Die FDP sitzt nun mit dem BSW auf dem Fensterbankerl des Bundestags und guckt von außen in den Plenarsaal. Wie tief ist die Herrschinger FDP durch den Absturz bei der Wahl verunsichert? Mit welchen Themen wollen der Gemeinderat, Fraktionssprecher und stellvertretende Ortsverbandsvorsitzender Alexander Keim und seine Partei im bevorstehenden Kommunalwahlkampf auf sich aufmerksam machen? Beim Projekt „Bezahlbares Wohnen“, bei dem 26 Wohnungen mit Steuergeldern entstehen, hat die FDP schon mal ein Veto eingelegt: So gehe soziale Gerechtigkeit nicht. herrsching.online hat Alexander Keim, der im letzten Wahlkampf als Bürgermeisterkandidat angetreten war, zu den Chancen seiner Partei befragt. Zumal Keim mit neuer Konkurrenz von ganz links und ultrarechts rechnet.
herrsching.online: Wie fühlt man sich als praktizierender Liberaler, der FPD-Positionen auch im Gemeinderat unerschrocken vertritt, wenn die eigene Partei von der großen Bühne verschwunden ist?
Keim: Natürlich schmerzt das, vor allem weil der Absturz der FDP von einer so hohen Flughöhe kam wie bei keiner anderen Partei. Obwohl sich in den Wochen vor der Wahl abzeichnete, dass es knapp werden könnte, hat mich der Schlussspurt unserer Spitzenkandidaten Lindner und Kubicki beeindruckt. Nach sechs intensiven Wochen Wahlkampf waren wir guter Dinge. Viele Bürger haben uns signalisiert, dass es ohne eine liberale Stimme im Parlament düster wird. Dennoch haben die Wähler an der Urne entschieden, der FDP einen Denkzettel zu verpassen – das schmerzt. Der Rückzug von Christian Lindner nach zwölf Jahren als Parteichef hinterlässt ein Vakuum. Für mich als Gemeinderat und stellvertretenden Ortsvorsitzenden bedeutet das, dass es umso wichtiger wird, auf kommunaler Ebene sichtbar zu bleiben. Wir müssen die liberalen Werte wie Eigenverantwortung, Toleranz, Weltoffenheit, die soziale Marktwirtschaft und den freiheitlichen Rechtsstaat hochhalten. Schließlich ist die Kommunalpolitik der Bereich, den die Bürger täglich direkt erleben.
herrsching.online: Muss sich die FDP ideologisch häuten, um die nächste Bundestagswahl wieder erfolgreich zu bestreiten? Das eiserne Sparregime des ehemaligen Vorsitzenden hat ja wohl nicht mal bei den Stammwählern überzeugt.
„Mit einer Billion im Rücken kann jeder regieren“
Keim: Ich glaube nicht, dass das Festhalten an der Schuldenbremse die Stammwähler abgeschreckt hat. Nach dem Ende der Ampel brechen nun alle finanzpolitischen Dämme – und das noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages. Austerität im Umgang mit Steuergeldern ist für mich ein Ausdruck seriöser und vorausschauender Politik. Jan Fleischhauer hat treffend gesagt: „Mit einer Billion Euro im Rücken kann jeder regieren.“ Es ist problematisch, dass Verfassungsänderungen im Eiltempo durchgepeitscht werden, um Wahlversprechen zu erfüllen, ohne einen durchdachten Plan für nachhaltige Investitionen zu entwickeln. Beispiele wie der Digitalpakt Schule zeigen, dass bereitgestellte Mittel oft nicht effizient genutzt werden – nach zwei Jahren waren nur 15 Prozent der Fördermittel abgerufen. Jetzt werden immense Summen für Verteidigung bereitgestellt, ohne grundlegende Fragen wie die Wehrpflicht oder eine europäische Armee zu klären. Christian Lindner hat stets betont, dass das Problem nicht auf der Einnahmenseite liegt, sondern bei der Effizienz der Ausgaben. Solange die Bürger in Herrsching der FDP vertrauen, werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, Neuverschuldung für defizitäre Projekte zu verhindern.
herrsching.online: Eine unpopuläre, aber konsequente Haltung hat die FDP-Fraktion im Gemeinderat in Sachen „Bezahlbares Wohnen“ vertreten. Wohnungsbau ist ja Deutschland zur Zeit eine wohlfeile Forderung, und trotzdem haben Sie als Fraktionssprecher der FDP das Gemeindeprojekt mit den 26 Wohnungen scharf kritisiert. Dass wir aber in Herrsching dringend Wohnraum für Polizisten, Erzieherinnen, Klinikpersonal, Feuerwehrleute und andere unverzichtbare Dienstleister brauchen, ist ja unumstritten. Welche Rezepte hat die FDP-Fraktion für den kommunalen oder öffentlichen Wohnungsbau?
