.

Was ist wichtiger als körperliche Unversehrtheit?

Zu den vielbeschworenen “Grundrechten” könnte man fragen, welches Grundrecht denn als das höhere angesehen werden muss – das auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, oder das auf körperliche Unversehrtheit? Das Argument, dass man sich auf Versammlungen an der frischen Luft überhaupt nicht anstecken kann, kann ich nicht nachvollziehen, vor allem, wenn sie ohne jede Schutzmaßnahmen stattfinden. Dass Masken schützen, ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen. Teilnehmer an Großdemonstrationen stehen dicht an dicht, sie kommen häufig von weit her und sind auf gemeinsamen Busfahrten zum “Einsatzort” gelangt. Sie haben die Infektionen mit Sicherheit in ganz Deutschland gut verteilt, was aber bei den lokalen Inzidenzen schwer nachweisbar gewesen sein dürfte.

3 Millionen ungeimpfte Senioren

Dass die Omikron-Variante gerade “durchrauscht”, ist sicher richtig. Ich beobachte das auch selbst bei meinen Kindergarten-Enkeln, bei denen

jetzt eins nach dem anderen positiv getestet wird. Die Hoffnung, dass diese Variante weniger schwere Erkrankungen verursacht, bei den meisten jedenfalls, scheint sich zu bestätigen. Die Belegung der Intensivstationen mit Covid-19-Patienten geht zurück, ebenso wie die Zahl der täglich gemeldeten Todesfälle. Der Schutz vor schwerer Erkrankung ist vor allem denen sicher, die eine dreimalige Impfung schon hinter sich haben.

Die Maßnahmen, die jetzt noch gelten, sind dazu da, die Höhe der „Welle” abzumildern, weil sonst zu viele Leute auf einmal krank werden könnten, sodass die Krankenhäuser wieder überlastet wären und auch große Teile der arbeitenden Bevölkerung ausfallen würden, die zwar nicht ins Krankenhaus müssten, aber eben doch für einige Zeit in ihren Jobs ausfallen würden. Außerdem gibt es noch immer etwa 3 Millionen ungeimpfte über 60–Jährige in Deutschland, für die nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei ihnen nicht doch auch die Omikron-Variante schwere Krankheitsverläufe verursacht.

Niemand gibt sich noch der Illusion hin, dass das Virus „besiegt” werden kann. Auch von der sogenannten „Herdenimmunität” hat man sich längst verabschiedet. Das Ziel ist, das Infektionsgeschehen endemisch werden zu lassen, das heißt: Es werden immer noch einzelne Erkrankungen innerhalb einer Bevölkerung auftreten, aber eben nicht im epidemischen oder pandemischen Ausmaß, bei dem große Teile der Bevölkerung zum gleichen Zeitpunkt betroffen sind. Es wird dann so ähnlich sein wie bei der Grippe, es werden vielleicht noch kleine, lokal begrenzte Epidemien auftreten, sie werden aber nicht mehr das große Ganze betreffen.

Je größer das Infektionsgeschehen, desto größer die Gefahr von neuen Mutanten

Dazu wird auch eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung beitragen, die wir jetzt noch nicht hatten, weil das Sars-2-Virus neu war deshalb auf eine “immunnaive” Bevölkerung getroffen ist. Das mit der Grundimmunität geht natürlich besser und schneller, je mehr Leute sich impfen lassen. Bei der Grippe-Epidemie vor 100 Jahren hatte man noch keine Impfung, und die Auswirkungen in Deutschland und in der Welt waren bekanntermaßen fatal. Ein anderer Grund, weswegen man die Infektionen nicht unbegrenzt laufen lassen kann, ist die Gefahr, dass sich bei großer Verbreitung der Infektionen neue Mutanten bilden, von denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie noch gefährlicher sind als die bisherigen.

