Freundliche Miene nach einer beklemmenden Diskussion über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Von links die Pastoralreferentin Ruth Hoffmann, die Sozialpädagogin und Betroffene Agnes Wich, Diakon Dr. Mario Kossmann, die Maria 2.0.-Aktivistin Martha Stumbaum und die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel

„Auch der Staat hat weggeschaut”

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„Wenn die katholische Kirche überleben will, dann muss sie sich reformieren.” So fasste der katholische Diakon Dr. Mario Kossmann eine denkwürdige Podiumsdiskussion über den Missbrauchsskandal zusammen. Aber nicht nur die Kirche stand am Pranger, der bayerischen Justiz warf die grüne Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel Untätigkeit vor. Mit auf dem Podium im Breitbrunner Bürgersaal saß die Sozialpädagogin Agnes Wich, die den Komplex sexualisierter Gewalt aus der Sicht einer Betroffenen schilderte. Selbst die Pastoralreferentin Ruth Hoffmann, die auf der Gehaltsliste der Augsburger Diözese steht, bekräftigte, dass es zur Aufklärung dieses Missbrauchs keine Alternative gebe. Die Diskussion wurde vom Offenen Gesprächskreis „Die Kirche brennt?!” veranstaltet. Die Herrschingerin Uli Spindler und Diakon Kossmann stellten die provokative Frage als Titelthema: „Aufarbeit Missbrauch, reicht das?”

Es haben diskutiert:

Ruth Hoffmann hat schon mal auf der anderen Seite des Sees in Dießen gearbeitet,  ist Pastoralreferentin und hat nun die Leitung des Bereichs Prävention übernommen.

Agnes Wich wohnte lange in Köln, lebt jetzt in München. Sie ist Sozialpädagogin im Bereich Suchtprävention. Nachdem der Missbrauchsskandal ruchbar wurde, hatte sie sich nach ihrer Genesung entschlossen, Aktivistin zu werden. Sie ist in vielen Gremien aktiv und gut vernetzt. Außerdem war sie Mitglied des Diözesanbetroffenenbeirats, der aus 3 Männern und ihr als einziger Frau bestand. Schließlich ist sie ausgetreten, weil die Belange der Frauen zu wenig Beachtung fanden.

Gabi Triebel kommt aus Kaufering, ist grüne Stimmkreisabgeordnete für Landsberg und FFB West und auch für den Kreis Starnberg zuständig. Sie wird im Bildungsausschuss sitzen und damit auch für Religion in ihrer Fraktion zuständig sein. Hier ein Ausschnitt aus der Diskussion. Die Fragen stellte herrsching.online.

Was hat der Missbrauch mit Ihrem Glauben gemacht, Frau Hoffmann?

Ruth Hoffmann

Hoffmann: Bei der Umsetzung der Moraltheologie hat die Kirche die Glaubwürdigkeit verloren. Aber die Moraltheologie fusst auf den biblischen Texten, und die bleiben ja aktuell. Das sind 2 verschiedene Pole, die es da gibt. Die Missbrauchsfälle sind ein großer Grund – aber nicht der einzige –, dass es so viele Kirchenaustritte und so wenige Kirchenbesucher gibt.

Wich: Ich wurde im Alter von 9 Jahren über eineinhalb Jahre schwer missbraucht, und das prägt auch den Glauben fürs ganze Leben. Wenn da keine Verbindung mehr besteht zwischen der Spiritualität und dem Glauben, dann geht etwas ganz Kostbares verloren. Man sucht dann und versucht, dieses Verlorengegangene zu füllen. Ich wurde dann Alkohol-abhängig und bin seit über 35 Jahren abstinent. Sehr häufig weichen Menschen, die solch spirituelle Traumata erleben, auf Suchtmittel aus, weil etwas ganz Existenzielles fehlt. Den Zugang zum Spirituellen wieder zu finden, ist eine Lebensaufgabe.

Glauben Sie noch an Gott?

Agnes Wich

Wich: Ich bin aus der Kirche ausgetreten, weil es mich sonst innerlich zerrissen hätte. Wegen des Dauerspagats, in der Kirche aktiv zu sein, und täglich konfrontiert zu sein mit diesem Missbrauchsskandal, das habe ich nicht ausgehalten, und seit dem Austritt geht es mir besser. Meinen Glauben an Gott habe ich behalten. Meine Mutter war tiefgläubig und hat mich immer unterstützt. Aber meine spirituelle Heimat sehe ich nicht mehr in der katholischen Kirche.

Hat dieser Missbrauchskomplex die Autorität der Kirche in der Gesellschaft nachhaltig erschüttert?

