Wie der Straßenname „Ploetz“ entnazifiziert wurde

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Der Herrschinger Gemeinderat tauchte am Montagabend tief in die Geschichte ein – weniger in die Zeitgeschichte als in die eigene: Es ging um eine geheimnisumwitterte Gemeinderatssitzung im Jahre 2002. Der Rat hatte damals beschlossen, den Namen Alfred-Ploetz-Straße zu tilgen, aber – ganz im Sinne der Familie Ploetz – in „Ploetzstraße“ umzubenennen. Und so wird es auch bleiben, beschloss der Gemeinderat am Montagagend.

„Ein fauler Kompromiss“ im Gemeinderat

Auf diese Umbenennung berief sich in der aktuellen Sitzung Bürgermeister Schiller. Die Ploetzstraße habe mit dieser Umbenennung keinen Bezug mehr zur NS-Vergangenheit, der Name würdige vielmehr die Verdienste der Familie Ploetz um Herrsching. Der Straßename wurde sozusagen „entnazifiziert“. Die Familie habe günstigen Baugrund bereitgestellt (verkauft). Zudem sei der Brunnen Ried im Ploetz-Wald „die zentrale Stütze der Wasserversorgung Herrschings“ (was so übrigens nicht stimmt). „Das war ein fauler Kompromiss“, sagt der Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann, der damals schon im Rat saß. Und die damalige Bürgermeisterin Christine Hollacher, die in der Sitzung auch überstimmt worden war, sieht es ähnlich.

Es war eine legendäre Sitzung im Jahr 2002: Herrsching hatte sich mit der Bürgermeisterwahl von Christine Hollacher in die Moderne aufgemacht. Die Grünen hatten wieder zwei Gemeinderatssitze erobert, und so stand plötzlich auch die Entnazifizierung von Herrschinger Straßennamen auf der Tagesordnung. Die Frauenrechtlerin Traudl Wischnewski stieß sich besonders an der Alfred-Ploetz-Straße.

Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann (Grüne), der später Zweiter Bürgermeister wurde, hatte sich damals intensiv mit einem „Standardwerk“ eines Herrschinger Mediziners beschäftigt: „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. (Verlag S. Fischer Berlin 1895)“.

Über Alfred Ploetz war auch dank der Forschungen der Historikerin Dr. Friederike Hellerer bekannt geworden, dass Ploetz als Mediziner und Rassen-Hygieniker Hitler die pseudowissenschaftliche Grundlage für seinen Rassenwahn geliefert hatte. Dem „Führer“ verdankte Ploetz nicht nur seinen Professorentitel, Hitler hatte ihn auch für den Nobelpreis vorgeschlagen.

„Die Beurteilung von Tätern, Profiteuren oder Vordenkern hat sich stark verändert“

Die Alfred-Ploetz-Straße, die in Lochschwab nach Nordwesten von der Rieder Straße abzweigt, passte nun nicht mehr in die Zeit eines neuen Geschichtsbewusstseins. „Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaats verstrickt waren, hat sich im Lauf der Jahrzehnte stark verändert“, schreibt dazu die Gemeinde-Archivarin Dr. Friedrike Hellerer.

Es durfte also nach der Umbenennung in Ploetzstraße gerätselt werden: Wer ist nun dieser Ploetz, der mit einem Straßennamen geehrt wird: Der Mediziner und Rassen-Hygieniker Alfred, sein Sohn Wilfried oder der Enkel Alfred, der später in den Herrschinger Gemeinderat einzog?

„Großvater war kein Nazi“

Enkel Alfred Ploetz, so erinnert sich Böckelmann, hatte sich für Behinderte engagiert, pflegte seine Frau rührend und hat der Gemeinde auch wichtige Grundstücke verkauft. Auf der anderen Seite verteidigte Ploetz seinen Großvater immer wieder. „Er hat bewundernd über ihn berichtet. Er hat ihn verehrt“, erinnert sich Böckelmann. Noch 2018 sagte er der Süddeutschen Zeitung, seinen Großvater als Nazi hinzustellen, sei „völlig daneben“. Und der Schlüsselroman „Ikarien“ von Uwe Timm, dessen Frau Dagmar eine Cousine von Alfred Ploetz ist, sei „schäbig“. Die menschenverachtenden Thesen des Mediziners seien doch nur „Utopien“ gewesen.

Also: Wer nun ist dieser Ploetz, dessen Name auf dem Straßenschild prangt? Der Gemeinderat Alfred Ploetz, laut Böckelmann immerhin ein „honoriger Mann“, oder der Rassen-Ideologe, der schwächlichen Neugeborenen mit einer Dosis Morphium einen sanften Tod bescheren wollte?

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