Öffentlichkeit darf nicht dabei sein, wenn der Gemeinderat in einer Klausur über die Umbenennung NS-belasteter Straßenamen berät/Gemeinderäte Keim, Welsch und Schiller sprachen sich gegen Umbenennung aus/Im Anschluss an diesen Gemeinderatsbericht sind die Forschungsergebnisse von Friederike Hellerer zusammengefasst///
Zwei Tage nach der Demonstration für Demokratie und Menschenwürde waren sich die meisten Zuhörer im Gemeinderat sicher: Das wird ein Selbstläufer. Wer kann sich ernstlich für Straßennamen einsetzen, deren Träger „als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaates verstrickt waren”, wie es die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer formulierte. Die Umbenennung der NS-belasteten Straßennamen Ploetzstraße, Erich-Holthaus-Straße und Madeleine-Ruoff-Straße wurde trotzdem vertagt. Als strikte Gegner einer Umbenennung outeten sich die Gemeinderäte Alexander Keim (FDP), Valentin Schiller und Christoph Welsch (beide Grünen-Fraktion). Man verständigte sich darauf, dass in etwa 8 Wochen dazu eine nichtöffentliche Klausur zu diesem Thema anberaumt wird. Die FDP-Gemeinderäte Keim und Puntsch plädierten für nichtöffentliche Sitzungen bei diesem Thema. Keim wich hier von seiner sonst vehement vertretenen Position ab, möglichst viel Öffentlichkeit zuzulassen.
Die Bürgergemeinschaft Herrsching hatte im Juni den Prozess zur Umbenennung der Ploetz-, der Erich-Holthaus- und der Madeleine-Ruoff-Straße angestoßen. Die wissenschaftliche Begründung dafür lieferten die Forschungen der Historikerin Friederike Hellerer. „In unserer Zeit”, so Hellerer, „würden Madeleine Ruoff, Alfred Ploetz und Erich Holthaus nicht mit einem Straßennamen geehrt werden. Es darf angenommen werden, dass entscheidende Fakten denjenigen, die für die Straßenbenennungen verantwortlich waren, nicht bekannt waren.” Nun sind die Fakten bekannt, nur die Meinungen der Gemeinderäte noch nicht – zumindesten bis Montagabend.
Alexander Keim (FDP) meldete sich mit einem grundsätzlichen Statement zu Wort, das in ein klares Plädoyer mündete: „Ich bin für die Beibehaltung der Straßennamen.” Herrsching habe die braune Vergangenheit hinter sich gelassen. Madeleine Ruoff habe den örtlichen Kindergarten großzügig mit einer Spende unterstützt, ohne die der Kindergarten gar nicht möglich gewesen wäre. Zur Ploetzstraße meinte Keim, dass die Vita von Ploetz damals schon bekannt gewesen sei. 2002 hatte der Gemeinderat („in einem faulen Kompromiss”, wie Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann anmerkte) die Straße von Alfred-Ploetz-Straße in Ploetzstraße umbenannt, um die Familie zu schützen. Keim jedenfalls sieht bei den Figuren aus der Nazizeit „keine Verbrecher gegen die Menschlichkeit”.
Gemeinderat Keim schickte der Redaktion nach der Sitzung folgende Stellungnahme: „Die Zuschriften der Bürgerinnen und Bürger haben dafür gesorgt, dass einiges an neuen Informationen an uns herangetragen wurde, was bisher in der Diskussion keine Berücksichtigung gefunden hat. Ich möchte gemeinsam mit den Räten besprechen, ob das zu einer neuen Bewertung des einen oder anderen Falles führt. Ich hatte von Anfang an gefordert, dass wir auf die Integrität der betroffenen Familien Rücksicht nehmen müssen, da ich jede Form der Kontaktschuld entschieden ablehne. Hier müssen wir jetzt sauber nacharbeiten. Informanten und Betroffenen steht es daher zu, dass wir diese Diskussion nicht in der Öffentlichkeit führen.“
Claudia von Hirschfeld: „Würden wir heute noch Straßen nach diesen Personen benennen?”