Herr Hirte hat natürlich recht, dass die Wirkung der Corona-Impfstoffe deutlich kürzer und schlechter ist, als man gehofft hatte. Aber einen gewissen Schutz bieten sie eben doch, und das ist besser als nichts. Sie haben vielen Menschen, vor allem uns Älteren, wieder viel größere Freiheiten verschafft und haben die Zahl von schweren Erkrankungen und Covid-Patienten auf den Intensivstationen reduziert, wo bekanntlich der Anteil der Ungeimpften jetzt überdurchschnittlich hoch ist.

Zu den Nebenwirkungen hat sich Landrat Frey schon geäußert und Zahlen dazu geliefert. Die Impfgegner operieren hier teilweise mit astronomisch hohen Zahlen aus dem Paul-Ehrlich-Institut, wo die Meldungen über Impfnebenwirkungen zusammenlaufen. Dabei wird jedoch nicht unterschieden zwischen leichten Nebenwirkungen und schwereren, wie Herzmuskelentzündung.

Geimpfte sind kürzere Zeit ansteckend

Die Impfung von Kindern und Jugendlichen kann man natürlich kritisch sehen. Die Kinder erkranken selten schwer, manchmal aber eben doch, wie der Bericht von Herrn Frey über seinen eigenen Sohn beweist. Wir könnten uns die Diskussion über Kinderimpfungen ersparen, wenn sich noch mehr Erwachsene als jetzt zu einer Impfung bereit erklären würden.

Völlig ausgeblendet wird bei allen Impfskeptikern leider der Aspekt der Solidarität. Solidarität mit denjenigen, die vom weniger gefährdeten Teil der Bevölkerung angesteckt werden und in der Folge schwer erkranken können. Solidarität auch mit Pflegekräften und Ärzten, mit Patienten, die aus anderen Gründen einen Platz auf der Intensivstation benötigen und manchmal unvertretbar lange auf dringend notwendige Eingriffe warten müssen.

Außerdem wird die Pandemie umso schneller zu Ende gehen, je mehr Personen geimpft sind. Auch wenn die Impfung keine sterile Immunität erzeugt, das Virus also auch durch geimpfte Personen weitergegeben werden kann – die Wahrscheinlichkeit ist geringer, und die Zeit, während der Geimpfte ansteckend sind, kürzer.

Ob eine allgemeine Impfpflicht auch für Kinder kommen soll, ist noch strittig. In Österreich wurde die Impfpflicht soeben für Personen über 18 Jahre beschlossen, Kinder und Jugendliche sind davon also nicht betroffen.

Zum Schluss noch eine Anmerkung: Die WHO hat schon im Frühjahr 2020 konstatiert, dass Impfskepsis mittlerweile eine der zehn größten Gefahren für die Gesundheit der Menschen sei. Ich selbst bin knapp am Rollstuhl vorbeigekommen durch eine Erkrankung an Kinderlähmung mit 6 Jahren und weiß den Wert der Impfungen daher umso mehr zu schätzen.”

3 Comments

  1. Ja, auch wir werden Omikron wahrscheinlich wie eine Grippe behandeln können, aber es ist noch zu früh dafür. Im Moment werden so viele Menschen gleichzeitig krank, dass die Gesundheitsämter mit der Erfassung gar nicht mehr hinterherkommen. Das wirkt sich natürlich auf die Arbeitswelt aus – vielleicht werden Sie das auch noch mitbekommen.
    Zu den Vergleichen mit anderen Ländern: Großbritannien etwa ist nun wirklich kein leuchtendes Beispiel. Dort liegt die Todesrate bei 228 pro 100 000 Einwohner, bei uns liegt sie bei 140. Und ja, jemanden wie Boris Johnson würde ich tatsächlich als verantwortungslos bezeichnen. Außerdem setzt auch GB auf eine hohe Impfquote….

  2. ” Warum wollt ihr die Ängste der Menschen nicht wahrhaben und ernstnehmen, die sich vor einer Ansteckung fürchten und die durch eine Erkrankung womöglich schweren Schaden erleiden könnten?”

