• Ein Haus, das dunkle Erinnerungen weckt: Gut Rezensried, einst Wohnsitz des NS-Ideologen Alfred Ploetz
  • Die Erbin eines amerikanischen Großindustriellen galt lange Zeit als Herrschinger Wohltäterin. Dann kamen dubiose Immobilienkäufe ans Tageslicht
  • Der nördliche Teil der Gachenaustraße trug irgendwann den Namen des VdK-Funktionärs Erich Holthaus. Dass er ein reinrassiger Nazi war, schien damals niemand gewusst zu haben - oder wollte man es nicht wissen?
  • An diesem Haus ging die Umbenennung der Alfred-Ploetz-Straße seit über 20 Jahren vorbei

Nazi-Namen tilgen: „Wir können uns nicht mehr wegducken“

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Eines der spektakulärsten Gebäude der Gemeinde thront mit fast feudaler Dominanz über der Herrschinger Bucht: Das Gut Rezensried, früher einmal Sommerresidenz der Äbte von Fürstenfeld, gehört seit 1914 der Familie Ploetz. Und dieser Name steht nun plötzlich wieder in der Zeitung, weil Herrschings Gemeinderat drauf und dran ist, die Ploetzstraße neu zu benennen. Nach wem die Stichstraße heute benannt ist, weiß man heute nicht mehr so genau: Nach dem ehemaligen Gemeinderat Alfred Ploetz oder doch noch nach seinem Großvater, dem Rassenhygieniker Alfred Ploetz, den Adolf Hitler einmal für die Friedensnobelpreis vorgeschlagen hatte? Der 1940 verstorbene Mediziner Ploetz widmete sich in vielen Schriften „der Ausmerzung Minderwertiger“ und zeigte Wege auf, wie man einem „schwächlichen oder missgestalteten Kind „einen sanften Tod bereitet“. 2002 wurde die nach diesem Rassen-Ideologen benannte Straße kurzerhand in Ploetzstraße umbenannt. Ein Haus in dieser Straße trägt – aus Unachtsamkeit oder mit Bedacht? – noch immer die Anschrift Albert-Ploetz-Straße. (Eine ausführliche Vorstellung der Personen, die heute nach den Forschungsergebnissen der Gemeinde-Archivarin Dr. Friederike Hellerer in einem anderen Licht erscheinen, lesen Sie hier: https://herrsching.online2023/10/21/strassennamen-unter-ns-verdacht/

Gleich 3 Straßen erinnern an dunkle Zeiten

Am Montagabend beschäftigte sich der Gemeinderat auf Drängen der Bürgergemeinschaft Herrsching aber gleich mit 3 hochproblematischen Straßennamen:

• Ploetzstraße

• Erich-Holthaus-Straße

• Madeleine-Ruoff-Straße

Dazu verlasen die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer, Gemeinderätin Hannelore Doch und Gemeinderat Hans-Hermann Weinen Texte zu diesen Herrschinger Personen. Alfred Ploetz war „wissenschaftlicher“ Wegbereiter der NS-Rassen-Eugenik, Erich Holthaus machte als Obersturmbannführer NS-Karriere, und Madeleine Ruoff war eine reiche Erbin, die Häuser von zur Flucht genötigten Juden gekauft hatte. Die wissenschaftliche Vorarbeit zu diesen Texten leistete die Historikerin Dr. Friederike Hellerer.

Ein Abstinenzler, der Kindermord empfiehlt

Der Rassenhygieniker Dr. Alfred Ploetz hatte, so der Schriftsteller Uwe Timm, einen faustischen Pakt mit den Nazis eingegangen. Ist er trotzdem kein Nazi gewesen? Seinen Enkel und ehemaligen Gemeinderat Alfred Ploetz zitierte die Süddeutsche Zeitung am 4. Juli 20218 mit den Worten: Seinen Großvater Alfred als Nazi hinzustellen, sei „völig daneben. Sein Ziel war die Verbesserung der Volksgesundheit“. Soweit das SZ-Zitat. Tatsächlich ist das Gedanken-„Gut“ des Dr. Ploetz älter als die Nazis: Schon 1895 war sein Buch „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen“ erschienen, wo es unter anderem heißt: „Die Erzeugung guter Kinder … wird nicht irgend einem Zufall einer angeheiterten Stunde überlassen, sondern geregelt nach Grundsätzen, die die Wissenschaft für Zeit und sonstige Bedingungen aufgestellt hat.“ So war es nur konsequent, dass Ploetz 1933 im Sachverständigenrat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik des Reichsinnenministeriums saß. 1936 wurde er von Hitler zum Professor ernannt und für den Friedensnobelpreis nominiert. Skurril an diesem „Mediziner“ ist nur, dass er als Abstinzler an Hasen beweisen wollte, dass Alkohol das Erbgut schädigt.

