Auf den Breitbrunner Friedhöfen liegen ehemals berühmte Leute/Ein Rundgang mit dem Buchautoren und Heimatforscher Robert Volkmann zu den Gräbern von Wohltätern, Nazi-Verbrechern, Gelehrten und der Gattin eines weltbekannten Literaten
Den Satz von Ottfried Fischer: „Heimat ist da, wo dir die Todesanzeigen etwas sagen“ haben wir für unseren Friedhofsbesuch mit dem Schlagenhofener Buchautor und Heimatforscher Robert Volkmann etwas abgewandelt. Volkmann weiß zu vielen Grabsteinen am Kirchlein St. Johannes Baptist und auf dem neuen Friedhof wunderbare Geschichten über berühmte Menschen, Wohltäter, Nazi-Verbrecher und „ehrengeachtete Ökonomensgattinnen“ zu berichten. Jeder Friedhof ist aber auch ein Spiegel der sozialen Verhältnisse. Denn ob das Familiengrab auf der sonnigen Südseite oder der kalten Nordseite liegt, hängt vom Status der Sippe ab.
Die Kirche St. Johann Baptist in Breitbrunn stammt aus dem 12. Jahrhundert. Und seit dieser Zeit war das wohl auch eine Begräbnisstätte. Der Friedhof ist historisch interessant, weil die alten Familien auf der Südseite des Friedhofs beerdigt wurden. Ein bisschen boshaft könnte man sagen: Ja, die ruhen auf der Sonnenseite. Später Zugezogene, nichtbäuerliche Breitbrunner wurden auf der Nordseite des Friedhofs bestattet. Die Gräber auf der Südseite mit den bäuerlichen Familiengräbern werden auch heute noch belegt. Der Letzte, der hier in einem Familiengrab beerdigt wurde, war meines Wissens der Herbert Glas.
Wichtige Bauern nannten sich Ökonomiewirte
Wenn die modernen Friedhöfe außerhalb der Orte angelegt sind, geht der religiöse Bezug zur Kirche natürlich verloren. Das sieht man auf den modernen Grabsteinen ohne religiösen Bezug. Auch die Berufsangaben fehlen heute auf den Grabsteinen. Das war früher anders. Auf dem Grabstein der „ehrengeachteten Frau Regine Bader“ in Breitbrunn war in Kursivschrift vermerkt: „Ökonomensgattin v. hier„. Und Ökonom war nichts anderes als eine vornehme Bezeichnung für Bauer. Wenn sich ein Bauer als Ökonom bezeichnet hat, dann hat er damit versucht, sich von seiner Berufsgruppe abzusetzen. Es gab damals sogar den amtlich verliehenen Ehrentitel „Ökonomiewirt“, was etwas Herausgehobenes war, denn Ökonomiewirte durften nur ein ober zwei Bauern im Dorf sein. Den Staat hat der Titel nichts gekostet, und der Bauer war glücklich, weil er nun ein Besonderer war. Übrigens gibt es noch eine Auffälligkeit auf neueren Grabsteinen: Die Angabe des Geburtsnamens von Frauen sieht man immer seltener.
„Auch im Tod noch Ellenbogen“
Dagegen sieht man auf modernen Gräbern immer häufiger das Fehlen von religiösen Bezug. Ein neueres Grab auf dem alten Breitbrunner Friedhof, das den Verstorbenen als Freund des Buches feiert, enthält zum Beispiel keine religiösen Hinweise mehr. Auf Friedhöfen, die von Kirchen verwaltet werden, kann es da schwierig werden, denn solche Verwaltungen werden in der Regel von sehr konservativen älteren Menschen geleitet.
Über die Gräber und ihre Gestaltung kann man ja unterschiedlicher Meinung sein. Der Autor Dieter Wieland schrieb in einem seiner Bücher, in manchen Gräbern würden die Toten eingeparkt liegen wie Luxuslimousinen, geschmacklos in jeder Beziehung. Und wenn man die Abstände und die massiven Einfriedungen betrachtet, dann fällt wir mir der Satz von Dieter Wieland ein: „Auch im Tod noch Ellenbogen“.
Auf dem alten Friedhof in Breitbrunn wurde auch der Großspender Franz Utz beerdigt, erstaunlicherweise auf dem Nordteil des Friedhofs. Utz war 1905 nach Breitbrunn gekommen, hat zwei kleinere bäuerliche Anwesen aufgekauft und dort eine private Schule für höhere Töchter errichtet. Während der Weltwirtschaftskrise hat er diese Schule dann gegen eine Leibrente an die Franziskanerinnen von Ursberg überschrieben. Zum Dank haben ihn die Schwestern bis zum Lebensende gepflegt. Für die Franziskanerinnen und für Breitbrunn war das ein Segen.
Eine Frage, die einem immer wieder bei überwachsenen und ungepflegten Gräbern begegnet: Müssen Angehörige die Gräber der Verstorbenen pflegen? Das ist gesetzlich tatsächlich nicht eindeutig geregelt. Die Pflege läuft halt im Rahmen des Gewohnheitsrechts.
