„Lass alle anderen entscheiden, ob es gut oder schlecht ist, ob sie es lieben oder hassen“, zitierte die Kunsthistorikerin Catharina Geiselhart den großen Andy Warhol bei der Vernissage des Kunstrauschs im Kurzparkschlösschen. Diese Einladung haben am sonnig blauen Freitag Hunderte von Kunstfreunden angenommen: Es herrschte ein Gedränge, als gäbe es Jahrgangs-Champagner gratis: Die 40 ausstellenden Künstler hatten schon bei der Vernissage am Donnerstagabend eine Vorahnung davon bekommen, dass Herrschings zehnter Kunstrausch ein farbenprächtiger Erfolg wird. Und der Bürgermeister hat sicher verstanden, dass auch in Zeiten hohler Kassen Geld für die Kultur gut angelegt ist.
Wir begleiten in diesem Text die Kuratorin Catharina Geiselhart auf ihrem Gang durch drei Geschosse Kurpark-Kunst.
„Im Eingangsbereich des Schlösschens werden die Besucher von Ulrike Sores abstraktem Werk empfangen. Sie sagt selbst: „Die Seele malt mit.“
Das von Richard Bierl in zahlreichen Farbschichten neuinterpretierte, bekannte „Marylin“-Motiv von Andy Warhol stellt sich selbstbewusst dem eingangs genannten Ausspruch von Warhol selbst: „Denke nicht an das Erschaffen von Kunst, sondern mach es einfach.“
Das „(un)lesbare Zeichen“ von Ursula Steglich-Schaupp wirft die Frage auf, ob es sich tatsächlich um ein unlesbares Zeichen handelt, oder ob es nicht doch mit unseren Sinnen, mit unserer Seele erfassbar und damit interpretierbar ist.
Marianne Schweiglers „Gehörnter“ verdeutlicht das Motto der Bildhauerin in Reinform: „Weggeschmissen und nicht beachtet, aufgehoben und zu Neuem erweckt.“
Im ersten Obergeschoss wird der Besucher von den beiden farblich energiegeladenen, abstrakten Arbeiten „The Party has Arrived I und II“ von Birgit Egen empfangen.
Caroline Weiss gelingt es, ihren putzigen Tieren – hier zwei süße Schweine – geradezu menschliche Züge zu verleihen.
Jürn Ehlers und Eva Ehlers zeigen mit ihren Werken „Ensemble – Herbstwald“, wie unterschiedlich ein und dasselbe Motiv zur gleichen Zeit wahrgenommen und auf Leinwand festgehalten werden kann.
Oliver Winheim präsentiert hier im Schlösschen zwei Arbeiten auf Papier, die zu einer umfangreichen Serie gehören. Weitere Werke daraus kann man im Kunstschaufenster des Mode Mosaiks entdecken.
In der Statuette „Freunde“ von Sudhir Kamal kommen Zuneigung, Vertrauen und Innigkeit zum Ausdruck. Die Nische lädt zu einem Rundgang um die kleine, allansichtige Bronzeplastik ein.
Susanne Hauenstein stellt uns mit ihrem Werk „Mögen alle Wesen glücklich sein II“ ein „Gewebe des Lebens“ gegenüber, in dem sie über einen längeren Zeitraum hinweg Formen und Farben auf sich wirken und entwickeln ließ.

Beatrice Wolny verwendet für ihre Werke selbstgesammelte farbige Erden und Pigmente. Damit erschafft sie Seelenlandschaften mit einer inneren Strahlkraft.
Die beiden Lithographien aus der Serie „Flow“ von Katharina Ulke sind von den rhythmischen Bewegungen sowie den Licht-Farbreflexionen des Wassers inspiriert.
Andrea Ostheimer verbildlicht in ihrer Arbeit durch den abstrakten Einsatz von Form und Farbe ihren Wahlspruch „Panta Rhei – alles fließt“.
Nicola Winzinger sieht sich selbst als bildnerisches Instrument, um menschliche Lebensspuren -etwa Erinnerungen, Träume, Leidenschaften und Begegnungen- sichtbar werden zu lassen.
Im Rund des Türmchens findet sich eine Installation von Nikolai Holzach. Er lotet das Spannungsfeld zwischen traditioneller Malerei und den heutigen Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und digitalem Werk aus.

