So stellt sich die KI von ChatGPT eine entschleunigte Bahnhofstraße vor. Je gemütlicher es wird, desto mehr Aufenthaltsqualität bekommt die Straße. Die Strecke vom Rathaus zum Bahnhof soll mit Straßencafes, Warenauslagen, Kunstaktionen und Lesungen eine Meile für Konsum und Kunst werden.

„Bahnhofstraße soll zum Verweilen einladen“

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Bürgerverein ProNatur will Bahnhofstraße zu einem Begegnungsort machen/Das sei besser für die Geschäfte, sagt die Vorsitzende Karin Casaretto/Vorbild ist der Wochenmarkt am Samstag/Neuer Antrag soll noch einmal im Gemeinderat behandelt werden///


herrsching.online: ProNatur träumt von einer neuen Bahnhofstraße als Wohnzimmer von Herrsching. Sie hatten schon mal einen Antrag im Gemeinderat eingereicht, der aus formalen Gründen scheiterte. Welche Pläne haben Sie denn mit der Flaniermeile zwischen Rathaus und Bahnhof?

Casaretto: Unser Ziel ist es, Natur, moderne Mobilität, lokales Gewerbe und Lebensqualität in einem zukunftsfähigen Straßenbild miteinander zu verbinden. Doch bei der aktuell geplanten Sanierung der Bahnhofstraße bleibt die Aufenthaltsqualität bislang weitgehend unberührt.

Das liegt vor allem daran, dass der Straßenraum selbst nicht verändert werden soll. Doch gerade hierin liegt ein großes Potenzial: Durch eine gestalterische Aufwertung kann die Bahnhofstraße deutlich an Lebensqualität gewinnen, das Gewerbe vor Ort unterstützen und zugleich dazu beitragen, die Identität des Ortes sicht- und erlebbar zu machen.

Geplant ist, die Straße durch mehrere baulich angelegte, begrünte und gestaltete Ausbuchtungen oder Inseln aufzuwerten, die in den Straßenraum hineinragen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite soll eine leichte Erweiterung der Fahrbahn entstehen, die in den Raum einiger bestehender Parkplätze hineinragt. Dadurch erhält der Straßenraum einen mäandrierenden, entschleunigenden Verlauf, der den Verkehrsfluss nicht, wie in der Summerstraße beispielsweise, durch eine Fahrbahnverengungen beeinträchtigt. Rund um die bestehenden Bäume sollen begrünte Inseln mit Blühflächen entstehen. Diese können dort, wo sie erweitert werden, individuell gestaltet und beispielsweise durch Sitzgelegenheiten, Spielgeräte für Kinder oder Kunstobjekte ortsansässiger Künstlerinnen aufgewertet werden. Die sanft geschwungene Straßenführung sorgt auf natürliche Weise für eine Entschleunigung des motorisierten Verkehrs.

„Leichte Kurven reduzieren die Attraktivität für Raser“

herrsching.online: Eine verkehrsgeruhigte Zone mit dem Gebot der Schrittgeschwindgkeit will der Gemeinderat ja offensichtlich nicht, weil die Straße eine wichtige Funktion für den ÖPNV habe. Tempo 30 gilt ja ohnehin schon, obwohl das noch ein gut gehütetes Geheimnis ist, das viele Autofahrer nicht kennen.

Casaretto: In der Bahnofstraße gilt Tempo 30, und das soll auch so bleiben. Das eigentliche Problem ist eher der schnurgerade Verlauf der Straße. Dieser verleitet viele Autofahrer dazu, zu schnell zu fahren – insbesondere auch nachts wird die Straße leider auch für kleine „Autorennen“ missbraucht. Durch bauliche Maßnahmen, wie leichte Kurven, könnte die Attraktivität für Raser deutlich reduziert werden, ohne die Verkehrsregelung grundlegend zu verändern. Der Straßenverlauf würde das Tempo sozusagen ganz von selbst drosseln.

herrsching.online: Dem Gemeinderat ist ja immer wichtig, dass die örtlichen Geschäfte durch neue gemeindliche Verkehrsregelungen nicht beeinträchtigt werden. Welche Auswirkungen hätten Ihre Pläne auf die Gewerbebetriebe?

Casaretto: Mir persönlich ist die Belebung des örtlichen Gewerbes extrem wichtig, ein vielfältiges Gewerbe belebt unseren Ort. Das brauchen wir, und zwar mehr davon, nicht weniger. Genau deshalb soll die Neugestaltung der Bahnhofstraße auch neue Spielräume für den lokalen Einzelhandel schaffen. Die Idee ist, Raum zu eröffnen für mehr Sichtbarkeit und kreative Nutzungsmöglichkeiten:

• mobile Cafés

• Warenauslagen vor den Geschäften

• kleine Kunstaktionen

„Mehr Parkplätze sind nicht besser fürs Geschäft“

• Lesungen oder ähnliche kulturelle Formate. Die Bahnhofstraße soll ein lebendiger Ort werden, an dem man gerne verweilt – nicht nur um von A nach B zu fahren, sondern auch, um sich zu treffen und ins Gespräch zu kommen.