„Bezahlbares Wohnen“ hat mit sozialer Gerechtigkeit wenig zu tun
Keim: Ein Projekt wie „bezahlbarer Wohnraum“ muss wirtschaftlich tragfähig sein. Den Gemeinderäten wurde ein höherer erzielbarer Mietzins in Aussicht gestellt, als er sich nach den Förderrichtlinien tatsächlich realisieren lässt. Ich verstehe die Gemeinderäte, die verhindern wollen, dass Herrsching zu einer exklusiven Enklave für Wohlhabende wird. Dennoch glauben wir nicht, dass Staat und Gemeinden die besseren Bauherren sind. In Deutschland ist es uns nicht gelungen, durch Bürokratieabbau und Digitalisierung die Baukosten zu senken und damit die Privatwirtschaft stärker einzubinden. Diese Aufgabe liegt bei der neuen Bundesregierung, nicht bei den Kommunen, die ohnehin mit steigenden Umlagen kämpfen. Es ist kurzsichtig, in einer angespannten Haushaltslage Schulden anzuhäufen, um wenigen günstige Wohnungen anzubieten – zumal bei solchen Projekten oft 30 bis 50 Prozent Fehlbelegungen auftreten. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit wenig zu tun. Wir werden sehen, wie sich die Einstellung zu diesem Projekt entwickelt, wenn wir an anderen Stellen gezwungen sind, Ausgaben massiv zu kürzen.
herrsching.online: Wo kann die Gemeinde Bürokratie abbauen? Wie sehen Sie zum Beispiel die neuen Regeln nach dem Modernisierungsgesetz für Bauwillige? Helfen die wirklich, die Verfahren zu beschleunigen?
Keim: Die Novelle der bayerischen Bauordnung verfolgt das Ziel, Baukosten zu senken und die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Langfristig könnte das positiv wirken, indem Neubauten und Nachverdichtungen einfacher und schneller möglich werden. Ich begrüße diese Entwicklung, aber es bleibt abzuwarten, wie sie sich in der Praxis auswirkt. Einige Gemeinden befürchten, dass das Gesetz die Urbanisierung des ländlichen Raums beschleunigt und der direkte Dialog zwischen Bauherren und Verwaltung leidet. Dennoch ist klar: Wohnraum bleibt nur bezahlbar, wenn wir Hürden für die Wohnraumschaffung abbauen. Der Zielkonflikt zwischen weniger Bürokratie und dem Schutz vor übermäßiger Versiegelung ist schwer aufzulösen. Letztlich müssen wir einen Weg finden, der soziale Vielfalt und ein funktionierendes Gemeinwesen ermöglicht.
herrsching.online: Welche Schwerpunkte will die FDP für den kommenden Kommunalwahlkampf setzen?
„Ich rechne damit, dass AfD und Linke lokale Listen aufstellen“
Keim: Nach der verlorenen Bundestagswahl stehen wir vor der Aufgabe, unsere personelle Besetzung und Programmatik zu überdenken. In der außerparlamentarischen Opposition wird es schnell ruhiger um uns, aber lokal haben wir große Themen wie die Krankenhausreform und die Wärmeplanung vor uns. Wir organisieren Stammtische, um mit den Bürgern im Dialog zu bleiben. Auch die Frage nach Bürgermeisterkandidaten für 2026 steht im Raum. Ich rechne damit, dass Parteien wie die AfD oder die Linke lokale Listen aufstellen werden, was den Wahlkampf der demokratischen Mitte beleben wird. Darauf müssen wir kreativ und agil reagieren. Die FDP wird auch in kleiner Besetzung ein offenes Ohr für die Sorgen und Vorschläge der Bürger haben. Einfach wird das nicht, aber ich halte es mit Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“