Unter Herrschings Fluren wartet Wärme für 100 Jahre

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Erdwärme hatte in Herrsching? Kommt in 100 Jahre nicht, behaupteten Kommunalpolitiker. Doch jetzt sieht es so aus, als würde Herrsching im nächsten Jahrzehnt seine Wärme aus der Tiefe beziehen: Geothermie-Investoren, Ingenieure und Fachplaner haben am Donnerstagabend in einer beeindruckend faktenreichen Informationsveranstaltung im Seehof verkündet: Ab 2028 soll in der Seegemeinde 119 Grad heißes Wasser aus 3000 Meter Tiefe ein Nahwärmenetz speisen. Die Bohrstelle, von der sich ein riesiger Bohrer in die Tiefe wühlt, liegt zwischen Gewerbegebiet und Seefelder Straße. Der Grundstückseigentümer Jäger hat nach Informationen der Investoren das Gelände bereits veräußert.

Geballtes Know How zur Geothermie im Seehof: In der Mitte Geologe Wolfgang Alt, neben ihm die Herrschinger Projektmanagerin Sophie Birner, rechts der Besitzer der Bergrechte, Josef Birner und der Vertreter der Kapitalgeber, Tobias Schlepphorst. Foto: Gerd Kloos

Die Tiefengeothermie ist weitgehend ideologiefrei und durch kein Heizungsgesetz kontaminiert. Allerdings begegnen ihr Bürger mit im Doppelsinn tiefsitzenden Ängsten (die Fragen von Zuhörern im Publikum haben das deutlich gemacht). Dabei hat kaum eine andere Technologie soviel Potenzial. „Tiefengeothermie könnte ein Viertel des gesamten deutschen Wärmebedarfs abdecken“, glaubt Tobias Schlepphorst, Kapitalsammler für das 200-Millionen-Projekt im Dreiseenland. Die Wärme aus dem Erdreich sei

• Grundlastfähig (heißt: sie steht ständig zur Verfügung, ist weder vom Wetter noch von Lieferanten abhängig);

• unerschöpflich. Die geplante Anlage könnte ganz Herrsching mehrfach mit Wärme versorgen. Der Geologe Wolfgang Alt hat in seinem Vortrag erwähnt, dass das Thermalwasser aus der Tiefe in 70 Jahren um etwa ein bis zwei Grad kälter werden könne. Das Wasser aus dem Untergrund Herrschings ist nach Berechnungen der Wissenschaftler 119 Grad warm;

• einhundertprozentig CO2-frei und klimafreundlich – vorausgesetzt, der Strom für die Pumpen kommt aus erneuerbaren Quellen;

• fantastisch effizient. Die sogenannte COP-Zahl (Coefficient of Performance) liege bei der Tiefengeothermie bei 19. Das heißt: Für ein Teil investierte Antriebsenergie bekommt man das 19-fache an Energie zurück.

Hinter der „Erdwärme Herrsching“ steckt Josef Birner, der „sich seit einer Dekade durch keine Hindernisse abschrecken ließ“, wie Capitalgeber Tobias Schlepphorst lobt. Die verschiedenen Perioden im Leben eines Pioniers beschrieb Schlepphorst so: „Zuerst belächeln sie dich, dann bekämpfen sie dich, dann bewundern sie dich.“ Birner ist es nun gelungen, „das Who is Who der Geothermie-Technologie für das Herrschinger Projekt zu gewinnen“.

Viele Gebiete rund um Herrsching sind für industrielle Besiedelung tabu. Nur im schraffierten Bereich sind Bohrungen möglich.

Für Herrsching, so Schlepphorst, werde die Standortattraktivität durch das Projekt erhöht. Außerdem sei die Tiefengeothermie ein sehr positiver Beitrag zur Energiewende. Bisher habe es aber wenig Kontakte zum Gemeinderat selbst gegeben. „Wir haben allerdings ein Feedback von verschiedenen Gemeinderatsmitgliedern bekommen, die uns signalisiert haben, dass das ein supercooles Projekt sei. Der Gemeinde selbst habe er im Frühjahr das Projekt bei Bürgermeister Schiller und der AWA vorstellen können. Bürgermeister Schiller habe ihm zugesichert, dass „man die Probleme lösen wird, wenn sie anfallen“. Das verstehe er erst mal unter einer konstruktiven Haltung. Er könne nur sagen: Alles gut.

