Psychologie-Professor Thomas Brudermann über die Kunst der Ausreden/Herrschinger Gespräche mit Faltsch Wagoni und vielen Pointen/Angst, Bequemlichkeit, Selbstlügen und Technologie-Schwindel sind die großen Gegenspieler der Verhaltensänderungen//
Es ist eine Art intellektuelles Lagerfeuer: Bei den Herrschinger Gesprächen der evangelischen DreiSeenGemeinde geht’s um die großen Themen. In der neuesten Ausgabe dieser Talkshow: Der Grazer Psychologie-Professor Brudermann konfrontierte seine 70 Besucherinnen und Besucher im Kurparkschlösschen mit ihren Umwelt-Ausreden. Moderator Hans-Hermann Weinen lenkte das Gespräch direkt in unsere seelischen Abgründe entschuldigter Ökosünden: Warum reden wir unseren SUV schön, warum verzeihen wir uns die Thailandreise, warum schieben wir den Kauf einer Wärmepumpe in eine ferne Zukunft? Brudermann, der zur Entscheidungspsychologie forscht, hat unsere Ausflüchte zwischen zwei Buchdeckeln beschrieben: „Die Kunst der Ausrede“ heißt sein Buch dazu. Wenn Sie die Hitliste der gebräuchlichsten Umweltschwindeleien kennen lernen wollen, dann sollten Sie diesen Artikel zu Ende lesen.

Das Thema haben Silvana und Thomas Prosperi alias Faltsch Wagoni gleich zu Beginn musikalisch auf den Punkt gebracht: „So haben wir geredet, so haben wir gedacht – und nichts gemacht.“ Warum das so ist, dafür bietet Thomas Brudermann, Psychologie-Professor in Graz, eine evolutionäre Entschuldigung ganz im Sinne christlicher Vergebungsrhetorik an: Der Mensch tut sich schwer mit Entscheidungen, wenn die schlimmsten Folgen weit weg zu sein scheinen, aber schmerzhafte und verzichtbeladene Gegenmaßnahmen in der Gegenwart nötig wären. „Die Evolution hat uns darauf nicht vorbereitet.“ Kurzfristige Abwehr hat der Mensch in der Savanne gelernt, wenn er von einem Raubtier bedroht wurde. Die weitere Zukunft zu gestalten, stand nicht auf der Agenda der frühen Menschen. Andererseits: Warum pflanzt ein Waldbauer einen Baum, den erst seine Kinder ernten können – doch so etwas wie Verantwortung für die ferne Zukunft? Naja, könnte man dem Professor entgegnen: Der Waldbauer hat deshalb so viele Fichten gepflanzt, weil die in 30 Jahren Ertrag bringen. Das könnte ihm immerhin die Rente sichern.
Top 1-Ausrede: Die Dinge sind halt so, wie sie sind, ist eine der bequemsten Ausreden, und mit dieser Täuschung sieht man im Spiegel keinen Umweltsünder mehr. „Das menschliche Verhalten ist wie eine Schere: Eine Schneide ist das eigene Verhalten, die andere sind die gegebenen gesellschaftlichen Strukturen“, sagt Brudermann. Und er belegt seine abstrakten Erkenntnisse gerne mit konkreten Erlebnissen: In seinem Hotel am Ammerseeufer fand er viele Fleischgerichte, er musste lange suchen, bis er auf ein vegetarisches Gericht stieß. Er hätte es sich leicht machen können: Bei so wenig Auswahl esse ich halt Fleisch. Und schon hätte er eine pfundige Ausrede zur Hand: Der Wirt, der Metzger, die Politik ist schuld daran, dass ich nun Fleisch esse. Wer mit solchen Tricks sein Verhalten rechtfertigt, ist nach Brudermann „ein Meister der Ausreden.“ Der Professor ironisch: „Ich gratuliere zur Meisterschaft.“
Top 2: Angst: Bei den Hindernissen für ökologisches Verhalten spielt auch die Angst eine große Rolle. Angst vor Veränderungen, Angst vor sozialem Abstieg. Brudermann: „Zuerst einmal ist Angst super, sie sichert uns das Überleben, sie fokussiert uns auf eine konkrete Gefahr.“ Aber: Angst ist bei komplexen Gefahren kein guter Ratgeber. Brudermann plädiert in der Klimakrise für „Zweckoptimismus“.