Die Historikerin Friederike Hellerer fügt in ihrem Text, den sie im Gemeinderat verlas, an: ”Zwischen 1934 und 1945 wurden von den Nationalsozialisten etwa 400 000 „Kranke“ zwangssterilisiert. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 200 000 Personen im Rahmen des Euthanasieprogramms ermordet.“

Vom Obersturmbannführer zum VdK-Wohltäter

In dem Text über Erich Holthaus, den Hannelore Doch vorlas, wird Holthaus zuerst als Nachkriegs-VdK-Ortsverbandsvorsitzender vorgestellt. Er hatte eine VdK-Siedlung initiiert, die 1956 gebaut worden war. Da war wohl seine tiefbraune Vergangenheit noch nicht bekannt. Holthaus war trotz einer Beinamputation im Ersten Weltkrieg Obersturmbannführer der SA geworden und hatte sich dann „um die vormilitärische Wehrerziehung besonders verdient gemacht“. Für die braune Sache hatte er sich schon ab 1929 beim „Stahlhelm“, einem demokratiefeindlichen Zusammenschluss ehemaliger Frontsoldaten, engagiert

Ruoff bereicherte sich an „arisierten“ Immobilien

Bei Madeleine Ruoff ist der Sachverhalt komplizierter. Die gebürtige Amerikanerin war Tochter eines weltberühmten Industriellen, des Papierfabrikanten Alfred du Pont. 1911 übersiedelte sie nach Deutschland. Sie stiftete den Herrschinger Kindergarten und soll nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Besatzungsmächten für Herrsching „interveniert“ haben. 1961 verlieh ihr der Gemeinderat die Goldene Bürgermedaille. Sie starb 1964und wurde in Herrsching beerdigt. Nur 6 Jahre später benannte die Gemeinde den prominenten seenahen Straßenabschnitt von der Rieder bis zur Kienbachbrücke in Madeleine-Ruoff-Straße um. Es könnte die wunderbare Geschichte einer Wohltäterin sein, wenn nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dass sich Madeleine Ruoff und ihr Mann an arisierten Immobilien bereichert haben sollen. Sie kauften 1940 zwei Gebäude der Familie der jüdischen Familie von Dr. Franz Philbert Löwenherz. Damals hätten fast alle zum Verkauf angebotenen Immobilien jüdischen Besitzern gehört, die wegen des Arisierungsgesetzes zum Verkauf gezwungen worden waren, heißt es in einem Anwaltsschreiben. Tatsächlich wurde der Kauf 1953 rückabgewickelt. Die Verleihung der Bürgermedaille hatte übrigens der Bürgermeister Ludwig Schertel betrieben. Schertel war auch von 1937 bis 1945 Bürgermeister gewesen. Da haben die alten Seilschaften aus braunen Tagen auch in der neuen Republik funktioniert.

78 Jahre nach Kriegsende wäre es an der Zeit, sich der Geschichte zu stellen

Die anschließende Debatte eröffnete die BGH-Sprecherin Christiane Gruber mit dem Hinweis auf Gemeinden wie Pöcking und Feldafing, die sich auch mit den braunen Verstrickungen befassen. Gauting habe soeben 2 Straßen umbenannt. ”78 Jahre nach dem Untergang der Nazi-Herrschaft könnten wir doch auch mal belastete Straßennamen ändern“, sagte Gruber. „Deshalb haben wir ja auch die Recherchen zu diesem Thema angestoßen.“ Sie regte an, dass die alten Bezeichnungen nicht unbedingt verschwinden müssten, man könne ja noch Bezug auf die alten Namen („vormals So- und So-Straßen“) nehmen.

Hellerer: Heute gibt es Quellen, die früher nicht einsehbar waren

Auch ihr Kollege Rainer Guggenberger war der Meinung, dass man sich jetzt mal diesem Thema stellen und nicht mehr wegducken könne. Die Bürger sollten die Gelegenheit bekommen, sich dazu zu äußern. Warum die problematischen Straßennamen heute wieder auf der Tagesordnung stehen, erklärte die Gemeinde-Historikerin Dr. Hellerer auch damit, dass inzwischen neue Quellen zur Verfügung stehen. Viele Akten seien früher uneinsehbar bei den Amtsgerichten gelegen. Hans-Hermann Weinen erinnerte daran, dass sich inzwischen viele Institutionen, Konzerne und Banken ihrer Geschichte stellen. FDP-Rat Alexander Keim mahnte einen fairen Umgang mit den betroffenen Familien an. Er regte Gedenktafeln an historischen Gebäuden an und bekräftigte, dass die Gemeinde die Kosten für die Umbenennungen in Kauf nehmen müsse. Auch die Grüne Traudi Köhl setzte sich dafür ein, dass alle 3 Straßen umbenannt werden. Der CSU-Rätin Hannelore Doch war wichtig, dass die „guten Seiten“ der historischen Figuren nicht in Vergessenheit geraten (zum Beispiel die VdK-Siedlung und der Kindergarten).

