• In Zukunft gibt es nicht mehr für jeden alten Menschen einen Platz in einer Pflegeeinrichtung
• Herrsching beteiligt sich nicht an der Pflegefachkonferenz im Landkreis
• In der Tagespflege gibt es noch ausreichende Kapazitäten
• In der Kurzzeitpflege existieren Plätze oft nur auf dem Papier
Ein Schicksal, das vielen älteren Menschen droht: Jeder dritte 80-Jährige braucht eine pflegende Hand, jeder zweite 85-Jährige kommt nicht mehr ohne fremde Hilfe zurecht, weiß das Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen. Die Bürgergemeinschaft Herrsching (BGH) hat sich in einer Veranstaltung dieses drängenden Problems angenommen, schließlich ist jeder vierte Bürger in der Seegemeinde älter als 65 Jahre.
Eingeladen hatte die BGH die beiden Fachfrauen des Landratsamts, Bettina Hartwanger von der Fachstelle Senioren und Bettina Richter, integrierte Sozialplanerin des Landratsamts Starnberg, die einen düsteren Blick in die Zukunft wagten: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass in absehbarer Zeit nicht mehr für jeden hilfsbedürftigen alten Menschen ein Platz in einer Pflegeeinrichtung zur Verfügung stehen wird”, sagte Bettina Richter ausgerechnet im Canossa-Stüberl im Schloss Seefeld. Und wenn ein Platz zur Verfügung steht, ist er kaum bezahlbar: Der Eigenanteil kostet im Monat 2 995 Euro.
Gleichzeitig werde sich die Lage bei den Pflegekräften – auch im ambulanten Bereich – dramatisch verschärfen. Auch hier spiele der demographische Wandel eine Rolle – die Jungen werden immer weniger. Heißt: Selbst wer Geld und Platz hat für eine 24-Stunden-Pflege zu Hause, wird immer größere Probleme haben, jemanden zu finden. „Und: Das Problem besteht europaweit“, so Richter weiter.
Die angebotene Lösung klingt fast verzweifelt: rechtzeitig vorsorgen.
• Kann ich mit Freunden, Bekannten oder Geschwistern eine Senioren–WG gründen, in der man sich im Alter gegenseitig unterstützt und ergänzt?
• Vermiete ich ein Zimmer in meiner Wohnung, in meinem Haus an jüngere Menschen, zum Beispiel im Studium oder Ausbildung gegen Hilfe und Unterstützung im Alltag?
• Das kostenlose Angebot einer Wohnraumberatung kann helfen, rechtzeitig Maßnahmen in den eigenen vier Wänden zu treffen, um zum Beispiel für Barrierefreiheit zu sorgen, und damit einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden zu gewährleisten. Darüber sollte man sich nicht erst Gedanken machen, wenn der Rollator bereits bestellt ist.
Das Landratsamt Starnberg hat auf das Problem nun mit einer Pflegefach-Konferenz reagiert, allerdings ohne die Gemeinde Herrsching. Herrsching beteiligt sich trotz der anstehenden Herausforderungen und der vielfachen Appelle aus dem Gemeinderat und der Bürgerschaft zum Thema Versorgungslage in der Pflege bisher nicht an der Pflegefachkonferenz oder deren Arbeitsgruppen. „Das ist in Anbetracht der Dringlichkeit schwer nachvollziehbar”, sagt Christiane Gruber von der Bürgergemeinschaft Herrsching.
Als Ausweg aus der Kostenfalle Pflegeheim wird oft die Tagespflege genannt. Das Landratsamt weist darauf hin, dass aktuell im Landkreis ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen, die aber offenbar nicht jedem bekannt sind. Dies umfasst auch einen Hol- und Bringservice, so dass auch Angebote außerhalb der eigenen Gemeinde nutzbar sind. Aufgrund der besseren Arbeitsbedingungen (kein Schichtdienst) schlägt hier der Fachkräftemangel noch nicht zu Buche.
Anders der Bereich der Kurzzeitpflege. Wegen fehlender Fachkräfte und erhöhtem bürokratischem Aufwand für die Einrichtungen existieren hier oft Plätze nur auf dem Papier. Es bestehe kein ausreichendes Angebot zur Entlastung pflegender Angehörige, Besserung sei nicht in Sicht – auch wegen fehlenden bezahlbaren Wohnraums, so die Expertinnen vom Landratsamt.