Die Investorengruppe plant aber nicht nur Wärmespenden für Herrsching, sie will auch in

• Andechs

• Seefeld

• Starnberg

aktiv werden.  So könne man rund 150 000 Haushalte mit Nahwärme aus der Tiefe versorgen.

Der Chef des Fachbüros für Geologie und Balneologie, Wolfgang Alt, hat den Zuhörern einen profunden (zum Thema passend: „tiefgreifenden“) Einblick in die Tiefengeothermie vermittelt. Alle 100 Meter im Erdreich steigt die Temperatur um drei Grad an. Notwendig für eine hydrothermische, sprich eine Warmwasser-Geothermie sind wasserführende Schichten („Malm“) im Untergrund. Durch die Bohrung werde das Wasser – erwartet wird eine Temperatur von 119 Grad – an die Erdoberfläche gefördert. In einem geschlossenen Kreislauf gibt das heiße Wasser die Wärme über einen Wärmetauscher an den Wärmeträger Wasser  ab. Dieses erhitzte Wasser wird in einem Nahwärmenetz zum Verbraucher transportiert. Das abgekühlte Wasser wird mit etwa 50 Grad im geschlossenen Kreislauf wieder zurück in den Untergrund befördert. Und dort wird es wieder neu auf Temperatur gebracht.

Der Standort im Norden von Herrsching sei sorgfältig ausgewählt worden

• Großzügiger Abstand zur Wohnbebauung. Lärmschutzgutachten bestätigten, dass die vorgeschriebenen Lärmwerte während der Bohrphase und beim Betrieb eingehalten werden.

• Abstand zu

– Naturschutz-

– Landschaftsschutz-

– Artenschutz-

– Vogelschutzgebieten

Die Zeitachse für das Projekt beschreibt Alt so:

2022 habe man sich das Feldrecht gesichert. 2024 sei das Potenzial des Untergrunds mit Seismik-Datenanalysen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen festgestellt worden. Außerdem seien die Bundesfördermittel zugesagt worden.

Wenn dann, wie Josef Birner optimistisch hofft, 2028 das erste Thermalwasser siedend heiß aus der Tiefe kommt, ist das Röhrensystem für die Herrschinger Haushalte noch nichts als ein großer Ordner mit vielen Plänen. Um damit trotz fehlender Transportwärme den warmen Segen aus dem Untergrund nutzen zu können, denken die Investoren über kleine Stromkraftwerke nach. Der Wasserdampf  würde eine Turbine antreiben, die lokal verfügbaren Ökostrom erzeugen würde. Allerdings sei der Wirkungsgrad solcher Dampfturbinen bei nur 119 Grad bescheiden. Solche Stromgeneratoren hätten nur einen Wirkungsgrad von 10 bis 11 Prozent.

Nach dem eindrucksvollen Crashkurs in Sachen Wärme aus dem Bauch der Erde hatten die Zuhörer Gelegenheit, Fragen zu stellen. Die Hauptsorge galt der Sicherheit von Haus und Haushaltskasse:

• Wie sicher ist die Tiefengeothermie?

• Führen Bohrlöcher unter die Wohnbebauung?

• Sind die Betreiberfirmen ausreichend gegen mögliche Schäden an Gebäuden versichert?

• Sind die ans Nahwärmenetz angeschlossenen Haushalte den Betreibern bei der Preisgestaltung schutzlos ausgeliefert?

Geologe Wolfgang Alt versicherte, dass es bei den 25 Tiefengeothermie-Projekten in München noch keine messbaren Schäden gegeben habe. „Und auch für Herrsching erwarten wir keine Erschütterungen.“

Warum Schäden an Wohngebäuden eher ausgeschlossen sind, ergibt sich aus der Technologie: Auf den ersten 800 Metern der Bohrung werde senkrecht gebohrt, so dass keine Gebäude betroffen seien. Erst anschließend verlasse der Bohrkopf die Senkrechte. In einem sanften Winkel arbeite er sich bis auf 3000 Meter Tiefe vor. Außerdem gebe es im Gegensatz zu den Kohleabbau-Revieren kein „Massendefizit“ im Untergrund, weil das abgekühlte Wasser ja wieder zurückgepumpt werde.

