Die Vorsitzende des Herrschinger Seniorenbeirats, Mia Schmidt, weiß: Fast alle wollen in ihren eigenen vier Wänden bleiben. Foto: Gerd Kloos

Niemand will ins Altersheim

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Statt salbungsvoller Reden und Verführungsrhetorik für die sonnendurchflutete Seniorenresidenz gibt es beim Herrschinger Seniorenbeirat etwas Ungewöhnliches: Er befragt die Älteren und Alten: Wollt Ihr lieber ins Altersheim oder in den gewohnten vier Wänden die letzte Strecke des Lebens zurücklegen? In zwei Workshops formulierten die Seniorinnen und Senioren ihre Wünsche. Dabei kam kristallklar heraus: Der überwiegende Teil der älteren Bevölkerung will weiter zu Hause leben, gerne in einer altersgerechten Wohnung und gerne auch mit nachbarschaftlicher Hilfe. Die Vorsitzende des Seniorenbeirats, Mia Schmidt, früher Fitness-Trainierin auch im Bayerischen Fernsehen und später erfolgreiche Kommunalpolitikerin, berichtet für herrsching.online, welche Wünsche die Seniorinnen und Senioren für ein behagliches Zuhause haben.

herrsching.online: Sie haben sich in zwei Workshops mit dem Wohnen im Alter befasst und dabei sogar einen Architekten als Experten eingeladen. Dabei ging’s auch ums „Downsizing“ der Wohnung und des viel zu großen Eigenheims. Ist das Teilen eines großen Hauses eine Option für die Senioren?

Schmidt: Wir haben mehrere Möglichkeiten in dem Workshop zur Diskussion gestellt.   Bei den beteiligten Senioren war der Umzug in eine Residenz oder ein Altenheim überhaupt kein Thema. Auch die Umwandlung eines Einfamilienhauses in ein Zweifamilienhaus hatte keine Priorität in der Wunschliste. Der Grund dafür ist wohl, dass das Baurecht solchen Teilungen im Wege steht. Solche Maßnahmen können allein schon an den geforderten Stellplätzen scheitern.

Wir haben doch in Herrsching häufiger die Situation, dass verwitwete Menschen allein in ihren Einfamilienhäusern wohnen.  Mein Mann und ich erleben das selbst: Unser Haus ist zu groß für uns beide allein. Früher haben wir zu fünft in dem Haus gewohnt. Meine Kinder sind alle erwachsen und weggezogen.

herrsching.online: Das ist sehr sozial gedacht, wenn ältere Menschen ihre zu große Wohnung, ihr überdimensioniertes Haus jungen Familien überlassen wollen.

Schmidt: Wenn alte Menschen in zu großen Wohnungen leben, passt das nicht zu meinen Einstellungen.

herrsching.online: Wenn ältere Menschen in eine kleine Wohnung umziehen wollen, um die Haushaltsführung zu vereinfachen und um neuen Wohnraum für größere Familien zu schaffen, ist die neue Miete vielleicht teurer als für die alte, größere Wohnung. Das macht für viele Senioren wenig Sinn, für weniger Raum mehr Geld auszugeben. Schließlich müssen viele Rentner den Euro wegen schmaler Renten zweimal umdrehen.

Schmidt: Das ist leider oft so. Trotzdem ist der Zustand unmöglich, dass größere Familien in Kleinwohnungen extrem beengt zusammenleben müssen. Wichtig ist natürlich für ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität, dass die neue Wohnung zentral liegt und nachbarschaftliche Hilfe angeboten wird. Da braucht es dann die organisierte, institutionelle Hilfe, wie es sie zum Beispiel in Inning gibt. In diesem Seniorenzentrum gibt es mannigfaltige Hilfsangebote. Das Inninger Modell ist durch eine Stiftung entstanden. Dieses Zentrum hat festangestellte Betreuer, die zum Beispiel auch einen Abholservice organisieren. Das sind niederschwellige nachbarschaftliche Hilfen.

herrsching.online: Helfen im Sinne guter, solidarischer Hausgemeinschaft nicht auch Nachbarn, wenn Senioren einen Einkaufsservice brauchen oder eine Mitfahrgelegenheit zum Arzt oder zur Apotheke?

Schmidt: Das gibt es durchaus auch. Aber viele alleinstehende ältere Menschen wohnen in einem Haus und haben dadurch weniger intensive Kontakte zur Nachbarschaft. 

herrsching.online: Haben ältere Menschen in Mehrfamilienhäusern intensivere Kontakte zu ihren Nachbarn als in Einfamilienhäusern?