Der Schwindel mit dem Grab des seligen Leypold
Die kleine Kirche St. Johann Baptist empfängt ihre Besucher mit einem naiven Bild des heiligen Luitpold oder Leypold. Diese historische Leypold-Figur war ein Sprößling der Andechs-Dießener Grafen. Er hat den größten Teil seines Lebens in Dießen verbracht. Die Tafel an der Kirche spricht vom „Einsiedler aus Ellwang“. Und bei Ellwang ist dieser Leypold auch ums Leben gekommen. Als er wusste, dass er sterben würde, setzte er sich auf einen Wagen und befahl den Zugtieren, loszulaufen. Als er dann auf dem Wagen starb, sollen die Tiere irgendwo zwischen Ellwang und Breitbrunn stehen geblieben sein. Bis ins 19. Jahrhundert gab es Wallfahrer, die auf dem Weg zurück Richtung Fürstenfeldbruck das Grab dieses Mönchs auf dem Friedhof von Breitbrunn besucht und immer eine Handvoll Erde mitgenommen haben, weil die gegen alles Mögliche helfen sollte. Die Diözese hat dann das Grab öffnen lassen, und siehe da, es war hier gar kein Mensch bestattet worden. Daraufhin hat die Diözesanverwaltung das Grab einebnen lassen. Damit ist diese Wallfahrt erloschen. Der Mesner hatte dann noch gestanden, dass er gelegentlich Erde nachgefüllt hatte, wenn die Wallfahrer zuviel davon mitgenommen haben.
Eine hochspannende Familiengeschichte erzählt auch dieses Grab auf dem neuen Friedhof von Breitbrunn. Hier liegt neben seinen Vorfahren ein Professor für Neurologie begraben. Leider war sein Vater war ein ganz ganz übler Nazi. Er war einer der Anführer des Hitlerputsches 1934 in Österreich. Nachdem dieser Putsch gescheitert war und die Nazis den Anschluss Österreichs noch ein bisschen verschieben mussten, kam der Mann nach München und wurde hier mit offenen Armen empfangen. Er bekam gleich einen Lehrstuhl für Geschichte von den braunen Machthabern.
Die Tochter eines berühmten Archäologen heiratet einen Nobelpreisträger
Noch spannender als die Familiengeschichte der beiden Professoren war die Vita der Hera Canetti. Sie war eine Tochter des zu seiner Zeit berühmten Archäologen Ernst Buschor. Er war Direktor des Archäologischen Instituts in Athen. Mehr geht nicht, das ist die Königswürde für einen Archäologen. Bushor hatte im Wesentlichen auf Samos gegraben und die Hälfte seines Lebens auf dieser Ägäisinsel verbracht. Buschor ist wohl auch der höchst dekorierte Tote, der auf dem Breitbrunner Friedhof liegt. Der Bundespräsident verlieh ihm den höchsten Orden Pour le Merite für Künste und Wissenschaften.
Es gibt viele Geschichten über Buschor. Der Bayerische Rundfunk hatte zu irgendeinem Jubiläum ein Hörbild über ihn gemacht. Der Journalist hatte im Zuge der Recherchen auf Samos eine Kneipe ausfindig gemacht, von der es hieß, hier sei Buschor verkehrt und hätte sich immer mit dem Papageien des Wirts unterhalten. Als der Journalist den Wirt auf den Vogel anspricht, erzählt der, dass der Papagei wenig später nach Buschors Tod auch gestorben sei. Der Wirt fügte noch an, dass sich der Archäologe und der Papagei unterhalten und stundenlang miteinander diskutiert hätten. Der Journalist fragte dann den Wirt, worum es in der Unterhaltung gegangen sei. Der Wirt antwortete, er habe kein Wort verstanden, weil die beiden Altgriechisch gesprochen hätten.
Der Archäologe war ein Freund Karl Valentins – beide hatten einen ähnlich schrägen Humor
Der Archäologie war übrigens auch der erste Herausgeber von Werken des Karl Valentin, mit dem er persönlich befreundet war. Die beiden hatten offensichtlich einen unglaublich schrägen Humor gehabt. Buschor war auch ein bedeutender Übersetzer, er hat alle klassichen Dramatiker von Aischylos bis Euripides ins Deutsche übersetzt. Dass Buschor auch mit Carl Orff aus Dießen befreundet war, ist nicht verwunderlich, solche Leute kannten sich. Orff soll ihm gesagt haben, er solle sich mal einen Text anschauen, er schreibe gerade eine Musik dazu. Buschor hat Orff dann die Texte aus dem halb Mittellatein halb Althochdeutsch ins Deutsche übersetzt. Aber Orff hat die Übersetzung dann nicht genommen, weil ihm dann diese seltsame Sprache verloren gehe und alle die Übersetzung von dem Buschor haben wollten. Deshalb müssen sich Chöre auf der ganzen Welt mit diesem Küchenlatein herumschlagen, wenn sie die Carmina Burana singen. Hätte Orff doch nur auf seinen Freund Buschor gehört, dann wäre Breitbrunn auch mit dem berühmtesten Musikstück verbunden gewesen.
Ein Hauch von Wiener Zentralfriedhof in Breitbrunn.? Ein Besuch des kirchlichen Friedhofs in Breitbrunn ist schon aufgrund seiner geografischen Lage ein „Highlight“. Dass er auch ein Zeitfenster in die Vergangenheit menschlichen Lebens ermöglicht, auch das ist unbestritten. Wir können uns erinnern, erinnern an bedeutende und weniger erfolgreiche Menschen, die hier hier in Breitbrunn vor uns lebten.