Die BGH-Rätin Claudia von Hirschfeld widersprach mit großer Klarheit und hob hervor, dass man mit einem Straßenschild ja einen verdienstvollen Bürger ehren wolle. „Würden wir heute noch Straßen nach diesen Personen benennen?”
Besorgte Anlieger in den 3 Straßen beruhigte Grünen-Rätin Traudi Köhl mit dem Hinweis, dass niemand seine Visitenkarten wegwerfen müsse, in Breitbrunn am Friedhofsweg beließ man es ja auch beim alten Namen unter dem neuen Straßenschild „Am Königsberg”.
Der Bürgermeister machte darauf hin deutlich, dass die Gemeinde die Kosten für die Straßenanlieger nicht übernehmen könne, dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Von Hirschfeld warf darauf hin ein, dass München sehr wohl die Kosten bei neuen Straßennamen übernehme. Valentin Schiller verwies darauf, dass die Kosten für Gewerbetreibende zu hoch seien. Er sprach sich dezidiert für die alten Straüßennamen aus: Man könne ja schließlich nicht Kinder in einen Kindergarten schicken, dessen Gönnerin (Madeleine Ruoff) vom Straßenschild getilgt wurde.
Mitten in der Diskussion meldete sich Keim noch einmal mit der Forderung zu Wort, die Angelegenheit in einer nichtöffentlichen Sitzung weiterzuführen.
62 Prozent der Bürger-Mails sprachen sich für eine Umbenennung aus
Die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer hatte in der Sitzung das Stimmungsbild vorgetragen, das sich aus den 127 Bürger-Stellungnahmen ergab. Sie habe bei der Auswertung „einen Knoten im Kopf bekommen”, weil für die Bürgerbefragung von der Gemeinde kein klar formulierter Fragebogen mit geschlossenen Fragen verschickt worden war. Immerhin ergab sich, dass sich von den 127 Bürger-Antworten 79 allgemein für Umbenennungen aussprachen.
Gemeinderat Christoph Welsch sprang Keim bei, bezweifelte die Umfrage-Validität („nicht repräsentativ”) und bekundete, dass auch er gegen eine Umbenennung der Straßen sei. Welsch machte einen dialektischen Bauchaufschwung, indem er die Auseinandersetzung mit der Historie ins Spiel brachte: „Wenn wir die Straße in Gänseblümchenstraße” umbenennen, ist eine Diskussion über die Geschichte Herrschings nicht möglich.”
Wenn der Herrschinger Gemeinderat nicht weiter kommt, weil man sich nicht eindeutig positionieren will, dann wird entweder vertagt, ein Arbeitskreis einberufen oder eine Geheimtreffen vorgeschlagen. In 8 Wochen, so beschloss die Mehrheit, trifft man sich zum Thema Straßenumbenennung wieder in einer Klausur – im illustren Kreis der Räte, ohne Volk und Bürger.
Die Forschungsergebnisse der Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer
Präambel:
„Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaates verstrickt waren, hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Waren in der direkten Nachkriegszeit die nationalsozialistischen Funktionseliten nahezu nahtlos in den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland integriert, wird ihr Verhalten während des sogenannten „Dritten Reichs” heutzutage weitaus kritischer beurteilt. Das gilt auch für die drei vorliegenden Fälle von „Arisierungsgewinn”, Denunziation und pseudowissenschaftlicher Expertise.
Gleichzeitig gab es in der Zeit gute Gründe für die Ehrung mit einem Straßennamen, da sich beispielsweise Erich Holthaus als VdK-Vorsitzender für den Bau der VdK-Siedlung in Lochschwab einsetzte und damit in der Nachkriegszeit, als sozialer Wohnungsbau besonders wichtig war, für günstigen Wohnraum in
Herrsching sorgte. In unserer Zeit würden Madeleine Ruoff, Alfred Ploetz und Erich Holthaus nicht mit ·
einem Straßennamen geehrt werden. Es darf angenommen werden, dass
entscheidende Fakten denjenigen, die für die Straßenbenennungen verantwortlich
waren, nicht bekannt waren.