    –> Ich dachte die Impfungen sollten vor Ansteckung und schwerer Erkrankung schützen? Ist das nicht ein wenig paranoid, dass sich die geimpften mehr fürchten als die Ungeimpften?

    “…. könnte man fragen, welches Grundrecht denn als das höhere angesehen werden muss – das auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, oder das auf körperliche Unversehrtheit?”

    –> Haben Sie als Ärztin da wirklich noch Zweifel, haben Sie nicht den Hippokratischen Eid geschworen:”primo nil nocere”!(das Bild des geimpften Kindes oben drückt im übrigen genau den ärzlichen Kunstfehler angesichts der wissenschaftlichen Datenlage aus). Alle Studien sagen auch, dass die Übertragung im Freien vernachlässigbar ist.

    ” Das mit der Grundimmunität geht natürlich besser und schneller, je mehr Leute sich impfen lassen.”

    –> dem widersprechen alle derzeitigen Infektionsverläufe diametral, und die Bildung von Mutanten wird erwiesenermaßen durch das Impfen in eine Pandemie hinein gefördert.

    “Völlig ausgeblendet wird bei allen Impfskeptikern leider der Aspekt der Solidarität”

    –>Wir opfern also die Kinder um der Solidarität willen? Komischerweise ist unter dem (Intensiv)-Pflegepersonal die Impfskepsis am größten…

    “Die Impfgegner operieren hier teilweise mit astronomisch hohen Zahlen aus dem Paul-Ehrlich-Institut…”

    –> Ich sage Ihnen: Es gibt eindeutige Hinweise, dass die Zahlen noch wesentlich höher sind, da nur ein Bruchteil der Impfebenwirkungen gemeldet wird.

    “Sie haben vielen Menschen, vor allem uns Älteren, wieder viel größere Freiheiten verschafft…”
    –> Ist das Ihre besondere Art der Satire? Und: Sie haben doch gute Informationen wie es auf den Kinderpsychatrischen Abteilungen aussieht und wissen vermutlich auch, dass die Suizidrate der Kinder um 400% zugenommen hat!
    Soviel zur Verhältnismäßigkeit der Mittel…..

    • Ja, Herr Hufner, ich mache mir ebenfalls Sorgen wegen der Belastungen bis hin zu psychischen Erkrankungen der Kinder.
      Das beste Mittel, ihnen entgegenzuwirken, wäre jedoch, die Pandemie einzudämmen, sodass auch für die Kinder wieder alle Freiheiten möglich sind, sie keine Masken mehr tragen müssen, sich unbegrenzt mit ihren Freunden treffen können, usw.
      Pandemiebekämpfung funktioniert aber nicht dadurch, dass man sie für nicht existent erklärt und die Impfung verteufelt.
      Sie würde besser funktionieren, wenn mehr erwachsene Impfskeptiker ihre unsinnige Verweigerungshaltung aufgeben würden oder sich zumindest an Maßnahmen zur Beschränkung der Infektionsausbreitung halten würden.
      Sie und Ihre Mitstreiter lässt es anscheinend vollkommen kalt, dass immer noch ca. 1500 Menschen in Deutschland pro Woche im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion versterben und dass das Klinikpersonal total ausgelaugt ist.
      Es ist keine Option, die Omikron-Welle einfach durchrauschen zu lassen, wenn so viele Menschen noch keinerlei Schutz gegen eine solche Infektion haben. Die Gefahr künftiger, neuer Mutanten ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
      Insofern geht Ihr Vorwurf, ich würde mich nicht an das Genfer Gelöbnis für Ärzte (das den Hippokratischen Eid ersetzt hat) halten, vollkommen ins Leere. Genau das, was da drinsteht, versuche ich umzusetzen – nach bestem Wissen und Gewissen.

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