Die Plakate sind Altpapier, viele Versprechen Versprecher, die Wunden werden geleckt, die Siege verwandeln sich in Herausforderungen: Nach der Wahl ist Zeit fürs Nachdenken. herrsching.online hat die vier Kandidaten von CSU, SPD, Grünen und FDP zum Wahlausgang befragt. Hier die Antworten.
Muss Carmen Wegge jetzt für Friedrich Merz klatschen? „Man muss ja nicht applaudieren“

Die SPD-Kandidatin Carmen Wegge erreichen wir im Zug nach Berlin – sie hat es wieder geschafft, als Zwölfte von 14 Kolleginnen und Kollegen, die über die Landesliste reingerutscht sind.
herrsching.online: Sie erinnern sich noch an unser Interview während Ihres Häuserwahlkampfs, in dem Sie eingestanden, dass es Ihnen schwer falle, nach einer Rede von Friedrich Merz zu applaudieren. Jetzt bleibt Ihnen das möglicherweise nicht erspart…
Wegge: Hm, man muss ja nicht applaudieren.
herrsching.online: Wir erreichen Sie gerade im Zug nach Berlin. Wie sind denn nun Ihre Gefühle?
Wegge: Natürlich gemischt. Das Ergebnis für die SPD war natürlich sehr bitter. Und das AfD-Ergebnis macht mir große Sorgen, nicht nur im Bund, sondern auch in Bayern. Da muss man auch mal den Blick drauf werfen. Aber ich freue mich natürlich, dass ich wieder dabei bin. Es wird bestimmt anstrengend.
herrsching.online: Ist das Ergebnis auch Resultat Ihres engagierten Wahlkampfs?
Wegge: Natürich. Ich empfinde das Ergebnis trotz Bundestrend als Bestätigung meiner Arbeit im Wahlkreis.
herrsching.online: Welche Schwerpunkte setzen Sie für die nächsten vier Jahre?
Wegge: Kann man jetzt noch nicht sagen, weil noch nicht klar ist, in welche Ausschüsse man kommt, welche Aufgaben man wahrnimmt. Aber was ich angefangen habe, das möchte ich auch fortführen, und dazu gehört auch die Überprüfung der AfD.
herrsching.online: Wird man Sie in der nächsten Regierung vielleicht sogar auf einem Staatssekretärsposten sehen?
Wegge: Das ist natürlich nicht auszuschließen, wobei mich das gar nicht so sehr interesessiert. Da ist man ja Bindeglied zwischen Ministerium und Parlament. Da hat man zwar Gestaltungsmöglichkeiten, aber nicht soviel, wie wenn man in der Fraktion arbeitet. Und zuerst einmal müssen wir einen Koalitionsvertrag hinbekommen.
herrsching.online: Wäre Wahl mit Boris Pistorius anders ausgegangen?
Wegge: Das kann man nicht sagen. Und ich halte auch nicht soviel von solchen Gedankenspielen.
herrsching.online: Noch einmal Glückwunsch, und, wie man in Ihrer Partei gern sagt, Glück auf in Berlin.
Michael Kießling: „Das neue Wahlrecht ist unfair und benachteiligt die Unionsparteien”

Der Kandidat der CSU für den Wahlkreis Starnberg-Landsberg, Michael Kießling, war nicht einmal über die Landesliste abgesichert. Er hat den Wahlkreis als Direktkandidat erobert. Der Baufachmann, der nun zum dritten Mal in den Bundestag einzieht, schickte uns diese Stellungnahme:
„Die Union hat die Bundestagswahl am 23. Februar für sich entschieden und ein klares Signal von der Bevölkerung erhalten. Die Wählerinnen und Wähler Deutschlands haben sich gegen die Parteien der Ampel-Koalition ausgesprochen und der Union einen eindeutigen Auftrag erteilt: Deutschland braucht einen grundlegenden Politikwechsel. Trotz des Erfolgs kritisiere ich jedoch das neue Wahlrecht, das von der Ampel-Koalition eingeführt wurde. Dieses sorgt dafür, dass die CSU trotz des Gewinns aller 47 Wahlkreise in Bayern lediglich 44 Abgeordnete in den Bundestag entsenden wird. „Das neue Wahlrecht ist unfair und benachteiligt insbesondere die Unionsparteien. Es verzerrt den Wählerwillen und geht zulasten der Demokratie“
Machnik (Grüne) kann sich erneute Kandidatur vorstellen