Alfred Ploetz 1860-1940
Alfred Ploetz kam am 22. August 1860 in Swinemünde auf die Welt. Ploetz ging in Breslau zur Schule, wo er Carl und Gerhard Hauptmann kennenlernte. Schon 1879 gründete er einen „Schülergeheimbund” „Zur Ertüchtigung der Rasse”. Ploetz studierte nach dem Schulabschluss zunächst Nationalökonomie in Breslau. Seine sozialistische Einstellung ließ ihn befürchten, durch die Bismarckschen Sozialistengesetze verfolgt zu werden, weswegen er 1883 nach Zürich floh. Zwischenzeitlich verbrachte Ploetz einige Zeit in Amerika, wo er in einer „Ikarien-Kolonie” (vgl. „Ikarien” von Uwe Timm) nach sozialistischen Grundsätzen lebte. Diese Erfahrungen endeten mit einer großen Enttäuschung, und Ploetz kehrte nach Zürich zurück. 1887 wechselte Ploetz das Studienfach und widmete sich der Medizin. Er promovierte sich 1890. Ploetz gehörte in Zürich einem Kreis strenger Antialkoholiker an, zu dem auch Adolf Fick, der Vater des Architekten Roderich Fick zählte.
1895 veröffentlichte Ploetz sein Werk „Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum „Socialismus”. Darin wird eine Gesellschaft beschrieben, die nach rassehygienischen Idealen lebt. Es heißt: „ .. . Nach Beginn der Schwangerschaft wird die junge Mutter als eine höchst wichtige Persönlichkeit betrachtet, man gewährt ihr alle möglichen Mittel für ihr eigenes und das Gedeihen ihrer Leibesfrucht, sowie für den ungestörten Ablauf der normalen Geburt. Stellt es sich trotzdem heraus, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Aerzte-Collegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dose Morphium. Die Eltern, erzogen in strenger Achtung vor dem Wohl der Rasse, überlassen sich nicht lange rebellischen Gefühlen, sondern versuchen frisch und fröhlich ein zweites Mal, wenn ihnen dies nach ihrem Zeugniss über die Fortpflanzungsbefähigung erlaubt ist. Dieses Ausmerzen der Neugeborenen … “
Schon in einer Rezension dieser Schrift wurde darauf hingewiesen, dass jeder Versuch, rassenhygienische Tüchtigkeit wissenschaftlich zu definieren, in Unmenschlichkeit und Grausamkeit enden werde. Seit 1904 gab Ploetz die Zeitschrift „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie heraus. 1905 gründete er die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene. Außerdem initiierte er mehrere Geheimbünde, die sich der “Rettung der nordischen Rasse” und deren Reinhaltung verschrieben. Laut Meldekarte zog Ploetz 1914 nach Herrsching. Er hatte das Gut Rezensried gekauft, wo er die Landwirtschaft betrieb und Versuche zur Genveränderung bei Kaninchen durch Alkoholismus unternahm.
1928 äußerte Ploetz sich zum Thema „Ziele und Aufgaben der Rassenhygiene” in den Süddeutschen Monatsheften (1928/25/Heft6, S. 402-404): „Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen (Eheberatungsstellen), durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (Möglichkeit von Straferlass bei Sterilisierung), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches.”
Gleich nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten wird ein Gesetz aufgelegt und am 1 . Januar 1934 verabschiedet, das erlaubt Personen, zwangsweise zu sterilisieren, „wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden”(„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”).
1934 erhielt Ploetz wegen seiner Verdienste um die theoretischen Grundlagen der Rassenhygiene und der Propagierung dieser Ideen den Pettenkofer-Preis zugesprochen. 1936 ernannte der „Führer und Reichskanzler” Adolf Hitler Ploetz wegen seiner Verdienste um die deutsche Rassenhygiene zum Professor. 1940 starb Alfred Ploetz.
Zwischen 1934 und 1945 wurden von den Nationalsozialisten ca. 400 000 “Kranke”zwangssterilisiert. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 200 000 Personen im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms ermordet.
