Auf Wiedervorlage: Der Herrschinger Gemeinderat tauchte im letzten April tief in die Geschichte ein – weniger in die Zeitgeschichte als in die eigene: Es ging um eine geheimnisumwitterte Gemeinderatssitzung im Jahre 2002. Der Rat hatte damals beschlossen, den Namen Alfred-Ploetz-Straße zu tilgen, aber – ganz im Sinne der Familie Ploetz – in „Ploetzstraße“ umzubenennen. Und so wird es auch bleiben, beschloss der Gemeinderat am Montagagend.
„Ein fauler Kompromiss“ im Gemeinderat
Auf diese Umbenennung berief sich in der aktuellen Sitzung Bürgermeister Schiller. Die Ploetzstraße habe mit dieser Umbenennung keinen Bezug mehr zur NS-Vergangenheit, der Name würdige vielmehr die Verdienste der Familie Ploetz um Herrsching. Der Straßename wurde sozusagen „entnazifiziert“. Die Familie habe günstigen Baugrund bereitgestellt (verkauft). Zudem sei der Brunnen Ried im Ploetz-Wald „die zentrale Stütze der Wasserversorgung Herrschings“. „Das war ein fauler Kompromiss“, sagt der Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann, der damals schon im Rat saß. Und die damalige Bürgermeisterin Christine Hollacher, die in der Sitzung auch überstimmt worden war, sieht es ähnlich.
Es war eine legendäre Sitzung im Jahr 2002: Herrsching hatte sich mit der Bürgermeisterwahl von Christine Hollacher in die Moderne aufgemacht. Die Grünen hatten wieder zwei Gemeinderatssitze erobert, und so stand plötzlich auch die Entnazifizierung von Herrschinger Straßennamen auf der Tagesordnung. Die Frauenrechtlerin Traudl Wischnewski stieß sich besonders an der Alfred-Ploetz-Straße.
Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann (Grüne), der später Dritter Bürgermeister wurde, hatte sich damals intensiv mit einem „Standardwerk“ eines Herrschinger Mediziners beschäftigt: „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. (Verlag S. Fischer Berlin 1895)“.
Über Alfred Ploetz war auch dank der Forschungen der Historikerin Dr. Friederike Hellerer bekannt geworden, dass Ploetz als Mediziner und Rassen-Hygieniker Hitler die pseudowissenschaftliche Grundlage für seinen Rassenwahn geliefert hatte. Dem „Führer“ verdankte Ploetz nicht nur seinen Professorentitel, Hitler hatte ihn auch für den Nobelpreis vorgeschlagen.
„Die Beurteilung von Tätern, Profiteuren oder Vordenkern hat sich stark verändert“
Die Alfred-Ploetz-Straße, die in Lochschwab nach Nordwesten von der Rieder Straße abzweigt, passte nun nicht mehr in die Zeit eines neuen Geschichtsbewusstseins. „Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaats verstrickt waren, hat sich im Lauf der Jahrzehnte stark verändert“, schreibt dazu die Gemeinde-Archivarin Dr. Friedrike Hellerer.
Es durfte also nach der Umbenennung in Ploetzstraße gerätselt werden: Wer ist nun dieser Ploetz, der mit einem Straßennamen geehrt wird: Der Mediziner und Rassen-Hygieniker Alfred, sein Sohn Wilfried oder der Enkel Alfred, der später in den Herrschinger Gemeinderat einzog?
„Großvater war kein Nazi“
Enkel Alfred Ploetz, so erinnert sich Böckelmann, hatte sich für Behinderte engagiert, pflegte seine Frau rührend und hat der Gemeinde auch wichtige Grundstücke verkauft. Auf der anderen Seite verteidigte Ploetz seinen Großvater immer wieder. „Er hat bewundernd über ihn berichtet. Er hat ihn verehrt“, erinnert sich Böckelmann. Noch 2018 sagte er der Süddeutschen Zeitung, seinen Großvater als Nazi hinzustellen, sei „völlig daneben“. Und der Schlüsselroman „Ikarien“ von Uwe Timm, dessen Frau Dagmar eine Cousine von Alfred Ploetz ist, sei „schäbig“. Die menschenverachtenden Thesen des Mediziners seien doch nur „Utopien“ gewesen.
Also: Wer nun ist dieser Ploetz, dessen Name auf dem Straßenschild prangt? Der Gemeinderat Alfred Ploetz, laut Böckelmann immerhin ein „honoriger Mann“, oder der Rassen-Ideologe, der schwächlichen Neugeborenen mit einer Dosis Morphium einen sanften Tod bescheren wollte?

