100 Klingeln in eineinhalb Stunden: Die Wahlkreisabgeordnete Carmen Wegge, 35, putzt Klinken, stiefelt bei Schmuddelwetter um die Wohnblöcke, steckt nackte Ablehnung an der Haustür mit einem Lächeln weg und macht sich Mut: Die Stimmung, sagt sie dem herrsching.online-Reporter, ist bei den Leuten viel besser als die Umfragewerte. Dass die SPD gut im Kämpfen ist, beweist sie täglich beim Häuserwahlkampf. So wie die Juristin mit Befähigung zum Richteramt werfen sich wenige Kandidatinnen ins Politgetümmel. Anpacken kann sie, auch im Bundestag: „Ich bin für die Gerechtigkeit und die Sicherheit in diesem Land zuständig“, sagt sie im Interview. Sie meint damit ihre Rolle im Innen- und Rechtsausschuss. Und ihre Gesetzesanträge, die alle in der Zeitung standen. Eine mögliche Koalition mit der Union gehört nicht zu den Dingen, die sie herbeisehnt.

herrsching.online: Man kann es Ihnen nicht ersparen, auch wenn Sie es vermutlich nicht mehr hören können. Würde der Bundestagswahlkampf mit Pistorius anders verlaufen? Wie oft werden Sie mit dieser Behauptung konfrontiert?
Wegge: Tatsächlich gar nicht so oft. Oder eigentlich garnicht mehr, nachdem die Entscheidung gefallen war. Es gibt in Bayern viele Bürger, die die Ukraine-Politik von Olaf Scholz schätzen. Ich persönlich glaube auch, dass die Entscheidung für Scholz richtig war. Pistorius ist ein hervorragender Verteidigungsminister, und ich würde mir wünschen, dass er das dann auch bleibt. Perspektiv hat die SPD mit Olaf Scholz die besseren Chancen.
herrsching.online: Zieht Scholz, wie der Spiegel vermutete, noch ein Kaninchen aus dem Zylinder? Auf was fußt Ihr Optimismus, dass sich das Blatt noch wendet?
Wegge: Wir haben als SPD große Erfahrungen damit, das Blatt noch zu wenden. Vor allem sind wir auch eine Partei, die gut im Kämpfen ist. Die im Wahlkampf von Tür zu Tür geht, anders als andere Parteien. Dass wir ins Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern gehen, wird sehr geschätzt. Und die Bürger fangen erst jetzt an, sich aktiv damit zu beschäftigen, was sie denn wollen für die Zukunft, und wer der beste Mensch an der Spitze dieses Landes ist. Wenn man sich die drei Kanzlerkandidaten anschaut, ist die Wahl nicht schwer.
herrsching.online: Reden wir über Ihre dreieinhalb Jahre in Berlin. Wie lief’s für Sie? Und was waren Ihre Schwerpunkte?
Wegge: Für mich lief es sehr gut, ich hatte eine sehr gute Zeit im Bundestag. Ich habe auch sehr schnell gelernt, dass man den Unterschied machen kann, wenn man im Parlament sitzt. Ich sitze ja im Rechts- und im Innenausschuss, bin also für die Gerechtigkeit und die Sicherheit in diesem Land zuständig. Zum Beispiel war ich dafür verantwortlich, dass wir den Paragrafen 219 a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen haben, der verboten hatte, dass Ärztinnen und Ärzte über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. Darüber wurde Jahrzehnte gestritten, ich durfte das mit verhandeln.
Ich war in meiner Fraktion auch zuständig für die Cannabis-Legalisierung, die wir durch den Bundestag und den Bundesrat gebracht haben, ein Thema, das in Bayern differenziert gesehen wird. Wir haben mit der Teillegalisierung Unrecht beseitigt, den Gesundheitsschutz und den Jugendschutz gestärkt und den Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufgenommen. Und dann habe ich noch an der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs mitgewirkt, damit Frauen nicht mehr kriminalisiert werden, wenn es darum geht, ob sie eine Schwangerschaft beenden.
Und dann habe ich noch den Antrag eingebracht, die AfD auf ihre Verfassungswidrigkeit zu überprüfen.
herrsching.online: Nehmen wir mal an, Sie hätten die FDP nicht als Partner an der Seite gehabt. Was hätten Sie umsetzen können?
Wegge: Ich möchte da zuerst einmal bemerken, dass wir mit der FDP unfassbar viel umgesetzt haben, was mit der Union niemals möglich gewesen wäre. Natürlich hätten wir auch einiges deutlich schneller und einfacher machen können. Was jetzt nicht mehr kommt in dieser Legislaturperiode, ist die Stabilisierung der Renten. Das hat die FDP blockiert. Und wir hätten gerne auch im Bereich des Mietrechts viel mehr gemacht, da hat die FDP immer Nein gesagt. Auch bei einem modernen Bundespolizeigesetz hat die FDP blockiert. …
herrsching.online: … Thema Vorratsdatenspeicherung…
Wegge: … die lehnt die SPD ab. Wir haben über eine IP-Adressenspeicherung diskutiert.
herrsching.online: Ich dachte, die SPD-Innenministerin Faeser sei für die Vorratsdatenspeicherung…
Wegge: Ja, sie ist dafür, aber sie ist ja nur eine Person.
herrsching.online: Reden wir mal über die Politik vor der Haustür. Gemeinden und Kreise klagen über dramatischen Geldmangel, weil ihnen der Bund soviel aufhalse. Kaputte Schulen, geschlossene Bäder, ausbleibende Unterstützung für Vereine, fehlende Kita-Plätze. Wie kriegen wir die Gemeinden wieder flott? Schließlich spürt die Bürgerin hier hautnah, dass in Deutschland etwas schief läuft.