Erich Holthaus
Erich Holthaus war ab 1948 Erster Vorsitzender des VdK-Ortsverbands Herrsching und setzte sich in dieser Funktion für die Erbauung einer VdK-Siedlung ein (sozialer Wohnungsbau?), die 1956 mit 10 Häusern realisiert wurde. Ihm zu Ehren wurde die Straße in Lochschwab, an der die Häuser liegen, Erich-Holthaus-Straße genannt. Heute wissen wir mehr über seine Person. Erich Holthaus wurde am 20. August 1891 in Düren im Rheinland geboren. Er besuchte die Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn-Poppelsdorf, die er ohne Abschlusszeugnis verließ und bezeichnete sich selbst als Landwirt. Holthaus nahm als Offizier am Ersten Weltkrieg teil und schaffte es bis zum Oberleutnant. Er erlitt schwere Verwundungen, unter anderem eine Beinamputation, und erhielt das EK 1. und 2. Klasse, das Verwundeten-Abzeichen in Silber, das Flieger-Abzeichen und das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse. Nach dem Krieg arbeitete er in Alling für die Raiffeisenorganisation.
1929 trat er dem “Stahlhelm” bei, einem demokratiefeindlichen Zusammenschlussehemaliger Frontsoldaten, die u.a. bewaffneten Saalschutz für die DNVP stellten. In den Zwischenkriegsjahren musste Holthaus mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen werden, da er durch hohe Schmerzmittelgaben drogenabhängig geworden war und psychische Probleme hatte. Sein behandelnder Arzt bescheinigte ihm „schwere geistige und charakterliche Schädigungen.”1934 wurde Holthaus Mitglied der SA und erhielt den Rang eines Obersturmbannführers, was dem Rang eines Oberstleutnant entsprach. 1942 kehrte er zur Wehrmacht zurück. Kurz zuvor war er zum Standartenführer der Jägerstandarte 3 ernannt worden. In der Parteikartei wird als Begründung für seine Beförderung folgende Beurteilung vermerkt: „Obersturmbannführer Erich Holthaus, der derzeitiger stellvertretender Führer der Jägerstandarte 3, ist trotz seiner schweren Verwundung, die er im Weltkrieg erlitt …unermüdlich für die Ausbildung der ihm unterstellten Einheiten tätig. H. hat sich um die Durchführung der Vorbereitungen für die freiwillige vormilitärische Wehrerziehungbesonders verdient gemacht.”
In seiner Vernehmung vor der Spruchkammer im Jahr 1948 erklärte Holthaus, er sei 1938 unfreiwillig in die NSDAP aufgenommen worden. Gleichzeitig bescheinigte ihm der damalige Herrschinger Bürgermeister Rehm: „Galt als eifriger Anhänger des Dritten Reiches!” In einem Entnazifizierungsprozess wurde Holthaus vorgeworfen, die Schwiegermutter des N.N. schwer belastet und bei der NSDAP denunziert zu haben. Holthaus schrieb an N.N.: „… Ich wollte Ihnen … sagen, dass ich es für meine selbstverständliche Pflicht als Nationalsozialist u. SA Führer gehalten habe, den Brief Ihrer Frau an meine Frau … sofort nach Erhalt dienstlich an eine maßgebende Stelle weiterzugeben. Denn das Verhalten Ihrer Schwiegermutter kann nicht mehr als dummes Gerede alter absterbender Weiber gewertet werden, sondern ist ein zielbewusstes Unterminieren, ja geradezu Landesverrat … Aber auch schon früher sah ich mich gezwungen, auf dies Treiben Ihrer Schwiegermutter u. deren Hintermänner aufmerksam zu machen. Ich hoffe, dass jetzt endlich diesem zersetzenden Treiben ein Ende bereitet wird.” Denunziationen dieser Art führten in vielen Fällen direkt in in KZ. In diesem Fall sind keine Folgen für die Betroffenen überliefert. Erich Holthaus starb 1963 in Bad Tölz.
Mit dem heutigen Wissen und mit Blick auf die Geschichte erscheint der Straßenname in einem anderen Licht.
