Das war eine politische Implosion: Als herrsching.online am Mittwochmittag meldete, dass der Bürgerentscheid rechtswidrig sei, gab es hektische Betriebsamkeit bei den Rathaus-Fraktionen und den Baumschutz-Aktivisten. Am kommenden Montag wird der Gemeinderat den Bürgerentscheid samt 2 000 Briefwahlstimmen und 12 000 Euro Verwaltungskosten wohl still beerdigen. herrsching.online hat Stimmen zu der überraschenden Wende gesammelt.

Christiane Gruber, Bürgergemeinschaft Herrsching: Ich freue mich, dass wir jetzt an der Baumschutzverordnung weiterarbeiten können. Wir hatten ja die Hoffnung, dass wir die Arbeit im Arbeitskreis Umwelt hinkriegen. Aber jetzt müssen wir es halt im Bauausschuss machen, weil es gute Gründe gibt, den Arbeitskreis Umwelt in dieser Form nicht mehr fortzuführen. Wir von der BGH waren interessiert an einer inhaltlichen Arbeit und sind jetzt bestätigt worden. Der Arbeitskreis wird auf jeden Fall so nicht weiterbestehen.

Thomas Bader, Sprecher der CSU-Fraktion: Wir haben vorher geklärt, ob ein Ratsbegehren rechtens ist, wir haben uns in der Gemeinde rückversichert, wir haben uns im Landratsamt rückversichert. Wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir das am Mittwoch gehört haben. Das ist komplett unverständlich. Erstaunlich ist, dass die Kommunalaufsicht nicht wusste, dass ein Bürgerentscheid nicht rechtens sei. Einen Bürgerentscheid zu beantragen, war auf alle Fälle sinnvoll, weil wir eine Baumschutzverordnung in Zeiten knapper Kassen nicht brauchen. Und im Gemeinderat zeichnete sich keine klare Mehrheit für eine Baumschutzverordnung ab, je nachdem, ob bei der einen oder anderen Fraktion ein Mitglied fehlte. Und die Frage war ja im Bürgerentscheid so offen gestellt worden, damit wir endlich einmal eine Bürgermeinung bekommen. Mehr wollten wir gar nicht.

Gerd Mulert, Gemeinderat in der Grünen-Fraktion: Das ist zuerst einmal eine Niederlage für die CSU und für alle, die der Meinung sind, dass man einen Gemeinderatsbeschluss jederzeit wieder kippen kann. Wir verlieren ja auch einmal, aber wir sind Sportler. Aber man muss doch einen Beschluss akzeptieren und nicht schon nach 3 Monaten ein Ratsbegehren durchboxen. Ich bin kein Jurist, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass das Ratsbegehren nicht richtig ist, da ist der Wurm drin. Die Mehrheit des Gemeinderates hatte beschlossen, eine Baumschutzverordnung zu erlassen. Und wenn man nach ein paar Wochen diesen Beschluss konterkarieren will, finde ich das einfach nicht sauber. Deshalb freut es mich sehr, dass die gründliche rechtliche Prüfung zu diesem Ergebnis gekommen ist. Dass die Kommunalaufsicht so spät zu der Rechtsauffassung gekommen ist, dass der Bürgerentscheid zum Baumschutz nicht rechtens ist, führe ich auf die maßlose Überarbeitung des Landratsamtes zurück. Das kann ich verzeihen, nur schade finde ich halt, dass soviel Geld umsonst ausgegeben wurde.

