Führen diese Gleise ins Nirgendwo, oder könnte neues Leben auf alten Schienen entstehen? Eine Bürgerinititative hat sich schon einmal über die Zukunft des Bahnhofs den Kopf zerbrochen. Foto: Gerd Kloos

Bahnhofsmission: Wer sammelt die Millionen ein?

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Mit Sozialromantik und „Gutmenschentum“ ist der Herrschinger Bahnhof nicht zu retten. Für die Sanierung der denkmalgeschützten Bruchbude braucht man „Macher und Emotionsmenschen“, sagt der Genossenschaftsexperte, freiberufliche Heimatentwickler, Hotelier, Immobilienentwickler und Brauereibesitzer Christian Skrodzki. Der Unternehmer hat schon ein Dutzend öffentliche Gebäude wiederbelegt. Und man braucht natürlich Geld, viel Geld für das Projekt. Da die politische Gemeinde angeblich keines mehr hat, schlägt Skrodzki privates Investment in Form einer Genossenschaft vor.

In Leutkirch haben 700 Bürger eine Million investiert, um die schöne Idee eines Bürgerbahnhofs zu realisieren. Damit Bürgerinnen und Bürger (die haben genug Geld auf dem Konto, sagt Skrodzki) investieren, muss eine Genossenschaft von respektablen Fachleuten geleitet werden, die viel vom Bauen und vom Geld verstehen.

Skrodzki würde ihnen beratend zur Seite stehen – und dann auch gleich soziale Blütenträume rupfen. Denn die Investoren wollen eine Dividende für ihr Geld – wie hoch die ist, sei nicht entscheidend, sagt der gelernte Bankkaufmann. Damit eine Gewinnbeteiligung ausgeschüttet werden kann, muss der neue Bahnhof aber profitabel arbeiten – zum Beispiel mit einer gut funktionierenden Gastronomie. Herrsching, so der Immobilienentwickler, muss sich nun auf die Suche nach Managern machen, denen man Millionen anvertrauen kann, damit sie den alten Bahnhof wieder zum Laufen bringen. Mit Seniorentreffs, Nachwuchsbarden und Kunstaustellungen ist das nicht zu schaffen. Skrodzki hat herrsching.online verraten, wie’s funktionieren könnte.

herrsching.online: Wie bringt man Bürger dazu, in einer Genossenschaft Geld zu investieren? Mit welchen Argumenten haben Sie in Leutkirch für den Bahnhof über eine Million Euro eingesammelt?

„Heimatentwickler“ und Genossenschaftsprofi Christian Skrodzki.

Christian Skrodzki: Wir haben für den Bürgerbahnhof in Leutkirch 1,1 Millionen Euro eingesammelt. Wir hätten übrigens auch noch mehr einsammeln können, dieses Geld hätten wir aber nicht gebraucht. Ja, wie erklärt man den Bürgern ein Genossenschaftsprojekt? Man muss den Bürgern klar machen, dass sie mit ihrem Genossenschaftsanteil ein Stück Heimat bewahren und ein Stück Zukunft gestalten. Die Menschen investieren nur, wenn sie einen Sinn in dem Projekt sehen. Das Ganze muss natürlich, ich sag’s mal etwas flapsig, einen „sexy“ Anstrich haben. Die Bürger müssen das Gefühl bekommen, dass sie zu dem Erfolgsmodell dazugehören wollen. Das Geld kann eine Genossenschaft nur generieren, wenn das Projekt passt und eine spannende Geschichte hat. Für viele Bürger ist ein Bahnhof mit persönlichen Erlebnissen verknüpft. 

herrsching.online: Das Projekt ist das eine, aber ein Projekt braucht ja auch Personen, die es vorantreiben?

Skrodzki: Das ist die zweite Voraussetzung für das Gelingen. Sie brauchen Motoren, also Macher,  Emotionsmenschen. Die müssen dem Bürger das Gefühl geben: Wenn ich in dieses Projekt 1000 Euro oder noch viel mehr investiere, ist das Geld in guter Hand.

herrsching.online: Sie meinen, niemand vertraut Laien, die es gut meinen, aber vielleicht nicht gut machen, Geld an?

