Im sanierten Bahnhof von Leutkirch stecken 1,1 Millionen Bürgergeld drin. Dabei geht es der Bahnhofs-Genossenschaft, die den Umbau finanziert hat, prächtig, sagt der Projektleiter Christian Skrodzki. Das Leutkircher Modell könnte Vorbild für den Herrschinger Bahnhof sein. Foto: MARIUS BADSTUBER

So geht Bürgerbahnhof

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Gemeinden in Süddeutschland haben Geld. Viel Geld. Vielleicht nicht auf dem Rathaus-Konto, aber auf den Konten ihrer Bürger. Wenn eine Gemeinde ein Stück Heimat wie einen alten Bahnhof nicht selbst sanieren kann, dann könnte man doch bei den begüterten Bürgern anklopfen. Der Allgäuer Genossenschaftsexperte und Altbausanierer Christian Skrodzki hat den Leutkircher Bahnhof mit 1,1 Millionen Euro aus einer bürgerschaftlichen Genossenschaft wiederbelebt. Dieses Modell, so der Herrschinger Grünen-Gemeinderat Gerd Mulert, könnte auch beim Herrschinger Bahnhof funktionieren. Für seine Sanierungen des Leutkircher Bahnhofs hat Skrodzki nicht nur viel Lob bekommen, sondern auch das Bundesverdienstkreuz. herrsching.online klopfte deshalb schon mal bei dem Sanierer an. Am Geld, da ist Skrodzki sicher, wird es auch in Herrsching nicht fehlen: „Geld ist üppig vorhanden.“ Na dann.

Christian Skrodzki Foto: ALEXANDRA PLFUG

herrsching.online: Der Herrschinger Bahnhof ist eigentlich ein gemeindliches Filetstück, aber im jetzigen Zustand eher ein ganz zähles Stück Gammelfleisch. Das Gebäude ist denkmalgeschützt (Baujahr 1904), aber marode. Es gehört der Gemeinde, die aber kein Geld hat, ihre Pläne zu realisieren. Sie haben in Leutkirch mit einem genossenschaftlichen Modell dem Bahnhof ein zweites Leben gegeben. Warum sind Genossenschaften ein gutes Modell, um öffentliche Gebäude zu transformieren?

Skrodzki: Die Bürger übernehmen mit dem Einbringen von Heimatkapital und dem Einbringen von ehrenamtlichem Engagement Verantwortung für ihre Daseinsfürsorge. Das Einstehen für ein eigentlich öffentliches Gebäude stärkt den Bürgerstolz und das Zutrauen in die Fähigkeit der Gemeinschaft gemeinsam etwas zu schaffen. „Ein Stück Heimat bewahren. Ein Stück Zukunft gestalten.“ Genossenschaften haben eine niedrige Einstiegshürde und flache Ausstiegshürden. 

herrsching.online: Wie waren in Leutkirch die wirtschaftlichen und bautechnischen Voraussetzungen? Wieviele Genossen haben wieviel Geld eingebracht? Funktioniert die Genossenschaft über die Jahre wirtschaftlich?

Skrodzki: Das Bahnhofsgebäude war marode und seit 1972 mehr oder weniger nicht mehr bewohnt. Es wurden 2,7 Millionen Euro netto investiert. Die Genossenschaft steht finanziell bestens da. Aktuell verfügt die Genossenschaft über mehrere hunderttausend Euro Festgeld. Über 700 Bürger aus einem Umkreis von 50 Kilometer um Leutkirch haben 1,1 Mio Euro eingebracht.

herrsching.online: Warum sind Genossenschaften für öffentliche Belange besser als private Investoren?

Skrodzki: Es geht nicht um Besser oder Schlechter. Ein privater Investor hat genauso seine Berechtigung. Aber bei einem emotional stark verankerten Gebäude wie ein Bahnhof ist es für die DNA einer Stadt von Vorteil, wenn viele Bürger aus nah und fern sich einbringen und verantwortlich fühlen. Der Bahnhof hat dann ein paar hundert Hausmeister und Markenbotschafter.

herrsching.online: Welche Verzinsung erwarten Bürger für ein wirtschaftliches Engagement zum Wohle der Bürgerschaft?