Ein gutes Beispiel dafür ist samstags der Wochenmarkt am Bahnhofsplatz: Da funktioniert genau das. Man kommt nicht nur zum Einkaufen, sondern auch, weil man Bekannte trifft, ein Schwätzchen hält – das ist Lebensqualität. Bisher galt oft die Faustregel: „Je mehr Parkplätze, desto besser fürs Geschäft.“ Ich bezweifle das – und das sehen einige Gewerbetreibende, mit denen ich gesprochen habe, ähnlich. Natürlich braucht es Parkplätze – aber gezielt und mit System. Ein durchdachtes Parkleitsystem könnte dafür sorgen, dass Parkflächen vorrangig für AnwohnerInnen, Gewerbetreibende und deren Kundschaft zur Verfügung stehen. Aktuell sind viele Parkplätze unter der Woche ohnehin nicht ausgelastet – außer an Wochenenden oder in den Ferien, wenn Touristinnen dort parken, um an den See zu gehen. Aber diese Menschen sind meist nicht zum Einkaufen da. Kurz gesagt: Mehr Aufenthaltsqualität bringt auch mehr Laufkundschaft – und davon profitieren die Geschäfte am meisten.

herrsching.online: Wie würde der Verkehr bei einer Einbahnstraßenregelung funktionieren? Wären Rieder beziehungsweise Seestraße dadurch stärker belastet?

Casaretto: Eine Einbahnstraßenregelung wird von uns nicht angestrebt, da wir darin keinen Mehrwert sehen. Solche Maßnahmen sind vor allem bei sehr hohem Verkehrsaufkommen sinnvoll – das ist in der Bahnhofstraße jedoch nicht der Fall. Das Problem liegt weniger in der Menge der Fahrzeuge, sondern in dem stichstraßenartigen Verlauf der Straße. Wie bereits beschrieben, würden leichte Kurven die Attraktivität für Raser deutlich reduziert, ohne die Verkehrsregelung grundlegend zu verändern.

herrsching.online: Wie groß, glauben Sie, ist der Widerstand in Herrschings Gemeinderat, in der Verwaltung und der Bürgerschaft gegen eine Umgestaltung der Straße?

Casaretto: Im Gemeinderat gab es grundsätzlich Zustimmung aus allen Fraktionen – das freut mich sehr. Allerdings konzentrierte sich die öffentliche Diskussion fast ausschließlich auf den Begriff „verkehrsberuhigte Straße“ und die damit verbundene Schrittgeschwindigkeit. Das war uns bei der Antragstellung nicht bewußt und ist überhaupt nicht das Ziel unseres Antrags.

Mit keinem Wort haben wir in unserem Antrag eine Limitierung des Tempos auf Schrittgeschwindigkeit gefordert. Aber über die eigentlichen Inhalte – wie wir den Raum gestalten und beleben wollen – wurde leider nicht gesprochen. Darum werden wir den Antrag auch nochmal stellen – eben ohne den Begriff „verkehrsberuhigte Zone“.

„Ich wünsche mir mehr Mut, neue Wege zu gehen“

Und damit sind wir auch bei der Verwaltung: Man hat den Eindruck, im Rathaus geht es oft nur um formales Verwalten, was natürlich auch ein Auftrag ist, jedoch weniger um das Umsetzen des Bürgerwillens. In modernen Gemeinden geht es meines Erachtens über das Verwalten hinaus, auch um aktives Gestalten – und zwar sinnvoll und nachhaltig. Ich wünsche mir da manchmal etwas mehr Mut, neue Wege zu gehen und auch kreative Lösungen zuzulassen.

In unserem Antrag haben wir übrigens auch eine transparente Bürgerbeteiligung in Form offener Planungsdialoge unter Einbindung der Anwohnerschaft und der Gewerbetreibenden gefordert. Und damit wären wir bei der Bürgerschaft: Unsere Umfrage mit 963 Teilnehmenden hat ein deutliches Bild ergeben – die Mehrheit wünscht sich eine „verkehrsberuhigte Bahnhofstraße“. Dabei ging es vermutlich den meisten nicht um Tempo Schrittgeschwindigkeit, sondern um das, was Sie ganz richtig als Erlebnisraum beschreiben: einen Ort, der mehr Aufenthaltsqualität bietet, lebendiger ist und zum Verweilen einlädt. Genau das ist unser Ziel. 

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