Skrodzki: Ja. Die Genossenschaftsmacher müssen den Leuten glaubhaft das Gefühl vermitteln, dass sie mit dem Geld ordentlich umgehen, dass das Geld in guten Händen ist. Ohne jetzt eine Berufsgruppe zu beleidigen, so nur als Beispiel, würde man zum Beispiel einem  Realschullehrer eher nicht zutrauen, dass er ein historisches Gebäude umbauen kann, und zwar in einem engen Kostenrahmen. Ganz vorne dran in einer Genossenschaft muss ein Mann oder Frau stehen, der /die unternehmerische Erfahrung mitbringt. In Leutkirch führte neben mir als gelerntem Bankkaufmann und Unternehmer ein Handwerksmeister die Genossenschaft. Der Handwerksmeister hatte schon viele Gebäude umgebaut, er brachte die baufachliche Expertise mit. Meine Wenigkeit als  Bankkaufmann weiß, wie man mit Geld umgeht.

Im sanierten Bahnhof von Leutkirch stecken 1,1 Millionen Bürgergeld drin. Dabei geht es der Bahnhofs-Genossenschaft, die den Umbau finanziert hat, prächtig, sagt der Projektleiter Christian Skrodzki. Das Leutkircher Modell könnte Vorbild für den Herrschinger Bahnhof sein. Foto: MARIUS BADSTUBER

herrsching.online: Eine Genossenschaft braucht also andere Strukturen als beispielsweise eine Bürgerinitiative?

Skrodzki: Das ist etwas ganz anderes als eine Initiative beispielsweise gegen Windräder. Nein, bei Genossenschaften geht es darum, Geld einzusammeln bei Leuten, die Geld auf dem Sparbuch liegen haben, aber wie alle Süddeutschen, ihr Geld selbstverständlich auch lieben. Wir reden jetzt von rund 75 Prozent der süddeutschen Bevölkerung, die über ausreichende Mittel verfügen.

herrsching.online: Bei der Mentalität, die Sie schildern, ist den Leuten doch auch wichtig, dass sich das Geld verzinst, dass Dividenden ausgeschüttet werden?

Skrodzki: Wenn eine Genossenschaft sagen würde: Du als Investor bekommst gar nichts, wäre es sicher schwieriger. Aber die Höhe der Verzinsung ist nicht das Entscheidende für das Gelingen einer Genossenschaft. Wir zahlen den Genossen des Bürgerbahnhofs in Leutkirch zwischen ein und zwei Prozent pro Jahr aus. Bei einer anderen Genossenschaft, der Allgäuer Genussmanufaktur, die ich ebenfalls in der Nähe von Leutkirch gegründet habe, bekommen die Bürger Einkaufsgutscheine als Verzinsung. Für die meisten der Genossenschaftsmitglieder ist die Höhe der Dividende nicht wichtig.  Wenn man einem Süddeutschen sagen würde: Du gibst 1000 Euro und bekommst nichts außer einem gutes Gefühl dafür, das würde einen Süddeutschen nicht motivieren, bei einer Genossenschaft mitzumachen. Wenn eine Genossenschaft überhaupt keine Dividende bezahlen kann, dann ist das Geschäftsmodell offensichtlich nicht gut durchgerechnet worden.

herrsching.online: Genau hier gibt es einen Zielkonflikt. Viele Bürger, die ein altes, ungenutztes Objekt wieder beleben wollen, stellen sich eine soziale Nutzung des Hauses vor. Aber Bürgerstübchen, Seniorentreffpunkte, Ausstellungsräume oder Vereinsheime erwirtschaften ja keinen Ertrag – sie kosten nur Geld. Wie löst man solche Konflikte?