In Kathrin Kamals Werk „Ein Bündel Leben“ scheinen wir einen mikroskopischen Blick mitten in die menschlichen Körperzellen, mitten ins menschliche Leben zu werfen.
Eine tiefe Glut lodert in Eva Carola Kellners Bild „Feuer“, in dem die Farbe -wie zähflüssige Lava- fantasievolle Gestalten entstehen lässt.
Gabriele Fellingers großformatiger „Mohn“ sprengt mit seiner unmittelbaren, impressionistischen Farbenergie fast seinen Bilderrahmen.
Das Experimentieren mit Farbe und Material steht für Gabriele Martis in dem collagierten Werk „Spuren“ im Vordergrund.

Noch mehr „Lebensfreude“ und tanzende Linien von Leila Morgenstern sind zur Zeit im Sitzungssaal des Rathauses in Herrsching entdecken.
Mit dem Young Boy – eine beeindruckende malerische Position des Bildhauers Martin Piehler– verlassen wir diese Etage und gehen ins Dachgeschoss.
Dort begrüßt Edith Steiner mit dynamisch-wirbelnden Farben: große schwungvolle Farbgestik in kleinen Formaten.
Die in sich ruhenden, zweifarbigen Aquatinta-Radierungen „Moor“ und „Torf“ von Thomas Sebening zeigen die experimentelle Vielfalt dieser komplexen Tiefdrucktechnik.
Die vier Farbregenwerke von Sadhya Suthau verbinden sich hier im Schlösschen zu einem großen Farbrausch.
Die detailreichen, kalligrafischen Werke von Kathrin Balling laden mit ihren Sinnsprüchen zum Rätselraten ein.
Der stille Blick über den Ammersee, ein Aquarell von Gudrun Schlemmer, die auch einen Kalender für 2026 im Angebot hat, beschließt die rechte Seite des Dachgeschosses.
Auf der linken Seite lädt Marka Paoli mit ihren Werken „Wabi-Sabi“ dazu ein, die Schönheit von Alltäglichem, Vergänglichem wahrzunehmen.
Einen malerisch höchst spannenden Ausblick aus ihrem Atelier erlaubt uns die Malerin Frauke Maizet. Der kräftige, lebendige und treffende Pinselduktus auf dem relativ kleinen Format zeugt von einer geübten Hand.
Andreas Hein zeigt die Metropole NEW YORK nicht pulsierend, mit Pinsel und Farbe eingefangen, sondern in atemangehaltenen Momenten, gefiltert durch den fokussierten Blick aufs Motiv, festgehalten mit der Kamera in Schwarz-Weiß.
Aber der Kunstrausch ist nicht nur ein Indoor-Erlebnis: Er manifestiert sich auch auf der grünen Wiese vor dem Feuerwerhaus neben dem Rathaus.

Hier steht der Betrachter vor den „Gemeinen Atompilzen“ von Christof Jenauth in einem Ring von cumulusköpfigen Atombomben-Symbolen. Im Hintergrund das Feuerwehrhaus wie ein Symbol vergeblicher menschlicher Bemühungen, Katastrophen zu managen.

Die Breitbrunner Künstlerin Marianne Schweigler ist mit ihrem „Sonnenanbeter“, einer geschweißten Metallplastik, vertreten – die Sonne dargestellt durch zwei rostende Sägeblätter, die Gestaltung und Zerstörung symbolisieren.
Die Eichenholzskulptur „Anrufung“ von Martin Piehler erhebt flehend ihre Arme gen Himmel und erinnert – schrecklich aktuell – an das unsagbare Leid der Menschen im Krieg.
Und die spielerisch zusammengesetzte, zum Teil farbig gefasste Arbeit „Bijoux“ von Jürn Ehlers ist, wie immer bei Ehlers, ein filigranes Kunstwerk mit nahezu unendlich vielen feinen Details, die ästhetisch überzeugen und unbegrenzten Interpretationsraum bieten.