Madeleine-Ruoff
Über Madeleine Ruoff schrieb der Herrschinger Heimatpfleger Gustl Empfenzeder in den „Herrschinger Heften”: „Die verdienstvolle Herrschinger Bürgerin wurde am 16. Oktober 1887 in Wilmington im Staate Delaware als Tochter des Bankiers und Papierfabrikanten Alfred du Pont geboren. Die Vorfahren, französische Refugees, gingen ins freiheitliche Amerika und wurden dort eine große, hochangesehene amerikanische Familie, in dessen Händen die Nylon-Industrie lag. Seit 1911 lebte Frau Ruoff in Deutschland, heiratete in 2 . Ehe den Ingenieur Hiebler und in 3 . Ehe Hermann Ruoff. Von 1923 bis 1946 wohnte sie als Amerikanerin in Deutschland, machte die schweren Jahre des Krieges und die Not der Nachkriegszeit mit. Sie stiftete den Herrschinger Kindergarten, intervenierte bei den Besatzungsmächten für Herrsching. Der Gemeinderat Herrsching verlieh ihr im Juli 1961 einstimmig die Goldene Bürgermedaille. Am 24. Juni 1964 starb sie in München und wurde auf dem Herrschinger Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Ihre Liebe zu Deutschland, zu Bayern und zu Herrsching hat sie- selbst in schwersten Zeiten- nie verleugnet.” Am 26. Juli 1967 beschloss der Herrschinger Gemeinderat, die Keramische Straße von der Kienbachbrücke bis zur Riederstraße ihr zu Ehren in „Madeleine-Ruoff-Straße” umzubenennen.
Heute hat sich der Blick auf die Geschichte verändert. Madeleine Ruoff entstammte der reichen und in Amerika bis heute mächtigen DuPont-Dynastie, die im 19. Jahrhundert viel Geld mit der Produktion und dem. Verkauf von Dynamit verdient hatte. Ihre erste Ehe in Amerika war sie gegen den Willen des Vaters eingegangen. Nach der Scheidung zog sie nach Europa und heiratete erneut. Ihre drei Söhne wuchsen unter anderem in Herrsching auf. Madeleine Ruoff hatte mehrere Immobilien in der Gemeinde. 1939 überließ sie das Gebäude in der damaligen Fritz-Reinhardt-Straße, der heutigen Seestraße, der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt) als Kindergarten und schenkte es im folgenden Jahr der Gemeinde. Ihr weiteres Haus an der Seepromenade stellte sie ebenfalls der NSV zur Verfügung. Es diente für drei Jahre als „Müttergenesungsheim”. Madeleine Ruoff und ihr Mann erwarben während des Krieges mehrere Immobilien. 1948, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kam es zu einem „Wiedergutmachungsprozess”. Dem Ehepaar Ruoffwurde vorgeworfen, sich an arisierten Immobilien bereichert zu haben. Es ging vor allem um zwei Münchner Immobilien der Familie von Dr. Franz Philbert Löwenfeld. Deren Anwalt schrieb am 03. März 1949: „Die Ehefrau Ruoff war Amerikanerin. Nach Beendigung des Polenfeldzuges entschloss sie sich, sehr erhebliche Dollarbeträge nach Deutschland zu transferieren und suchte hier Kapitalanlagen. Da das Reich außerordentlich devisenarm war, wurden ihr günstige Dollarumrechnungsbeträge bewilligt.” In einem späteren Schreiben des Anwalts vom 18. Juli 1949 heißt es: “Im Jahre 1940 stammte das geringe, damals vorhandene Immobilienangebot ausschließlich von Eigentümern, welche auf Grund der Arisierungsgesetze zum Verkauf gezwungen waren.” Im gesamten Wiedergutmachungsverfahren wurde von Seiten der Eheleute Ruoff versucht, sowohl den Kauf als Wunsch, Löwenfeld “zur Auswanderung zu verhelfen” darzustellen als auch zu bestreiten, Löwenfeld sei zum Verkauf gezwungen gewesen. Eigentlich sei der Kauf aus Freundlichkeit gegenüber der Familie Löwenfeld zu Stande gekommen. Im Jahr 1953 wurde ein Vergleich geschlossen, der die Nichtigkeit des Vertrags von 1940 erklärte, das Gebäude in der Isabellastraße den Nachkommen Löwenfeld zuschrieb und deren Verzichtauf das (zerbombte) Gebäude in der Ainmillerstraße dokumentierte.