Andreas Gahr, Geschäftsführer der Enex Power und Planungspartner des Herrschinger Projekts, teilte den besorgten Bürgern mit, dass der Betreiber gesetztlich zu einer Versicherungsabdeckung von zehn Millionen verpflichtet sei. Außerdem gebe es ein sogenanntes „seismisches Monitoring“ durch die TU München. Sobald irgendwelche Bewegungen an der Erdoberfläche festgestellt würden, werde ein Bohrstopp verfügt. Zudem, so Geologe Alt, gebe es seit 1986 in der Gegend auf der Suche nach Öl „seismische Kampagnen“, die viel Wissen über den Untergrund zu Tage gefördert hätten.

Schematische Darstellung der Tiefengeothermie: Über die rote Leitung kommt das warme Wasser, das abgekühlte Wasser wird über die blaue Leitung wieder in die Malm zurückgepumpt. Es entst kein Massendefizit.

Zu den Preisen für den Anschluss der Haushalte hielten sich die Projektierer bedeckt: „Dazu können wir noch nichts Genaues sagen“, meinte der Technische Leiter Jan Rolwes. Erst wenn der Bohrer auf Herrschings heißen Schatz gestoßen ist und das Thermalwasser sprudelt, will sich das Unternehmen äußern. Unerschwinglich jedenfalls wird’s nicht, weil auch die Nahwärme im Wettbewerb steht: Niemand kann gezwungen werden, sein Haus ans Netz zu koppeln. Und wo das Prinzip Freiwilligkeit herrscht, kann es kein Preisdiktat geben.

Jetzt steht nur noch die bergrechtliche Genehmigung aus, nachdem schon zahlreiche Gutachten erstellt worden waren. Erkennbarer Grund für die geballte Information: Die Bürger sollten ihre alte Heizung noch nicht rausreißen, denn die Wärme könnte in einigen Jahren schon aus der Röhre kommen. Von der Gemeinde saß unter anderem der Bauamtsleiter im Publikum, der Bürgermeister war nicht anwesend. Dabei könnte, wenn das Projekt realisiert wird, die Geothermie die größte Investition Herrschings werden: Rund 200 Millionen Euro soll die Nahwärme für das Gesamtprojekt Dreiseenland kosten. Geologe Alt zweifelt nicht am Gelingen: „In 95 Prozent aller Bohrungen stoßen wir auf heißes Thermalwasser.“

Skizze von den geplanten Bohrpfaden: Der Bohrer arbeitet sich zuerst rund 800 Meter vertikal in die Tiefe und biegt dann in einem sanften Winkel ab. Die rote Linie kennzeichnet das Rohr zur Entnahme des heißen Wassers, in der blauen Leitung wird das abgekühlte Wasser wieder in den Untergrund gepumpt. Der gelbe Fleck markiert das Bohrfeld. Von dort arbeitet sich der Bohrer in die Tiefe. Dieses Feld liegt zwischen Gewerbegebiet und Seefelder Straße.

3 Comments

  1. Eine Veranstaltung, welche für die künftige Wärmeplanung Herrsching durchaus richtungsweisend sein könnte. Interessant auch der Aspekt der zusätzlichen Verstromung. Bedauerlicherweise zeigten nur 3 Vertreter des Gemeinderats Interesse an diesem Informationsabend. Nach Aussagen der Referenten wurde dem Herrschinger Bürgermeister das Projekt bei einem Treffen bereits vorgestellt. Es wäre an der Zeit, dass auch seitens der Gemeinde Herrsching deren Überlegungen zur kommunalen Wärmeplanung endlich vorgestellt werden. Oder will man mit dem erforderlichen Bericht für die kommunale Wärmeplanung bis zum gesetzlichen Termin 30.06.2028 warten?

  2. Intresante und informative Veranstaltung.

    Vllt. hatte Herr Schiller andere Verpflichtungen, dafür waren aber die 2. Bürgermeisterin und der 3. Bürgermeister vertreten.

  3. Es ist bezeichnend, dass Bürgermeister Schiller nicht anwesend war. Er bekundet damit wieder einmal sein Desinteresse an der zwingend vorgegebenen klimapolitischen Weiterentwicklung der Gemeinde. Oder ist er nur überfordert, wenn es darum geht, die Klimaziele zu erreichen? Dann muss er aber Platz machen.

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