Wegge: Ich habe am Beginn der Legislaturperiode alle Bürgermeister meines Wahlkreises und auch Bürgermeister aus meinem Betreuungswahlkreis Weilheim – insgesamt 46 – angeschrieben und habe mich mit den meisten getroffen. Ich war dann auch eingeladen in die Bürgermeister-Dienstbesprechung im Landkreis Starnberg. Ich kenne also die Probleme der Kommunen. Ich komme jetzt mal mit dem großen Wort Schuldenbremse, die nicht nur den Bund, sondern auch die Länder und damit indirekt auch die Gemeinden bremst. Wir brauchen auch dringend mehr Spielraum für Investitionen. Eine Reform der Schuldenbremse würde auch den Kommunen zugute kommen.
herrsching.online: Viele Kommunalpolitiker fordern mehr Geld vom Gesetzgeber, der ihnen zusätzliche Lasten aufbürdet…
Wegge: Der Bund darf den Kommunen ohnehin kein Geld geben. Der Bund gibt den Ländern Geld, damit sie es an die Kommunen weiterleiten. Aber es bleiben Milliarden hängen bei den Ländern, die sind nicht bei den Kommunen angekommen. Das darf eigentlich nicht sein. Deshalb müssen wir darüber reden, dass der Bund die Kommunen direkt unterstützen darf. Das geht aber nur über die konkrete Projektförderung.
herrsching.online: Der Landkreis Starnberg muss seine vier Kliniken mit rund 23 Millionen alimentieren. Schuld, sagen Politiker, sei auch die Krankenhausreform von Karl Lauterbach. Was muss der Bund beitragen, dass die Klinikversorgung standortnah funktioniert?
Wegge: Die CSU macht es sich da ziemlich einfach. Die Krankenhausreform war dringend notwendig. Das sehen viele Länder auch so. Ich habe mich mit allen Klinikchefs auch im Kreis Starnberg getroffen, und niemand hat grundsätzlich in Frage gestellt, dass wir eine Krankenhausreform brauchen. Es ging in den Diskussionen immer um die Zwischenfinanzierung, damit es kein kaltes Krankenhaussterben gibt. Es gibt nun einen Transformationfonds mit mehreren Milliarden, um Kliniken zu helfen, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Es stellt niemand in Frage, dass wir eine strukturelle Reform mit Spezialisierungen brauchen.
herrsching.online: Noch eine Frage zur Berliner Politik: Ist Opposition, wie Franz Müntefering mal sagte, Mist? Oder wenn Sie doch wieder in der Regierung sind: Müssen Sie ab März klatschen, wenn Herr Merz eine Rede hält?
Wegge: Das würde mir schon sehr schwer fallen. Aber wenn eine Demokratie gefährdet ist, müssen wir als demokratische Parteien in der Lage sein, miteinander zu reden und Kompromisse zu finden. Ich sage aber auch, dass die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Union und zwischen Grünen und Union nicht so groß sind. Für die Zukunft wäre es deshalb wichtig, dass wir die begonnene Arbeit weitermachen können. Mit der Union würde es deutlich langsamer gehen, es gäbe wieder Stillstand. Das müssen wir vermeiden. Mit Herrn Merz würde es zurück in die Vergangenheit gehen.
Am 06 Januar ein Interview mit KandidatInnen von Grüne und FDP, am 17 Januar ein Interview mit der SPD Kandidatin. Wo bleibt die derzeit in Umfragewerten stärkste Partei? Neutraler Journalismus sucht man hier vergebens. Wundert es jemand? Ich glaube nicht….
Wenn es in Deutschland der Wirtschaft schlecht geht, dann liegt der Grund in einem Versagen der Politiker, oder der Lehrer. Selten sind es die betrieblichen Manager die mit ihren Entscheidungen die Ursache sein könnten. Manchmal wundere ich mich da schon ueber diese Denkweise. Es ist doch gut, wenn Frau Wegge nicht nur an die Zukunft der „Gigafactory in Berlin Gruenheide“ denkt.
Mit der Union würde es deutlich langsamer gehen, es gäbe wieder Stillstand??? Noch nie ist es mit Deutschland so steil bergab gegangen als in den letzten drei Jahren unter der „Führung“ von Herrn Scholz. Ich frage mich daher ernsthaft, in welcher Welt Frau Wegge und viele ihrer Gleichgesinnten eigentlich leben. Das gilt natürlich auch für Ideologen wie Herrn Habeck.
Die Ideologen sind immer die anderen, gell, Herr Wirth.