Ein bisschen erinnert die Grundsteuer-Taktik der Gemeinde Herrsching an den alten Radio-Eriwan-Witz: Stimmt es, dass Genosse Juri ein Auto in der Lotterie gewonnen hat? Im Prinzip ja. Aber es war kein Auto, sondern ein Fahrrad. Und er hat es nicht gewonnen, sondern es wurde ihm gestohlen. Im Prinzip also zahlen 72 Prozent der Herrschinger Grundbesitzer dank der Steuerreform deutlich weniger Grundsteuer als früher. Aber die Entlastung hätte größer ausfallen können, wenn die Gemeinde die Hebesätze nicht von 300 auf 420 Prozent anheben würde. 27 Prozent der privaten Grundbesitzer zahlen künftig sogar mehr Steuern. Der Gemeinderat hatte am Montagabend den Grundsteuer-Hebesatz für Privatgrundstücke auf 420 Prozent geliftet. Das spült 1,9 Millionen Euro in die Gemeindekasse – 200 000 mehr als im letzten Haushalt. Der Beschluss erging einstimmig.
Immer wieder Karlsruhe: Dass die neue Grundsteuer die Bürger, die Verwaltung, die Gerichte und die Finanzämter triezen musste, geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgericht zurück. Die Kämmerin der Gemeinde Herrsching, Miryam Goodwin, erläuterte im Gemeinderat die komplizierte Materie: Bayern habe sich als einziges Bundesland für das Flächenmodell entschieden: Entscheidend ist deshalb für die Bemessung allein die Grundfläche und nicht das Bundesmodell, das Bodenwertmodell oder das Flächen-Faktor-Modell.
Allein in Herrsching muss die Gemeinde nun für 5 537 Grundstücke neue Steuergescheide errechnen. Und das geht so (wenn Sie das nicht wissen wollen, und das muss man auch nicht so genau wissen, dann überspringen Sie diesen Absatz):
Die Berechnung lautet: Der Äquivalenzbetrag ist Fläche x Äquivalenzzahl (Grundstücke 4 Cent pro Quadratmeter; Gebäude 50 Cent pro Quadratmeter) Daraus folgt der Messbetrag (Äquivalenzbetrag mal Grundsteuermesszahl; Grund-, Boden-, Gebäudeflächen: 100 Prozent, Wohnflächen 70 Prozent). Nun gibt es natürlich Ermäßigungen für die Land- und Forstwirtschaft, Baudenkmäler und sozialen Wohnungsbau. Und nun kommt endlich die Grundsteuer in Euro und Cent: Messbetrag x Hebesatz. Der lag in Herrsching bisher bei 300 Prozent.
Dieses Flächenmodell würde vielen Grundstücksbesitzern deutliche Entlastungen bringen. Aber nicht nur die Bürger haben das Jammern gelernt, auch die Gemeinde kann das bewundernswert gut: „In den Jahren 2021 und 2022 hatte die Gemeinde einen Kostenanstieg von 16 Prozent zu verkraften“, sagte die Gemeindekämmerin, „sie ist deshalb angehalten, Ausgaben zu senken und mögliche Einnahmen zu generieren.“ Und da kam nun die Reform der Grundsteuer wie gelegen: „Herrsching lag mit einem Hebesatz von 300 Prozent auf dem zweitletzten Platz im Landkreis – und das seit 2011.“ Die Land- und Forstwirtschaft musste sogar nur 250 Prozent bezahlen – das war der niedrigste Satz im Kreis. So steuerten Land- und Forstwirte den stattlichen Betrag von 6 000 Euro bei. Durch die Erhöhung des Hebesatzes sind das künftig sogar 19 000 Euro.
In der anschließenden Diskussion im Gemeinderat meldete sich der Kostenfuchs Christoph Welsch zu Wort: „Wozu wurden die Grundsteuern in Herrsching verwendet?“ wollte er von Kämmerin Goodwin wissen. „Grundsteuern fließen in den allgemeinen Haushaltstopf“, klärte sich auf. Aber Welsch war noch nicht fertig: „Die Grundsteuerreform sollte einkommensneutral sein. Warum haben wir keine Berechnungen mit dem bisher gültigen Hebesatz von 300 Prozent bekommen?“ hakte er nach. Goodwin erwiderte, dass die Gemeinde gezwungen sei, mehr Einnahmen zu generieren.
Das überzeugte dann das gesamte Gremium: Ohne Gegenstimme (auch Welsch stimmte zu) wurde der neue Hebesatz von 420 Prozent und 370 Prozent für Landwirte durchgewinkt.
Beispielrechnungen der Gemeindekämmerei für einzelne Objekte
Stimmt. So können Kommentare wichtige zusätzliche Klarheiten schaffen.
Es entsteht der Eindruck, die Gemeinde müsse für alle Grundstücke die oben geschilderten Berechnungen durchführen. Damit aber wären die Mitarbeiter wohl heillos überfordert. Aber Entwarnung! Tatsächlich haben diese Arbeiten längst die Finanzämter erledigt und für jedes Grundstück den Grundsteuermessbetrag festgelegt, der, wie schon immer, der Gemeinde mitgeteilt wurde. Die Arbeit der Gemeinde beschränkt sich also darauf, diesen Messbetrag zu übernehmen und mit dem Hebesatz zu multiplizieren.