Landrat Stefan Frey im herrsching.online-Interview über Tempolimit am Kinderhaus Kunterbunt: „Gesetzgeber hat mit seiner letzten Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung im Sommer 2024 keine Veränderung der bisher geltenden gesetzlichen Regelungen herbeigeführt/Landratsamt hat alle Handlungsspielräume der Straßenverkehr-Ordnung abgeprüft/In Berg musste Landratsamt auf Anordnung der Aufsichtsbehörde wieder Tempo 50 anordnen“///
herrsching.online: Dürfen die Herrschinger Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen, dass das Landratsamt eine Tempo-30-Zone vor Kindergärten und Schulen als wünschenswert ansieht?
Frey: Ob wünschenswert oder nicht. Das Landratsamt muss geltendes Bundesrecht (Straßenverkehrs-Ordnung) vollziehen. Heißt konkret, dass vor Ort kein Tempo 30 angeordnet werden darf, da sich die verkehrliche Situation für den Kindergarten durch den neuen Zugang wie die Hol- und Bringzone in der Seitenstraße am Fendelbach wesentlich und wünschenswert deutlich entschärft hat. Und wir darüber hinaus im Einvernehmen mit dem Bürgermeister, der Polizei sowie der Leiterin des Kinderhauses und einem Vertreter des Elternbeirates auf Basis der geltenden Rechtslage weitere gute Lösungen gefunden, die der Situation vor Ort gerecht werden und die Sicherheit der Kinder nochmals erhöhen. Dazu gehört beispielsweise eine weitere Bushaltestelle auf Höhe der Mittelinsel. Dadurch können die (Hort-)Kinder sicher auf den Gehweg aussteigen und müssen keine Straße mehr queren. Während der Bus hält, können auch keine Autos am Bus vorbei, dies schafft weiter Sicherheit und stoppt in dieser Zeit den fließenden Verkehr. Auch ein Beschilderung, die auf die Kinder hinweist, wird es geben. Dazu kommen temporäre Geschwindigkeitsanzeigen, Überwachungen durch die Kommunale Verkehrsüberwachung sowie voraussichtlich im Frühjahr eine längerfristige Geschwindigkeitsmessung. Einig waren sich alle Beteiligten, dass ein Tempo 30 wünschenswert gewesen wäre. Leider hat der Gesetzgeber aber – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – mit seiner letzten Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung im Sommer 2024 jedoch keine Veränderung der bisher geltenden gesetzlichen Regelungen herbeigeführt.
„Kein starker Ziel- und Quellverkehr mehr“
herrsching.online: In Kommentaren zur StVO wird bei der Einrichtung einer Tempo-30-Zone vor Kindergärten und Schulen auch „auf starken Ziel- und Quellverkehr“ abgehoben. Und der darf beim Kinderhaus Kunterbunt als gegeben angenommen werden. Warum hat das Landratsamt diesen „juristischen Fluchtweg“ nicht benutzt?
Frey: Weil über die neue Zuwegung des Kindergartens über die Seitenstraße am Fendelbach genau dieser starke Ziel- und Quellverkehr mit entsprechender Gefahrenlage vor Ort nicht mehr gegeben ist. Da sind sich alle Fachleute einig. Durch die neu entstehende Bushaltestelle schon zweimal nicht.
herrsching.online: Wenn ein Amtsgericht einen Bußgeldbescheid aufhebt, muss das ja nicht heißen, dass der Amtsrichter die Rechtsgültigkeit einer Tempo-30-Zone restlos überblickt. Schließlich gibt es vermutlich noch keine Berufung oder eine Revision gegen die Aufhebung eines Bußgeldbescheides wegen einer Tempo-30-Überschreitung vor einem Kindergarten? Könnte eine Behörde nicht einfach solche Urteile ignorieren, schließlich ist nur ein Verwaltungsrichtsurteil für eine Behörde bindend.