Schmidt: Natürlich haben Menschen in Mehrfamilienhäusern mehr Kontakte, schließlich läuft man sich ja in den Hausfluren öfter über den Weg. Ob  die Seniorinnen und Senioren diese Kontakte dann auch wahrnehmen, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt ja viele, die trotz naher Nachbarschaft einsam sind. Ich schwärme deshalb von Mehr-Generationen-Häusern.

herrsching.online: In solchen Häusern findet idealerweise nicht nur ein reger Austausch statt, man hilft sich auch, und wenn es nur ums Annehmen von Paketen für berufstätige Nachbarn geht.

Schmidt:  Und die Seniorinnen könnten auch Geld sparen dank des nachbarschaftlichen Einkaufsservices oder anderer kleiner Dienstleistungen. Man sagt ja, dass die letzten beiden Jahre eines Menschen die teuersten sind. In unserem Workshop kam klar heraus, dass sich die meisten Teilnehmer für diese nachbarschaftlichen Hilfen interessiert haben. Viele Hilfsangebote zum Beispiel von der Herrschinger Insel oder von den Kirchen gibt es heute nicht mehr, weil keine Menschen mehr zur Verfügung stehen.

herrsching.online: Wir bräuchten also mehr Dienstleistungsangebote, damit den älteren Menschen ihr innigster Wunsch erfüllt wird: In der alten Wohnung bleiben?

Mia Schmidt ist mit ihrem feuerroten E-Racer höchst mobil im Ort. Wer sich nicht mehr aufs Fahrrad traut, braucht eine Wohnung mit freundlichen Nachbarn und gutem Lieferservice.

Schmidt: Ja, das war der am häufigsten genannte Wunsch: Ich will in meiner Wohnung bleiben und da auch sterben.

herrsching.online: Um eben diese Wohnung seniorengerecht zu gestalten, muss man ja auch Geld in die Hand nehmen. Welche Umbaumaßnahmen sind am wichtigsten?

Schmidt: Die Bäder sind am wichtigsten…

herrsching.online… sind es nicht die oft unüberwindlichen Treppen?

Schmidt: Da gibt es Fördermittel vom Landratsamt, die den Umbau ermöglichen. Das Problem aber ist der Aufwand, die Organisation und die Baustelle im Haus.

herrsching.online: Und dann gibt es ja noch das Problem mit der Finanzierung des Umbaus. Geld von der Bank gibt es eher nicht mehr, weil die Kreditbestimmungen der Banken üble Altersdiskriminierungen enthalten.

Schmdit: Wir hatten dazu eine sehr interessante Veranstaltung mit der Volksbank hier in Herrsching. Wir haben dabei erfahren, dass es da neue Programme für ältere Menschen gibt. Aber die Banken unterstützen natürlich nur ihre Kunden. Diese Programme wurden von den Zuhörerinnen und Zuhörern auch äußerst aufmerksam aufgenommen. 

herrsching.online: Wunderbar, dann reden wir mal über das neue Bad, das die Bank freundlicherweise vorfinanziert.

Schmidt: Das fängt bei der Dusche an. Mein Mann und ich haben die Dusche in unserem Haus schon vor langer Zeit umgebaut. Weg mit diesen Kabinen mit all den Glaswänden und dem ganzen Blödsinn, den man mühsam sauber machen muss. Einen Duschvorhang, der zudem sicher ist, kann man wegschmeißen, wenn er schmutzig ist. Und man sollte auf jeden Fall mit dem Rollstuhl in die Dusche fahren können. Wichtig sind auch Griffe überall im Bad. All das sind keine besonders großen Umbauten.

Was aber auf jeden Fall aus dem Bad entfernt werden sollte, ist die Badewanne. Der Aufwand, eine Wanne altersgerecht zu machen, ist beträchtlich: Ich brauche einen elektrisch betriebenen Sitz, der mich absenkt und dann wieder aus dem Wasser hievt. Was mache ich, wenn mal der Strom ausfällt und ich in der Wanne sitze?

herrsching.online: Es wird immer wieder über die „Service-Wüste Deutschland“ geschimpft. Wie gut organisiert sind Bringdienste der Herrschinger Geschäfte?

Schmidt: Wir hatten kürzlich ein sehr konstruktives Gespräch mit dem Vorsitzenden des Gewerbeverbandes WIR. Ein Lieferservice, da waren wir uns einig, darf ja ruhig etwas kosten. Andererseits darf der alte Menschen auch nicht ständig zu Hause rumsitzen und den menschlichen Kontakt zu den Geschäften verlieren. Jeder Einkauf ist ein Rauslösen aus der Einsamkeit.

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