Triebel: Ja. Die Kirchenaustritte stehen in einem direkten Zusammenhang mit der sexualisierten Gewalt im kirchlichen Umfeld. Deshalb verliert die Kirche als Institution immer mehr an Bedeutung.

Ist Aufklärung deshalb für die Kirche nicht auch ein existenzielles Risiko?

Hoffmann: Die Frage ist: Was wäre die Alternative? Man hätte ja dem Komplex in der Vergangenheit anders begegnen können. Zur Aufklärung gibt es keine Alternative, wenn man den Menschen einen Raum bieten will, in dem man geschützt leben kann.

Es wurde einfach zu lange zuviel unter den Teppich gekehrt?

Gabriele Triebel

Triebel: Aufklärung ist keine Gefahr für die Kirche, sondern eine Chance. Wir sind doch eigentlich stark, wenn wir gefühlt schwach sind. Wenn wir Fehler eingestehen, dann nehmen wir doch auch dem Gegner den Vorwurf aus der Hand. Wir müssen den Klerikalismus in der Kirche angehen. Die Strukturen in der Kirche haben das ermöglicht. Und bei sexualisierter Gewalt geht es auch um Macht.

Wich: Ja es geht auch um Täterschutz, um Vertuschung. Das hat der Kirche das Genick gebrochen. Die Kirche muss schon sehr viel tun, um wieder auf die Beine zu kommen. 

Die Aufarbeitung leisten inzwischen ja auch die Gerichte?

Wich: Solche Gerichtsverfahren sind unglaublich entwürdigende Prozesse für die Missbrauchsopfer. Und viele Betroffene überlegen sich genau, ob es das wert ist, sich diesen Prozessen auszusetzen. Sie bedeuten Verlust an Lebensqualität, man steht wieder an diesem Abgrund, das ganze Trauma wird wieder wach. Nein, die Opfer werden nicht ausreichend gehört. Die Anträge, um einen finanziellen Ausgleich für das erlittene Leid zu bekommen, sind entwürdigend. Wenn es den Verantwortlichen wirklich darum ginge, das Leid zu lindern, müssten sie ganz anders handeln. Eine simple Entschuldigung reicht jedenfalls nicht.

Wenn die Kirche ihre sozialen Aufgaben nicht mehr leisten kann, weil zum Beispiel zu viele Leute aus der Kirche austreten, gerät doch auch der Staat in Schwierigkeiten?

Triebel: Wir haben nicht den Laizismus wie ein Frankreich, wo Kirche und Staat strikt getrennt sind. Wir in Deutschland haben eine Kooperation. Ich glaube aber, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung herauszieht. Er drängt nicht auf Änderungen der kirchlichen Strukturen.

Muss sich der Staat stärker einbringen in die Aufarbeitung?

Hoffmann: Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz hat das ja auch schon eingefordert. Die Kirche kommt ohne externe Aufklärung an ihre Grenze. Es wäre schön, wenn der Staat sich stärker einbringen würde.

Wich: Es gab ja in München im Jahre 21 ein großes Gutachten, nach dessen Veröffentlichung die Wellen der Empörung hochschlugen. Aber was hat sich geändert seither in der Landschaft der Betroffenen? Was hat der Staat unternommen, wo ist die versprochene Ombudsstelle, die als unabhängige Anlaufstelle fungieren sollte? Nicht der Staat wird aktiv, sondern wir als Betroffene mit Unterstützung der Medien.

Triebel: Man sieht da schon ein unheilvolles Zusammenwirken von Kirche und Staat. Beispiel Gutachten 2010, das die Erzdiözese in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten hat die gleiche Kanzlei erstellt wie das Gutachten 11 Jahre später. Diese Gutachter haben beklagt, dass die Kirche massive Aktenvernichtung betreibt. Die grüne Landtagsfraktion hatte in einer großen Anfrage ans Justizministerium angefragt, wann der bayerische Staat das Gutachten von 2010, in dem schon 200 Fälle von sexualisierter Gewalt beschrieben waren, angefordert hatte. Wann, glauben Sie, hat er’s getan? 2019, also 9 Jahre später.

Obwohl damals in der Pressekonferenz 2010 bekannt wurde, dass die Kirche in großem Stil Akten vernichtet. Ich habe den Justizministern Bausback und Eisenreich vorgeworfen, dass sie weggeschaut haben – und habe großen Ärger bekommen. Beide Minister haben das weit von sich gewiesen, aber sie konnten mir keinen Grund nennen, warum sie das Gutachten nicht angefordert haben.

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