Gewitterwolken am Horizont auch im Bereich der ambulanten Versorgung. Noch bestehe hier eine ausreichende Versorgungslandschaft, gleichwohl sei die Lage der ambulanten Hilfs- und Nachbarschaftsdienste in Herrsching alles andere als entspannt. Oft könnten diese nur durch ehrenamtliches Engagement und Spenden ihre Unterstützung im Gemeindegebiet aufrechterhalten. Bettina Richter vom Landratsamt: „Ohne verstärktes ehrenamtliches Engagement der Bürger und finanzielle Unterstützungen wird es künftig wohl nicht mehr funktionieren.“
„Da darf es nicht darum gehen, wer sich Pflege noch leisten kann“
Die Sprecherin der BGH-Fraktion im Gemeinderat, Christiane Gruber über Herrschings Engagement in Sache Pflege:
herrsching.online: Weggucken, sagte eine Referentin bei Ihrer Veranstaltung, sei nun keine gute Idee. Hingucken hilft, wenn den Text liest, aber auch nicht. Wie kann denn eine Gemeinde, ein Landkreis konkret helfen?
Gruber: Die neue Pflegefachkonferenz und die beiden Fachstellen im Landratsamt sind ein guter Schritt zur konkreten Verbesserung der Situation. Es geht um die Vernetzung der Gemeinden und Fachgremien. Klar, niemand kommt darum herum, sich persönlich um das Thema zu kümmern, auch wenn eine Pflege noch in weiter Ferne ist. Aber schon ein Unfall könnte die Situation ändern, wenn man merkt, dass man mit dem Rollstuhl nicht mehr ins Bad kommt. Außerdem gibt es Menschen, die mit einer Behinderung geboren oder durch eine schwere Krankheit pflegedürftig werden. Da darf es nicht darum gehen, wer sich Pflege leisten kann und wer nicht.
herrsching.online: Immer wieder wird in Herrsching eine Kurzzeitpflege gefordert. Das wäre doch ein konkreter Schritt, pflegenden Angehörigen wieder ein Stück Lebensqualität zu schenken. Warum geschieht da nichts in Herrsching?
Gruber: Es gab einen interfraktionellen Antrag zu Beginn der Legislaturperiode, sich mit dem Thema Kurzzeitpflege zu befassen. Die Antwort auf der letzten Bürgerversammlung war ja: Wir sind da dran. Das Landratsamt hat Hilfe angeboten, das ist Teil der Aufgaben dieser Stellen im Landratsamt.
herrsching.online: Warum ist von einigen Jahren die BRK-Initiative gescheitert, in der Gewerbestraße eine Kurzzeitpflege einzurichten?
Gruber: Das BRK konnte sich das Grundstück nicht sichern und die Leitstelle nicht einrichten. Die nächste Gelegenheit, eine Kurzzeitpflege zu installieren, hätte sich mit dem Bau des neuen Krankenhauses ergeben. Das ist ja dann aus bekannten Gründen gescheitert. Die Gemeinde Herrsching müsste sich nun nach einem anderen Träger umschauen, und wir sollten die Hilfe des Landratsamtes annehmen.
herrsching.online: Die Gemeinde hat es nicht im Kreuz, eine Kurzzeitpflege zu unterhalten?
Gruber: Man braucht eine Wohnung für die Kurzzeitpflege. Mit einer Trägerschaft wäre die Gemeinde überfordert. Wir bräuchten dafür einen Verein oder eine Institution.
herrsching.online: Wie sieht denn nun Ihr Fazit nach der BGH-Veranstaltung in Seefeld aus?
Gruber: Trotz der düsteren Prognosen ziehen wir ein positives Fazit: Die Veranstaltung bot eine wertvolle Plattform für Fragen, Austausch und Anregungen. Eine Besucherin bedankte sich ausdrücklich für diese Initiative – so fühle sie sich nicht mehr so allein mit ihren Sorgen und Befürchtungen.
herrsching.online: Ist Herrsching ein guter Ort, in Würde und Sicherheit alt zu werden, sprich: gibt es genug Angebote bei Alten- und Pflegeheimen, in der Verkehrsinfrastruktur und bei mobilen Pflegediensten?
Gruber: Eigentlich schon. Noch gibt es Pflegedienste, aber die schlechten Nachrichten werden mehr: In Seefeld zum Beispiel muss die Nachbarschaftshilfe in diesem Bereich aufgeben. Und der Hilfsdienst funktioniert nur mit großzügigen Spenden. Da kann sich jeder überlegen, ob es nicht eine gute Idee wäre, Mitglied zu werden für einen Jahresbeitag, den man sich leicht leisten kann, damit der Dienst weiter aufrechterhalten werden kann.
1. Seit einer Woche ist der Seniorenbeirat Herrsching Mitglied der Pflegekonferenz.
2. Am 18. Februar 2025 lud der Seniorenbeirat zu einem Workshop mit dem Thema „Leben im Alter“ ein. Hier wurden Herrschinger Bedarfe diskutiert und aufgelistet. Ein weiterführender Workshop wird im Mai folgen.
3. Der Seniorenbeirat Herrsching versucht ortsbezogene Lösungen zu finden! Wer Ideen hat, ist herzlich willkommen mitzuarbeiten!