Skrodzki: Als in Leutkirch die Idee des Bürgerbahnhofs veröffentlicht worden war, meldete sich auch ein ehrenamtlicher Verein mit dem Wunsch eines Vereinstreffs. Ich hab zurückgefragt: Wieviel Quadratmeter braucht ihr, danach berechnet sich die Miete. Da kam die Rückfrage, kostet das Miete?  Natürlich, hab ich gesagt, wir sind ja nicht ein Wohltätigkeitsunternehmen, sondern ein Wirtschaftsbetrieb, der sich rechnen muss. Daraufhin habe ich nie mehr etwas von dem Verein gehört.  Es geht bei solchen Projekten um die Wiederbelebung eines Ortsbild-prägenden Gebäudes, hinter dem ein Geschäftsmodell stehen muss. Zwar ehrenamtlich organisiert, aber dennoch den normalen Marktbedingungen unterworfen.

herrsching.online: Das naheliegendste Geschäftsmodell wäre die Gastronomie…

Skrodzki: Klar, zu einem Bahnhof passt zum Beispiel ein Cafe oder eine Gastwirtschaft. Und für die Genossenschaft ist es ein kleines Bonbon, wenn sie in dem von ihr finanzierten Gebäude ihre Versammlungen abhalten können. Oder wenn Genossenschaftsmitglieder ihre privaten Feiern hier abhalten können. Sie haben das Gefühl, dass sie in ihren eigenen Wände feiern dürfen. Da kommt doch Besitzerstolz auf.  Aber eine Gastronomie wäre zu wenig – verschiedene Mieter geben Sicherheit.

herrsching.online: In den Projekten, die Sie betreut haben, ist immer eine Gastronomie dabei?

 Skrodzki: Ja, meine Projekte haben alle eine Gastronomie. Der Leutkircher Bürgerbahnhof hat eine große Gastronomie  mit Hausbrauerei, die Allgäuer Genussmanufaktur in Urlau hat ein Dorfcafe, die alte Schule in Bühl, deren Gernossenschaftsgründung ich begleitet habe, bekommt ebenfalls ein Cafe.

herrsching.online: Wieviele Genossenschaftsprojekte haben Sie denn schon betreut?

Skrodzki: Über ein Dutzend.  Ich berate, und ich zünde die Leute an,  aber ich bringe den Karren nicht zum Laufen. Das können nur Leute, die vor Ort sind, das ist unabdingbar.  Sie müssen unternehmerisch denken,  und sie müssen „all in“ gehen. So nebenher geht das schwer  – da reichen in der Anfangs- und Bauphase sicher drei Stunden in der Woche nicht aus.

Beim Projekt Huber-Häuser in Dießen berate ich eine Bürgergruppe in Sachen Genossenschaftsgründung. Aufgrund des Umstandes, dass die Bürgergruppe in Dießen die Voraussetzungen eines Heimatunternehmens erfüllt, wird mein Aufwand vom bayrischen Staat getragen.

herrsching.online: Der Genossenschaftsgedanke hat in Herrsching durch eine gewaltige Insolvenz Schaden genommen. Da haben viele Leute ziemlich viel Geld verloren. Wie kann man da wieder Vertrauen in diese Gesellschaftsform aufbauen?

Skrodzki: Man muss unterscheiden zwischen Genossenschaften, die von einer Person für einen persönlichen Zweck gegründet werden und zwischen Genossenschaften, wie ich sie entwickle, sogenannten Heimat- und Bürgergenossenschaften. Die Gesellschaft ruht auf vielen Schultern, unseren Bürgerbahnhof in Leutkirch tragen 700 Leute. Und die sind nicht in erster Linie auf Gewinnerzielung und -maximierung aus. Wenn ein Einzelner in Herrsching sagen würde,  „Ich gründe eine Genossenschaft, weil ich hier persönlich einen gastronomischen Betrieb hochzuziehen, möchte“, wäre das der falsche Ansatz.  Es braucht Leute, die für Herrsching, für die Bürgerschaft etwas schaffen wollen, aber wichtig ist auch, dass die Motive nicht  von Romantik und „Gutmenschentum“getrieben sind. Im übrigen gilt, dass Genossenschaften unter allen Gesellschaftsformen die niedrigste Insolvenzquote haben. 

herrsching.online: Nun würde der Bahnhof in Herrsching nicht der Genossenschaft gehören, er gehört der Gemeinde Herrsching. Und die müsste wahrscheinlich Miete von einer Bürgergenossenschaft verlangen. Wie könnte man das regeln?

Skrodzki: In Leutkirch hat die Gemeinde das Gebäude in Erbpacht an die Genossenschaft vergeben. Die Erbpacht fällt bezahlbar aus und gibt die Gewähr, dass das Gebäude nach Ende der Genossenschaft nicht in private Hände fällt.

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