Christl Voit, Gründerin der Bürgerinitiative Pro Natur: Das hätte die Gemeinde Herrsching wirklich günstiger haben können! Jetzt, nach Ablehnung des Bürgerbegehrens durch die kommunale Rechtsaufsicht , steht unter Aufwendung von 15000 bis 20000 Euro Steuergeldern (Quelle BM Schiller) alles wieder auf Anfang. Wir sind wieder im April 23, als eine Gemeinderatsmehrheit beschlossen hatte, eine Baumschutzverordnung im AK Umwelt zu erarbeiten – bevor dann im September 23 die Fraktion der CSU und unverhohlen auch BM Schiller die Idee gebaren, mit einem Bürgerbegehren vielleicht doch noch eine Baumschutzverordnung verhindern zu können.
Nicht, dass sie nicht gewarnt worden wären: Gemeinderät*innen von BGH und Grünen zweifelten schon in der Septembersitzung die Rechtmäßigkeit dieses geplanten Bürgerbegehrens an – wie sich jetzt zeigt: völlig zurecht. So wurde sehenden Auges viel Geld in den Sand gesetzt, weil der Wunsch, keine BSVO im Ort zu haben, so übermächtig war, dass Haushaltsüberlegungen offensichtlich keine Rolle mehr spielten nach dem Motto „Was kostet die Welt“. Und jetzt? In meinen Augen ist nun die Zeit der Demut für die CSU mit Initiator Thomas Bader angebrochen, indem sie, wie im April im Gemeinderat beschlossen, fleißig, konstruktiv und geräuschlos an der Aufstellung einer BSVO mitarbeiten und weitere taktischen Spielchen unterlassen.
Übrigens noch ein heißer Tipp: Pronatur hat im Februar – auch unter dem Beifall von Experten – auf einer Veranstaltung im Kurparkschlösschen eine rechtssicher formulierte Baumschutzverordnung vorgestellt, die damals, ,anders als dann im Gemeinderat, auch die Zustimmung vieler anwesender Grüner fand. Diese Verordnung wäre im doppelten Sinn ein Geschenk für die Gemeinde gewesen: kostenlos und sofort, ohne weiteren Zeitverlust. Leider hatte der Gemeinderat ,mit Ausnahme der BGH, nicht die Souveränität, diesen wohlabgewogenen in wochenlanger Arbeit entstandenen Entwurf in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, über Schatten zu springen und zügig an der Finalisierung einer BSVO zu arbeiten.
Die Bäume Herrschings sind unser Aller Lebensversicherung gegen Hitze, Dürre oder Starkregen – sie verdienen umgehend mehr Schutz als bisher.

Christine Hollacher, ehemalige Bürgermeisterin und Mitglied bei Pro Natur und in der BGH: Der Höhepunkt einer längeren Reihe von Rechtsverstößen der Herrschinger Verwaltung und des Bürgermeisters, die trotz Bedenken aus dem Gemeinderat – siehe abgelehnter Antrag der BGH in der Sitzung vom 25. September auf Zurückstellung des CSU-Antrages und Klärung mit der Kommunalaufsicht – durchgesetzt werden sollten.
In diesem Zug kann man auch gern den rechtswidrig in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschluss zu den Agenda21 Arbeitskreisen nennen oder das Versäumnis, die Antworten der Verwaltung zu den Fragen der Bürgerschaft zu Beginn der Gemeinderats-Sitzungen ins Protokoll aufzunehmen (was der Geschäftsordnung des Gemeinderates widerspricht).
Nun also 12 000 Euro Portokosten und zig Arbeitsstunden der Gemeindeangestellten umsonst, weil die CSU nach eigenen Worten „die Handbremse ziehen wollte“ bei der Ausarbeitung einer Baumschutzverordnung, obwohl der Gemeinderat auf Antrag aus der Bürgerversammlung zuvor einstimmig die Ausarbeitung einer Vorlage bis Ende April 2024 beschlossen hatte…