Direkt auf dem Rathausplatz richtet Nikolai Holzach den Fokus auf den Umgang mit der Meinungsfreiheit im aktuellen Zeitgeschehen. Im Rahmen seiner Installation „4004 Stones of Freedom“ hat er den Text des Artikel 19 der UN-Menschenrechte zur Meinungsfreiheit mit Pflastersteinen auf dem Platz ausgelegt und lädt die Besucher dazu ein, selbst aktiv zu werden und die Steine zu bewegen, spielerisch damit umzugehen, Worte neu zu legen oder neue Formen zu finden. Dabei stellt er die Frage, wie und welcher Form dieser Artikel zu Meinungsfreiheit in Zukunft gesellschaftlichen Bestand haben wird.“

Am Anfang wie am Schluss zitiert Catharina Geiselhart den unvermeidlich Karl Valentin mit seiner ewigen, scheinbar banalen Weisheit: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Was sie nicht sagte, nicht sagen durfte (das verbietet die Bescheidenheit): Eine Kunstausstellung mit drei Bühnen und fast 40 Künstlern zu organisieren und zu orchestrieren, hätte Karl Valentin vielleicht so gewürdigt: Kunst ist schön, wenn man sie nicht selbst präsentieren muss.
Und wo wird rauschend Kunst gefeiert?
• Die Kuratorin Katharina Geiselhart, stellvertretende Vorsitzende des Kulturvereins Herrsching, führt am Samstag und am Sonntag ab 15 Uhr (Treffpunkt Kurparkschlösschen) zu den sogenannten Kunstschaufenstern. Die höchst originelle Idee entstand während der Coronazeit, als geschlossene Räume keinen guten Ruf hatten. Die Schaufenster: Konekt, Darchinger Wohndesign, VR Bank, Unverpackt, Optik Sehhaus, Rathaus, Krone Optik, KunstHandWerke, Gabi Huber, St. Nikolaus Apotheke, Fahrrad Nandlinger, Hörgeräte 5-Seenland, Tracht und Zeitlos, Tee am See, Hörgeräte Reichert, Mode Mosaik, Atelier am See, Volightlumen, Optik am See und Fotostudio Rebhan.
• 18 Künstlerateliers sind während der drei Tage für Besucher offen (Adressen am Ende dieses Textes).
Begonnen hatte der Kunstrausch vor 21 Jahren, damals initiert von Margit Metz und Dietmar Öhler. Inzwischen präsentieren sich fast 40 Künstler auf dieser geografisch weitgefächerten Bühne. Die studierte Kunsthistorikerin Catharina Geiselhart lobt denn auch das Niveau der Schau: „Wir versprechen eine sehr gute Kunstqualität“, sagt die Kuratorin, „die meisten Künstler wurden auf Akademien ausgebildet.“ Und deshalb darf man auch kaufen, was ausgestellt ist – schließlich gibt es ja ganz offiziell einen Verkaufsoffenen Sonntag.
Die Liste der offenen Ateliers
1 Schweigler, Marianne Am Königsberg 14, 82211 Breitbrunn/ 13-19 Uhr
2 Steglich-Schaupp, Ursula Bucherweg 18a, 82211 Breitbrunn/ 13-19 Uhr
3 Piehler, Martin Riederstraße 47, 82211 Herrsching/ 13-18 Uhr
4 Kellner, Eva Rauscher Fußweg 3, 82211 Herrsching/ 11-17 Uhr
5 Wolny, Beatrice Kienbachstraße 17, 82211 Herrsching/ 13-19 Uhr
6 Paoli, Marka Fischergasse 19, 82211 Herrsching/ 11-17 Uhr
7 Suthau, Sadhya Martinsweg 17, 82211 Herrsching/ 13-19 Uhr
8 Solveig, Birth Prinzenhöhe 5, 82211 Herrschung/14-18 Uhr
9 Winzinger, Nicola Mühlfelderstraße 72, Vernissage: Sa, 4.10. 14 – 19
10 Steiner, Edith Strittholzstraße 18, 82211 Herrsching/ 11-17 Uhr
11 Ehlers, Jürn Strittholzstraße 17, 82211 Herrsching/ 13-19 Uhr
12 Valmon Strittholzstraße 17, 82211 Herrsching/ 13-19 Uhr
13 Ehlers, Eva Zur Kohlstatt 18, 82211 Herrsching/ 13-19 Uhr
14 Bierl, Richard Zur Weihersenke 6, 82211 Herrsching/ 11-19 Uhr
15 Maizet Frauke Kunststall Drößling, Höhenbergstraße 1, Drößling/ 11-17
16 Martis Gabriele Kunststall Drößling, Höhenbergstraße 1, Drößling/ 11-17 Uhr
17 Weiss Caroline Kunststall Drößling, Höhenbergstraße 1, Drößling/ 11-17
18 Zorn Dietrich Kunststall Drößling, Höhenbergstraße 1, Drößling/ 11-17