Frey: Die Rechtslage ist hier klar und eindeutig. Das Landratsamt hat alle Handlungsspielräume der Straßenverkehr-Ordnung abgeprüft. Impliziert also die Frage, geltendes Recht zu ignorieren und willkürlich zu verfahren? Es gibt jüngst ein konkretes Beispiel im Landkreis (Gemeinde Berg), in dem das Landratsamt von der Aufsichtsbehörde in einem vergleichbaren Fall angewiesen wurde, wieder Tempo 50 anzuordnen. Einen weiteren vergleichbaren Fall gibt es in Wörthsee, der über eine Petition entsprechend vom Innenministerium klargestellt worden ist.
„Behörde sollte keine rechtswidrigen Verkehrszeichen aufstellen“
herrsching.online: Nach Auskunft des Kinderhauses wurde in den letzten 4 Jahren in der Tempo-30-Zone am alten Kindergarten gar nicht kontrolliert, obwohl diese Zone gewiss rechtsfehlerfrei war. Und wo kein Kläger, da kein Richter? Würde eine Tempo-30-Zone, die nicht beanstandet wird, weil es keinen Bußgeldbescheid gibt, nicht helfen, den Verkehr zu beruhigen? Damit wären auch die Gemüter besorgter Eltern beruhigt.
Frey: Nein, würde es nicht! Unabhängig davon, dass die Straßenverkehrsbehörde bewusst keine rechtswidrigen Verkehrszeichen aufstellen sollte, wäre die von Ihnen genannte Wirkung allenfalls von kurzer Dauer. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht lange dauert, bis die erste Beschwerde über die Tempo 30-Regelung bei der Aufsichtsbehörde landet und wir die Schilder wieder abmontieren müssen. Und der Fall in Herrsching hat nicht zuletzt durch die entsprechende öffentliche Berichterstattung bereits rege Aufmerksamkeit bei vielen Verkehrsteilnehmern erfahren, nicht nur bei Eltern und Anwohnern.
herrsching.online: Würde ein formal als Eingang deklariertes Tor an der Rieder Straße, also nach Westen, juristisch ausreichen, um eine Tempo-30-Zone zu rechtfertigen?
Frey: Nein, der müsste dann auch tatsächlich als Eingang genutzt werden. Und künstlich eine neue Gefahrensituation zu schaffen, wäre doch auch völlig absurd, wenn die Gefahren durch den Neubau extra entschärft wurden.
Bei der Bürokratie sind wir Deutschen ja die absoluten Meister und Gewinner! Von einem seit Jahren versprochenen Abbau habe ich da bisher noch nichts gemerkt, im Gegenteil. Das hier ist ein gutes Beispiel dafür. Vielleicht könnten die zuständigen Behörden ihre Anstrengungen, eine Änderung zum Wohle der Kinder zu erreichen, verstärken. Damit Abhilfe geschaffen wird . Statt wieder nur „das geht nicht weil…“ Das wäre super!
Die Diskussion um Tempo 30 vor dem Kinderhaus Kunterbunt zeigt exemplarisch, wie bürokratische Hürden den gesunden Menschenverstand ausbremsen. Wenn selbst alle Beteiligten – von Eltern über Polizei bis zum Bürgermeister – Tempo 30 als sinnvoll erachten, scheitert die Umsetzung am starren Regelwerk der Straßenverkehrs-Ordnung. Es wirkt paradox: Alle reden vom Bürokratieabbau, doch beim Schutz unserer Kinder dominieren Formalitäten über pragmatische Lösungen.
Ein möglicher Ausweg könnte über den Umweltschutz führen: Studien zeigen, dass Tempo 30 Emissionen reduziert, was gerade in Wohn- und Schulbereichen ein zusätzliches Argument wäre. Vielleicht ließe sich so eine rechtliche Grundlage schaffen, die Bürokratie und Sicherheitsbedenken miteinander vereint.