Norbert Wittmann, Co-Sprecher der Bürgerinitiative Pro Natur: Nun also hat kurz vor der Durchführung des Bürgerentscheids das Landratsamt Starnberg doch noch die Notbremse gezogen. Vermutlich sehr zum Missfallen der CSU und des Herrschinger Bürgermeisters. Nichtsdestotrotz stellt diese Entscheidung des Landratsamtes nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Baumschutzverordnung für Herrsching dar. Ein effizienter Klimaschutz und eine vorsorgende Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind die zentralen Herausforderungen der heutigen Zeit. Extremwetter wie Starkregen und Dürreperioden nehmen stetig zu und stellen insbesondere Städte und Gemeinden und ihre Bürger vor große Herausforderungen. Städte und Gemeinden sind beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel in einer Schlüsselrolle. Eine nachhaltige Kommune bietet zukunftssichere Lebensqualität für alle ihre Bewohner. Eine Baumschutzverordnung stellt einen wichtigen Baustein im Kampf gegen den Klimawandel dar. Herrschings Bürgermeister und der Gemeinderat sollten daher bei ihren Entscheidungen in Sachen Baumschutzverordnung das Gemeinwohl bedenken und auch ihrer Verantwortung für die kommenden Generationen gerecht werden.
Es kam mir schon seltsam vor, als Bürger zu einem Thema befragt zu werden, ohne vorher die Möglichkeit erhalten zu haben, sich über den Sachverhalt ausreichend zu informieren. Als dann so plötzlich alles wieder abgeblasen wurde, als wäre es nur ein Scherz gewesen, da war mir klar, dass in dieser Angelegenheit von Anfang an etwas gewaltig schief gelaufen sein musste.
Von einem verantwortungsvollem Umgang mit Steuergeldern ist man hier weit entfernt.
Dieser Vorgang zeigt wieder einmal in deutlicher Weise, dass in unserer Zeit Menschen immer weniger bereit sind, eine Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren wenn sie nicht im eigenen Sinne ist. Da wird ungeachtet von Regeln und Vorschriften, nach Mitteln und Wegen für immer neue Abstimmungen gesucht, bis das Ergebnis dem eigenem Willen entspricht.
Lieber Thomas Bader, sie sind der Meinung, dass wir eine „Baumschutzverordnung in Zeiten knapper Kassen nicht brauchen“ und, dass „sich im Gemeinderat keine klare Mehrheit findet“. Lassen Sie uns am 30.11.2023 darüber sprechen. Wie ich weiß, hat Sie pro natur zur Podiumsdiskussion eingeladen. Ich freue mich auf Sie.. Oder waren wir per du..?
Das Ratsbegehren und die schier endlose Geschichte um den Baumschutz
Mit dem Ratsbegehren haben BM Schiller und die CSU den Gemeinderatsbeschluss vom 24.04.23 ausgebremst. Er sieht vor, dass der AK-Umwelt mit der Erstellung einer Baumschutzverordnung beauftragt wird. Das Ergebnis muss dem Gemeinderat spätestens ein Jahr später zur Entscheidung vorgelegt werden. BM Schiller und die CSU hatten damals dagegen gestimmt, waren aber in der Minderheit.
Die Geschichte beginnt jedoch viel früher. Ein Jahr zuvor hatten BGH und GRÜNE (21.03.22) Maßnahmen zum Baumschutz beantragt, die dann, so der Konsens im Gemeinderat, von einem Grünplaner übernommen werden sollten – im nächsten Haushaltsjahr versteht sich – also eine weitere Schonfrist für die Baumschutzgegner.
Für mehr als 40.000 Euro beauftragte die Gemeinde dann ein Büro zur Entwicklung eines Grünplankonzepts, das sich gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 23.03.23 insbesondere mit Baumschutz und den damit verbundenen Bürgeranträgen befassen sollte.
Zunächst jedoch begann das Ringen um den AK Umwelt, als BM Schiller es sich zur Chefsache machte, dass er unter Ausschluss der Öffentlichkeit und Presse tagt. Bürgerinnen und Bürger wollten sich über Umweltthemen informieren, sich eine Meinung bilden und wissen, von welcher Partei sie sich am besten vertreten fühlen, und nicht ihre Informationen aus minimalistischen Ergebnisprotokollen beziehen.
Als es im AK-Umwelt dann endlich um die Ausarbeitung der Baumschutzverordnung gehen soll, wird der Baumschutz per Joker Ratsbegehren, gestoppt. Plötzlich sollten die Bürgerinnen und Bürger, die bisher bei der Grünplanung „draußen bleiben“ mussten, über ein Gesetz abstimmen, was der Entscheidungsbefugnis des Bundes unterliegt. Noch dazu sollten wir Bürder:innen über eine Verordnung abstimmen, deren Inhalt gar nicht vorliegt!
Gemeinderätin Claudia von Hirschfeld äußerte große juristische Bedenken und stellte den Antrag, das Ratsbegehren kommunalrechtlich zu überprüfen. Doch BM Schiller und die CSU wollten nicht warten. Befürchteten sie vielleicht, sich dann doch noch mit der Baumschutzverordnung befassen zu müssen? Das hingegen hätte keinen finanziellen Aufwand von rund 15.000 Euro verursacht, da der Gemeinde bereits seit März eine von Fachleuten und Juristen geprüfte Baumschutzverordnung vorliegt, die ProNatur ehrenamtlich für die Gemeinde erarbeitet hat.
Die „Never ending Story“ geht vielleicht noch ewig weiter. Darum sollte sie von der Gemeinde endlich zu einem tatsächlich bürgernahen und ehrlichen Ende geführt werden, durch folgende Schritte:
1. Gründung eines öffentlichen Umweltausschusses mit klaren Statuten und der Wahl eines umweltkompetenten Vorsitzenden.
2. Unverzügliche Ausarbeitung einer Baumschutzverordnung unter Anhörung ALLER existierender Interessensgruppen, um eine sozial verträgliche Baumschutzverordnung zu schaffen, die den Baumbestand maximal schützt.
3. Vorlage der erarbeiteten Baumschutzverordnung bis spätestens März 2024 zur Abstimmung im Gemeinderat.