Dieser liebevolle Familienvater empfahl, „schwächlichen Kindern einen sanften Tod" zu bereiten: Dr. Alfred Ploetz mit Familie. Nach ihm ist eine kleine Straße in Herrsching benannt. Alle Fotos: Gemeindearchiv Herrsching

Gerichte geben Gemeinden weitgehend freie Hand, wenn sie belastete Straßennamen austauschen wollen

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Straßenanlieger können sich gegen Umbenennungen von Straßen nicht wehren, wenn sie begründet sind/Urteil des Verwaltungsgerichtshofs gibt Städten und Gemeinden viel Ermessensspielraum/Am Montag werden im Herrschinger Gemeinderat die Umbenennungen von drei Straßen behandelt///

Wie würdig sind Personen als Namensgeber für Straßen, wenn sie Täter, Profiteure oder Vordenker der Nazis waren? Diese Frage stellt sich ein weiteres Mal im Herrschinger Gemeinderat. Es geht wieder einmal um die Umbenennung der Ploetzstraße, Erich-Holthaus-Straße und Madeleine-Ruoff-Straße. Höchstrichterlich ist die Frage längst geklärt, ob es einen „postmortalen Ehrenschutz“ für NS-belastete Namensgeber gibt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte schon 2008 entschieden: Gibt es nicht. Und wenn einer Gemeinde die ständigen Diskussionen um fragwürdige Straßennamen einfach lästig sind, dann ist das schon ein trifftiger Grund, ein Straßenschild auszutauschen. Sagen die höchsten bayerischen Verwaltungsrichter.

Wie berichtet, hatte die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer vom Gemeinderat den Auftrag bekommen, alle 38 Straßen, die nach Personen benannt sind, noch einmal auf NS-Bezüge zu untersuchen.

Die Forschungsergebnisse der promovierten Historikerin über Alfred Ploetz, Erich Holthaus und Madeleine Ruoff sollten, so der Auftrag, um die „Wohltaten der benannten Personen“ ergänzt werden. Erst wenn die „Unterlagen, Texte und Informationen vorliegen, soll in einer Gemeinderatssitzung ein Grundsatzbeschluss“ folgen, hieß es im Beschluss aus dem letzten Mai. Dem Vernehmen nach umfasst die neue Untersuchung Dr. Hellerers mehr als 100 Seiten.

Die Argumente der Gegner einer Umbenennung

Die Argumente der Umbenennungsgegner im Gemeinderat sind in der Mehrheit nicht historischer Natur.

• So führt Gemeinderat Alexander Keim an, „dass man auf die Integrität der betroffenen Familien Rücksicht nehmen muss.“ Und: „Informanten und Betroffenen steht es daher zu, dass wir (der Gemeinderat) diese Diskussion nicht in der Öffentlichkeit führen.

• Gemeinderat Valentin Schiller verwies in einer früheren Gemeinderatssitzung darauf, „dass die Kosten bei einer Umbenennung der Straßen für Gewerbetreibende zu hoch sind.“ Er sprach sich dezidiert für die alten Straüßennamen aus.

• Bürgermeister Schiller bekräftigte in jener Sitzung, dass „die Gemeinde die Kosten für die Straßenanlieger (neue Briefköpfe, neue Ausweise) nicht übernehmen kann, dafür gibt es keine Rechtsgrundlage.“

Befürchtungen, dass eine Straßenumbenennung der Gemeinde juristische Scherereien einbringen würden, gibt wohl trotzdem. Diese Bedenken scheinen nach einem Grundsatzurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aber nicht gerechtfertigt zu sein (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 2. März 2009 – 8 BV 08.3320).

Der Erbe eines Namensgebers einer Straße, so die Richter in München, kann sich nicht dagegen wehren, dass die Gemeinde die Straße umbenennt und den bisherigen Namensgeber aus dem Straßennamen entfernt.

„Straßenumbenennung wäre Herabwürdigung des Großvaters“, behauptet der Nachfahre.

Das Urteil kam auf die Klage des Enkels des 1956 verstorbenen Landesbischofs, Dr. Hans Meiser, zustande. Als in der Öffentlichkeit eine kontrovers geführte Diskussion entstanden war, ob der verstorbene Landesbischof im Hinblick auf Äußerungen während der Zeit des Nationalsozialismus diese Ehrung verdiene, beschloss der Stadtrat der Landeshauptstadt 2008, die Straße umzubenennen. Dagegen wehrte der Enkel des verstorbenen Landesbischofs. Er könne „sich auf das Rechtsinstitut des postmortalen Ehrenschutzes“ berufen; die Umbenennung stelle eine Herabwürdigung seines Großvaters dar.

Das Gericht aber wies die Klage mit mehreren Begründungen ab:

• Die Vorschriften über die Benennung von Straßen dienten nicht dem Schutz der Ehre von namensgebenden Personen.

• Den Gemeinden steht bei der Straßenbenennung ein überaus breites Ermessen zu. Selbst ein Straßenanlieger, der in einer Straße lebt, die umbenannt werden soll, kann allenfalls beanspruchen, dass eine Umbenennung nicht willkürlich erfolgt.

• Wenn eine Stadt oder Gemeinde sich der kontroversen Diskussion um die Person des Namensgebers nicht weiter aussetzen will, ist dies nicht Willkür.

Umbenennungsgrund ist schon, wenn die Gemeinde fortwährende Diskussionen vermeiden will

• Auch das Verwaltungsgericht Freiburg hebt in einem Urteil zur Umbenennung der Lexerstraße hervor: „Die Rechtsprechung anerkennt ein legitimes Umbenennungsinteresse nicht erst dann, wenn sich der Namensgeber einer Straße im Nachhinein als „unwürdig“ erweist, sondern schon dann, wenn die Gemeinde nicht in eine fortdauernde öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild der betreffenden Person hineingezogen werden will.“ (openJur 2020, 34721″)

Wenn eine anerkannte Historikerin wie Dr. Friederike Hellerer die „Unwürdigkeit“ von Personen feststellt und darüber eine „fortdauernde öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild der betreffenden Person“ entsteht, dann würde der Gemeinde Herrsching mutmaßlich kein Verwaltungsgericht „Willkür“ bei der Umbenennung vorwerfen.

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