Kosten für die Umbenennungen sind noch nicht absehbar

Die ganz profane Seite der Umbenennungen sind die Kosten. Wie teuer das komme, hänge von möglichen Schadenersatzforderungen der Anlieger ab. Alle Anlieger müssen schließlich ihre Adressen ändern lassen – sogar im Grundbuchamt. Auch die neue Geschäftsausstattung von Firmen verschlinge viel Geld. Und noch ein großer Brocken liegt auf den neu zu benennenden Straßen: Man muss neue Namen für sie finden. Flüsterte die Grüne Anke Rasmussen: „Aber bitte keine Personennamen mehr…“

Der Gemeinderat beschloss als erste Maßnahme, die Straßennamen mit einem QR-Code zu versehen, der auf diese Texte verlinkt (wie das technisch geht, verriet niemand – man kann die Verlinkungen ja nicht in 2 Metern Höhe anbringen). Dann sollen die Anlieger und Hauseigentümer über mögliche Umbennungs-Initiativen informiert werden. Alle Bürger sind aufgerufen, sich in Briefen und E-Mails zu möglichen Straßenumbenennungen zu äußern. Bürgermeister Schiller, der die Sitzung umsichtig und mit ruhiger Hand leitete, bereitete die Gemeinderätinnen und -räte und die Zuhörer darauf vor, dass solche Umbenennungen schwierige Prozesse, schlimmstenfalls ganz wörtlich, werden könnten. Im Rat deutete sich an, dass es eine Mehrheit für die Umbenennung der 3 Straßen geben könnte

6 Comments

  1. Es ist schon gut, wenn die Umbenennung der Ploetzstrasse vor etwa 20 Jahren neu überdacht wird. Mir scheint, dass das Problem damals nicht wirklich gelöst wurde. Sie erinnert eigentlich immer noch dann Alfred Ploetz, den Rassendenker. Es waere auch interessant, welche Probleme die Umbenennung und damit Adressenaenderung damals den Anrainern gebracht hat. Hat die Gemeinde damals Kosten erstattet? Vielleicht können die damaligen Gemeinderäte die heutigen beraten.

  2. Interessante Spekulation, dass die Ploetzstraße nach einer noch lebenden Person benannt sein könnte. Das wird es in Deutschland nicht geben. Da die Begründung für die Entscheidung des Gemeinderats im Jahre 2002 leider nicht dokumentiert wurde, stochern wir hier gerade im Dunkeln. Vielleicht erinnert sich ja noch ein ehemaliger Gemeinderat an die Beweggründe.

    Einen QR Code kann man natürlich auch an einem vom Boden entfernten Straßenschild anbringen. Alle modernen Handykameras haben eine Zoom Funktion.

    • Hallo Herr Keim,
      es sind noch viele Gemeinderäte von damals im aktuellen Gemeinderat. Sie brauchen nur Frau Gruber von der BGH oder Herrn Böckelmann von den Grünen fragen. Oder Sie „gehen auf Nummer sicher“ und fragen einfach die zur damaligen Zeit amtierende (jetzt ehemalige) Bürgermeisterin Hollacher; damals auch BGH/FW. Ich persönlich habe damals als Gemeinderat auch das „Ein oder Andere“ nicht verstanden bei dieser damaligen „Umbenennungsaktion“.

    • Hallo, Herr Keim, mir ist schleierhaft, wie jemand auf die Idee kommen konnte, die (damals noch Alfred-)Ploetz-Straße sei nach dem derzeitigen Namensinhaber, Herrn Alfred Ploetz jun., benannt worden.
      Ich glaube, bei der ursprünglichen Namensgebung war die Rolle von Dr. Alfred Ploetz (1860-1940) als Vordenker der „Rassenhygiene“ und damit eines der Wegbereiter der Euthanasie-Morde in der Nazi-Zeit noch nicht so im allgemeinen Bewusstsein präsent.
      2002 kam das Thema erstmalig im Gemeinderat zur Sprache, und da man die heutige Familie Ploetz nicht brüskieren wollte, entschied man sich für den faulen? Kompromiss, nur den Vornamen wegzulassen.
      Durch die Arbeit von Frau Dr. Hellerer, und auch durch das 2017 erschienene Buch „Ikarien“ von Uwe Timm, dem Ehemann von Dagmar Ploetz (ebenfalls eine Enkel:in von Alfred Ploetz sen.) wurde nun erneut die Aufmerksamkeit auf die Rolle des Namensgebers im 3. Reich gelenkt.
      Nach meinem Eindruck ist mittlerweile die Sensibilität für das Thema auch nochmals gestiegen, was man an den kürzlich erfolgten Namensänderungen in anderen Orten ebenfalls ablesen kann.

  3. Strassennamen mit Bezug zum Nationalismus sind in seit Jahren in deutschen Städten und Gemeinden ein Thema der Anlieger, Gemeinderäte und Bürgermeister. Meistens findet sich für die Umbenennung eine Mehrheit und für die Anlieger eine Lösung der Unannehmlichkeiten. Es macht Sinn mit den Gegnern der Umbenennung in Herrsching ins Gespräch zu kommen und Lösungen zu finden.

  4. „2002 oder 2023“?
    „Süddeutsche Zeitung am 4. Juli 20218“?

    QR-Codes an den Straßenschildern wäre als kleine Tafeln auf ca. 1 m Höhe denkbar.

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