Die Umbenennung der Keramischen Straße in „Madeleine-Ruoff-Straße” geschah während der zweiten Amtszeit Ludwig Schertels als Bürgermeister der Gemeinde Herrsching. Schertel war schon in den Jahren 1937 bis 1945 Bürgermeister gewesen und hatte einen guten Kontakt zu Madeleine Ruoff gepflegt. Er hatte auch die Verleihung der neugeschaffenen Bürgermedaille an sie initiiert.
*Nähere Einzelheiten zur Rolle des DuPont-Konzerns, der im Übrigen mit Blaukreuz Geld
verdiente, während des Zweiten Weltkriegs siehe: “Der Spion vom Pariser Platz”- im
Internet aufrufbar.
Durch die wissenschaftliche Arbeit von Frau Dr. Hellerer ist zweifelsfrei belegt, dass die Namensgeber dieser Straßen eindeutig in den Nationalsozialismus verstrickt waren. Die von einigen Gemeinderäten vorgebrachten Rechtfertigungsgründe für eine Beibehaltung dieser Straßennamen waren absolut peinlich. Es ist beschämend, dass die Gemeinde Herrsching NS-belastete Personen nach wie vor mit einem Straßennamen ehrt.
“Wuerden wir heute noch Straßen nach diesen Personen benennen?” Diese Frage stellt uns Frau Hirschfeld und trifft damit den Kern des Problems. Ich denke, dass niemand das heute ernsthaft versuchen würde (ausser eine nationalsozialistische, antidemokratischen Partei vielleicht). Wenn ich Ihren Denkanstoß also weiterführe, dann sollten wir umbenennen und so aktiv unsere Denkmalskultur auf den neuesten Stand der politisch demokratischen Reife “updaten”.
Es macht mich betroffen, ja fassungslos, dass weiterhin gleich drei Straßennamen in Herrsching drei eindeutige Faschisten ehren. Ausgerechnet jetzt, das europaweit die rechten Fraktionen nach vorne drängen, Europas Einheit bedrohen und Unheil anrichten. Auf der Demonstration für die Vielfalt sagte Gert Heidenreich unter grossem Applaus: so würdelos, die AfD zu wählen, sollte keiner von uns sein. Man könnte hinzufügen: so würdelos, Faschisten mit Straßennamen zu ehren, sollte keiner von uns sein. Ich verstehe es nicht. Es gibt keine Rechtfertigung, schon gar nicht die fadenscheinige Begründung: »sie hätten viel für Herrsching getan« Haben sie auch: »für ein faschistisches Herrsching«. Ich schäme mich zutiefst für euch.
Karl Rellensmann, Musikschulleitung
Herr Keim macht mich sprachlos. War es nicht er, der kürzlich mehr Öffentlichkeit einforderte? Und nun soll ein Thema, das Öffentlichkeit verdient, hinter verschlossenen Türen abgehandelt werden? Ich empfehle nachzulesen, was in nichtöffentlichen Sitzungen beraten werden darf. Die Umbenennung von Straßen fällt keinesfalls darunter. Entweder kennt Herr Schiller die einschlägigen Bestimmungen nicht oder er will sie wieder einmal nicht angewendet sehen und hat deshalb als Versammlungsleiter nicht eingegriffen. Demokratieverständnis – Note 6!
Es wird so viel über Vergangenheitsbewältigung geredet und geschrieben, aber wenn‘s ans Eingemachte geht, dann kneift man.
Schade um die viele Arbeit, die sich Frau Hellerer mit ihren Recherchen gemacht hat. Das Lob, das sie aus den Reihen des Gemeinderates dafür erhalten hat, hätte man sich auch sparen können, wenn man keine Konsequenzen daraus ziehen will.
Peinlich und beschämend die Ausreden, weshalb manchen Gemeinderäten eine Änderung nicht sinnvoll erschien. QR-Codes alleine werden das Problem nicht aus der Welt schaffen, dass man hier die Falschen mit Straßennamen geehrt hat.