Skrodzki: In Leutkirch steht für die Bürger die Höhe der Dividende nicht im Vordergrund. In der Regel zahlt unsere Genossenschaft zwischen 1 und 1,5 Prozent Dividende pro Jahr.

herrsching.online: Die Objektsanierung samt Umgestaltung der Bahnhofshallen in Restaurant und Betriebe wird sicher mehr als zwei Millionen kosten. Sprengen solche Summen nicht genossenschaftliche Modelle?

Skrodzki: Im Süden von Deutschland scheitert ein Projekt nicht am Geld. Geld ist üppig vorhanden. Auf den Sparkonten vieler Bürger. Ferner gibt es in der Regel entsprechende Fördergeld vom Staat und von Institutionen.

herrsching.online: Würden Sie mit Ihrer Erfahrung ein Herrschinger Modell leiten und betreuen?

Skrodzki: Ich berate mehrere Bürgergenossenschaften beruflich – sprich man kann mich nach Stundenaufwand buchen.

3 Comments

  1. Der Herrschinger Bahnhof ist nicht nur ein zentraler Verkehrsknotenpunkt der Gemeinde, sondern auch eine Schnittstelle unterschiedlicher Besitzverhältnisse und Zuständigkeiten. Eine nachhaltige Gestaltung des Bahnhofs erfordert daher eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen drei Hauptakteuren und deren Interessen: der Gemeinde, der Deutschen Bahn, sowie des Wasserwirtschaftsamts, das für die Sanierung des Kienbachs hinter dem Bahnhof verantwortlich ist.
    In alle Richtungen gibt es nachhaltige Win-Win-Lösungen, die umgesetzt werden könnten. An Visionen mangelt es nicht – und zahlreiche machbare Konzepte liegen bereits vor. Mit einem konsensorientierten Management seitens der Gemeinde oder einer engagierten Bürgergenossenschaft wäre die Umsetzung realistisch. (Ich wäre sofort dabei!)
    Ein zentraler Schritt wäre die Aushandlung eines Pachtvertrags mit der Bahn – idealerweise für das gesamte brachliegende Bahngelände bis zur Seestraße. Dort könnten vielfältige Gemeindeaktivitäten entstehen, etwa ein Jugendcafé in einem Eisenbahnwaggon, Urban Gardening oder Künstlerateliers. „Herrsching Online“ hat darüber bereits mehrfach berichtet.
    Das Wasserwirtschaftsamt würde eine Öffnung des Kienbachs aus ökologischen und sozialen Gründen unterstützen – benötigt dafür aber ein stimmiges Gestaltungskonzept der Gemeinde.
    Die laufende Umfrage von ProNatur Herrsching https://survey.lamapoll.de/B-rgerbefragung-Herrsching zeigt deutlich den Bürgerwillen:
    56 % wünschen sich den Bahnhof als Ortsmittelpunkt, 64 % einen verkehrsberuhigten Bahnhofsvorplatz mit Bäumen und Grünflächen, 71 % eine Kombination aus Kultur und Café im Bahnhofsgebäude, 56 % ein Jugendcafé im Eisenbahnwaggon und 61 % möchten die Öffnung des Kienbachs, um ihn zugänglich zu machen.
    Doch trotz klarer und seit Jahren formulierter Wünsche der Bevölkerung wurde das Projekt Bahnhof in den letzten drei Legislaturperioden – also seit fast 18 Jahren – unter dem amtierenden Bürgermeister nicht vorangebracht. Damit sich das ändert, braucht es ein Management, das nicht nur verwaltet, sondern aktiv und nachhaltig für das Gemeinwohl gestaltet.

  2. Herr Wittmann danke für den Hinweis auf Freyung. In der Tat ist dieser Ort eine Paradebeispiel in Sachen „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“ – sprich für Bürgergenossenschaften. Beim 4. Projekt „Die Genussmanufaktur im Passauer Hof“ bin ich im Rahmen meiner Tätigkeit für „Heimatunternehmen Bayern“ von Minute eins an der Berater. Die Allgäuer Genussmanufaktur in Leutkirch-Urlau stand Pate für die Idee zur Genussmanufaktur in Freyung.

  3. Ein Musterbeispiel in Sachen Genossenschaften ist auch Freyung im Dreiländereck Bayerischer Wald, eine Stadt mit rund 7000 Einwohnern. In der Tagesschau vom 27.03.2025 wurde darüber berichtet. Dort wurden bereits 3 genossenschaftliche Projekte realisiert (Saunalandschaft, Brauerei, Bürgerenergie). Aktuell ist bereits das 4. Projekt in der Umsetzung.

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