Top 3: Bequemlichkeit: Viel trivialer, aber oft wirkmächtiger als Angst ist die menschliche Bequemlichkeit. „Sie ist einerseits hilfreich, weil sie Energie spart, sie ist aber nicht hilfreich für notwendige Veränderungen“, sagt Brudermann. Sein professoraler Rat: Umweltschutz muss bequemer sein als Umweltfrevel. Ein vielleicht nicht ganz ernst gemeinter Ratschlag: Kette dein Fahrrad so an dein Auto, dass du fürs Autofahren zuerst dein Rad umständlich wegräumen musst.
Top 4 der Ausreden: Ich tu ja schon viel fürs Klima. Ich mach immer das Licht aus und darf deshalb nach New York fliegen. Brudermann hat die Rechnung aufgemacht: Man kann 60 Jahre die Hütte voll beleuchten und produziert damit soviel CO2 wie bei einem Flug nach NY. Diese Art der Ausreden könnte man auch als die Milchmädchen-Rechnungen bezeichnen.

Top 5 in der Ausreden-Hitliste: Die Technologie wird’s schon richten. Zum Beispiel Fliegen mit umgewandeltem Speiseöl. „Damit diese Rechnung aufgeht, müsste jeder Passagier vorher 3000 Schnitzel essen“, hat Brudermann ausgerechnet.
Was also muss passieren, dass all diese Ausreden in den Häcksler kommen? Brudermann fallen viele Abzweigungen zur Ökologie ein: Menschen denken um, wenn sie nicht „verzichten“, sondern etwas eintauschen. Beispiel aus Nürnberg: Dort gibt es eine Kampagne, die vorschlägt: Wir tauschen die Parkplätze in unserer Straße gegen die Verkehrsruhe ein. Oder: Wir tauschen das Rauchen im Restaurant gegen saubere Luft ein.
In der Diskussion mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern kamen dann auch die übel beleumundeten Verbote zur Sprache. Brudermann erinnerte daran, dass uns ein heftig bekämpftes Verbot einen hohen Mehrwert an Lebensqualität beschert hatte: Niemand würde heute für die Aufhebung des Rauchverbots in Restaurants und Kneipen kämpfen. Und niemand würde bezweifeln, dass es sinnvoll ist, nicht mit 180 Sachen an einem Kindergarten vorbeizurasen.
Verbote öffnen immer auch neue Freiheitsräume für andere: Es schränkt die Autofahrer ein, wenn neue Radwege auf Kosten der Fahrspuren gebaut werden. Aber: Auf sicheren Radwegen genießt der Radfahrer die Freiheit, nicht in Lebensgefahr zu schweben.
Und dann kam noch das Totschlag-Argument aus dem Publikum, dass ein 80-Millionen-Volk wie das deutsche zu klein sei, um die Wende zu stemmen. „Ah, Ausrede 18 in meinem Buch“, lächelte Brudermann. „Die Logik dieses Arguments funktioniert auch andersrum: Der einzelne Chinese verursacht 30 Prozent weniger CO2-Emissionen als der Deutsche. Positive Entwicklungen passieren in China, weil bei uns soviel passiert“, sagte Brudermann.
Es gab herzlichen Beifall für den unterhaltsamsten Umweltschützer, den Herrsching je gehört und gesehen hat. Man könnte Brudermanns Kommunikation so beschreiben: Tausche Humor gegen Weltuntergangsstimmung.