Die 45-jährige Kandidatin der Grünen, Verena Machnik, treffen wir in ganz aufgeräumter Stimmung an. Von Katerstimmung keine Spur.
herrsching.online: Die Starnberger Grünen haben es wieder einmal knapp nicht geschafft. Wie enttäuscht sind Sie?
Machnik: Geht so, ehrlich gesagt. Eigentlich bin ich gar nicht enttäuscht, sondern das Gegenteil davon. Ich freue mich wahnsinnig über das tolle Ergebnis hier im Wahlkreis – über fünf Prozent über Bundesdurchschnitt, und wenn man den Kreis Starnberg nimmt, sind es dann noch mal mehr. Das zeigt, dass man erfolgreich ist, wenn man im Team gemeinsam auf die Leute zugeht. Dann schauen wir aufs nächste Mal.
herrsching.online: Wollen Sie wieder antreten?
Machnik: Ist jetzt ein bisschen früh, aber ich habe jetzt soviel gelernt… ich schließe es auf jeden Fall nicht aus. Oder sagen wir: Ich kann es mir vorstellen, noch einmal anzutreten.
herrsching.online: Wenn sich die schwarz-rote Koalition auch vorzeitig zerlegen sollte, sind Sie wieder dabei?
Machnik: Dann steh ich bereit. Für den kommenden Kommunalwahlkampf gibt das Ergebnis Mega-Rückenwind.
„Gespaltene Wahrnehmung zwischen Habeck und der grünen Partei“

Wir haben auch die Vorgängerin von Verena Machnik, die Bezirks- und Kreisrätin Martina Neubauer, gefragt, wie bitter es ist, auf der Landesliste am falschen Platz zu stehen.
herrsching.online: Warum schaffen es die Starnberg-Landsberger Kandiaditen wie Sie 2021 und jetzt Verena Machnik nicht, weiter nach vorne auf der Landesliste?
Neubauer: Das wäre dieses Mal schon gelungen. Wir hatten dieses Mal in Oberbayern eine Votenvergabe, um möglichst viele Delegierte vereint zu haben, damit Oberbayern nicht gegeneinander kandidiert. Verena Machnik hatte eigentlich gute Chancen, leider hat sie auf der Liste nicht so reüssiert, wie wir das gerne gehabt hätten. Sie hatte auf einen offenen Platz gesetzt, und das ist bei den Delegierten nicht so optimal angekommen.
herrsching.online: Hat Verena Machnik einen guten Wahlkampf gemacht?
Neubauer: Wir hatten einen kurzen, knackigen Wahlkampf, in dem Verena sehr präsent und sehr fleißig war. Sie kam auch supersympathisch rüber.
herrsching.online: Hätten Sie es geschafft, wenn Sie noch mal angetreten wären?
Neubauer: Das kommt immer auf den Listenplatz an. Aber mit der Votenvergabe haben wir eine gute Grundlage gelegt, und beim nächsten Mal könnte die Kandidatin wieder Verena Machnik heißen.
herrsching.online: Warum war der ambitionierte Wahlkampf von Robert Habeck nicht erfolgreich?
Neubauer: Viele Menschen hätten Robert Habeck gerne weiter vorne gesehen, aber nicht mit der grünen Partei. Es gab eine gespaltene Wahrnehmung zwischen dem supersympathischen Kanzlerkandidaten und der Partei. Aber wir hatten uns aus dem Ampeltief herausgekämpft. Zur Erinnerung, wir haben nach dem Ampel-Aus mit acht, neun Prozent angefangen.
FDP-Kandidat Friedrich: „Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt unterkriegen lassen“

Der Kandidat für die FDP, der Jura-Student Paul Friedrich, schickte uns folgendes Statement:
„Die vergangenen Woche habe ich als Ihr Kandidat mit Ihnen gemeinsam unermüdlich gekämpft. Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt unterkriegen lassen und einen breitflächigen Wahlkampf geführt – vor Ort am Infostand, bei Veranstaltungen beispielsweise mit Susanne Seehofer oder Christian Dürr, in den sozialen Netzwerken und mit einer deutlichen Präsenz durch Plakate und Großflächenplakate. Hinzu kamen neben einer Erstwählerparty und Erstwählerbriefen viele verteilte Flyer direkt in die Briefkästen und über 30 Presseerwähnungen in Januar und Februar diesen Jahres. Die Enttäuschung ist deshalb groß. Ein kleiner Trost ist unser Ergebnis bei uns im Landkreis Starnberg.Wir haben 7,2 % der Zweitstimmen geholt. Darauf können wir stolz sein.“