 
                    
                

 
             
             
             
             
            
Ich bin erst seit 9 Jahren in Breitbrunn und frage mich als gebürtige Dachauerin, also mit der vermeintlichen Aufarbeitung des Grauens und dem Sendationstourismus aufgewachsen, warum braucht man bis 2002 um überhaupt einmal über eine Umbenennung zu? Das ist doch die erste Katastrophe! ! Jahrzehntelang wurde vorher Kasernen, Schulen, Straßen überall in Deutschland und Bayern umbenannt und hier hat es keiner gemerkt? Nach der Lektüre von „Ikarien“ kann man sicher davon ausgehen dass die „Gönnerin“ Anita Plötz wusste was ihr Mann tat und nie dagegen agiert hat. Im Gegenteil sich im Glanz des großen Wissenschaftlers gesonnt hat.
Aber mit Speck fängt man Mäuse. Ich empfehle dem Gemeinderat die Geschichte zuende zu denken. Denn möglicherweise spendet ja irgendwann ein Autokrat, AfD Vorsitzender oder Mafia Boss mal eine fette Immobilie. Wäre spannend wie der geehrt wird.
Ich gebe Margit Utzmann vollkommen recht: Ohne eine überzeugende Lösung wird dieses Thema in Herrsching immer wieder hochkochen. Die Mehrheit des Gemeinderats argumentiert, die Familie Ploetz habe der Gemeinde günstige Grundstücke und den Brunnen in Ried verkauft. Doch ein Blick in die Biographie zeigt: Es war Alfred Ploetz’ zweite Ehefrau Anita, geb. Nordenholz, die das Vermögen in die Ehe brachte und so den Kauf von Gut Retzenried ermöglichte. Sie war damit die eigentliche Gönnerin Herrschings. Eine „Anita-Ploetz-Straße“ würde endlich die richtige Person ehren – und zugleich die historische Schieflage korrigieren.
Ach nee, das macht die Sache auch nicht besser.
Unglaublich, dass nun mit der Namensbeibehaltung Plötzstrasse, eine Familie geehrt wird, die Geschichtsrevisionismus betreibt und sie und uns in dem Glauben belässt, dass diese Verdrängungsmechanismen in Ordnung sind. Das häufig zitierte „Gras drüber wachsen lassen“, wird nur weiteres Gähren im Boden darunter hinausziehen. Wie viele Jahre braucht eine Gesellschaft um Aufzuräumen? Achtzig Jahre scheinen nicht genug zu sein.
Es ist peinlich, dass der überwiegende Teil des Gemeinderats dieses manipulativen Miteinander der alteingesessenen Herrschender protegiert! Das Thema wird damit in absehbarer Zeit wieder auf der Tagesordnung stehen.
Wie erkläre ich den zukünftigen Gymnasiasten der neu gebauten Schule der neunten Klasse in Herrsching, das Thema: Alfred Ploetz und die Vergangenheit der NS Historie vor Ort?
Zuerst gab es eine Straße, die seinen Namen trug, dann wurde sie 2002 in Ploetzstraße umbenannt und jetzt bleibt der Straßenname, der jetzt keinen Bezug mehr hat zu früher , weil es ja eine Familie Ploetz gibt, die Grundstücke zum Gemeindewohl verkauft hat, weiterhin bestehen.
Wer den NS-Rassehygieniker Alfred Ploetz im Netz sucht, findet den Verweis in Zukunft erklärt, so ist es angedacht.
Zukünftige Generationen werden bei einer Nachfrage folgende Antwort erhalten: Ursprünglich hieß die Straße Alfred Plötzstrasse. Weil dieser Mann aber eine NS Vergangenheit hat, und als belastet gilt, wurde die Straße nun der Familie ehrend umgewidmet. Warum die gesamte Familie ab jetzt geehrt wird? Nun, das hat jedenfalls nichts mit der NS Zeit zu tun und zeigt eine etwas bescheidene Bereitschaft der Aufarbeitung unserer Geschichte durch den Gemeinderat des Jahres 2025. Immerhin werden die beiden anderen Straßen umbenannt. Es geht also.
Anhand ihres erneuten Kommentars vermute ich, Sie haben den Artikel nicht wirklich gelesen oder verstanden.
Wäre mein Nachname Ploetz und ich direkt mit Alfred verwandt, wäre es mir durchaus wichtig, dass der Straßenname jetzt umbenannt wird.
80 Jahre 🙌🏻💡✨
Befreiung von den Nazis 🙏🙏🙏
Das Problem ist, dass die Umbenennung des Jahres 2002 bereits ein trickreiches Vermeidungsverhalten in der Sache Umbenennung war. Jetzt wollten scheinbar die Raete nicht nocheinmal umbenennen und nacharbeiten. Es bleibt wie es ist. Natürlich finde ich das auch befremdlich und falsch und es ist kein gutes Zeichen für unsere politische Kommune. Ich hoffe, dass in ein paar Jahren, wenn ein anderer Rat herrscht, erneut ein Antrag gestellt wird. Aber jetzt war halt“nicht mehr drin“. Schade…
Bei dem Straßennamen Ploetz STRASSE erweist jetzt niemand mehr Alfred Ploetz, dem Rassentheoretiker die Ehre, sondern nur an den anderen Teil der Familie. Das freut mich. Heidi Körner, Sonderschullehrerin