Ein Sprayer hat schon deutlich gemacht, was er will. Er wird enttäuscht sein.

Bahnhof: Kultur bleibt auf der Strecke

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Keine Chance für Kultur: Der Gemeinderat beschloss am Montagabend eine neue Nutzung für den alten Bahnhof. Das ist die gute Nachricht. Die weniger gute: kleine Kulturveranstaltungen, Ausstellungen und Bürgertreffs sind in dem neuen Konzept nicht vorgesehen. In den Denkmal-geschützten Mauern sollen Wohnungen, Kneipe/Bar/Restaurant, WC, kleine Geschäfte und – natürlich: Herr Vetter eine neue Heimat finden. Enttäuscht vom Ausgang der Abstimmungen dürften FDP,  Seniorenbeirat und alle Freunde eines kulturell brodelnden Herrschings sein.

Dass der alte Bahnhof keine attraktive Visitenkarte für die Gemeinde ist, war im Gemeinderat unumstritten. Seit 2006 doktert Herrsching an dem „Patienten Bahnhof” (Bürgermeister Schiller) herum. 2009 hatte die Gemeinde das Gemäuer von der Bahn gekauft. 2015 schließlich machten sich Städteplaner und Architekten über die Umgebung des Bahnhofs her, 2 Jahre später bekam das Planungsbüro silands I Gresz +Kaiser Landschaftsarchitekten PartG mbH Ulm den ersten Preis. Eine Umsetzung der Planung (geplant für 2019) scheiterte an den Grundstücksverhältnissen. 2021 gibt die Bahn endlich den pensionierten Bahnhof frei, er kann „entwidmet” werden. Aber auf den umgebenden Grundstücken sitzt die Bahn wie eine Glucke.

Welche Ideen hatten die Parteien?

Alle Gemeinderatsfraktionen haben sich in der Zwischenzeit mit der Nutzung des Bahnhofs befasst: Sogar der Seniorenbeirat lieferte ein Konzept ab. Hier einige Auszüge aus den Plänen der Parteien:

CSU

• Funktionelle und saubere WC-Anlagen; Fahrkartenschalter; kleine Geschäfte samt Markthalle. Der Innenraum soll für Veranstaltungen nutzbar sein; bei der Auswahl der Wohnungsmieter soll auf Regionalität geachten werden; Bistro mit Freifläche und Straßenverkauf; Freilegung des Kienbachs; Treffpunkt für die Bürger:innen (Achtung: Gendert jetzt auch die CSU?)

FDP

• Kultur- und Bürgersaal, Nutzung für Kulturveranstaltungen und Ausstellungen; Nutzung für Bürgerversammlungen, Feste und Feiern; Nutzung für Vereine und politische Gruppierungen; Tanz und Theater; Räume für selbstorganisierte  Kinderbetreuung; Entfernung des Bahndamms und Schaffung von Freiflächen;

BGH

• Liste der Bürgervorschläge bei einer Umfrage am Bahnhof: Bürgertreff und -werkstatt; Multinutzung für Jung und Alt; Jugendtreff; Kneipe mit Bühne; Café; schöner Garten; Reisezentrum mit Herrn Vetter; Schließfächer; WC; Warteräume für Fahrgäste

GRÜNE

• Marktplatz mit Reiseberatung und Obst- und Weingeschäft, dazu noch andere Läden; Kaffee-Bar; Kiosk-Charakter; Bauernmarkt; WC; Veranstaltungen für den Seniorenbeirat

SPD

• Café mit Veranstaltungen; Mietwohnungen; Reisecenter; Obstladen mit Kiosk; Bahnhofshalle mit Gaststätte und oder Kino

Grundsatzfrage: Nutzungsänderung oder nur Bausanierung?

Zuerst musste eine grundsätzliche Frage entschieden werden: Will die Gemeinde den Bahnhof „umnutzen” oder nur soweit sanieren, dass das Gemäuer nicht irgendwann wegen Baufälligkeit geschlossen werden muss? Diese „Ertüchtigung” (Verwaltungsdeutsch) des Hauses mit Kellerdecken-Erneuerung, Sanierung der Firstpfanne, Dämmung der obersten Geschossdecke und vollständiger Erneuerung der Haustechnik würde mindestens 1,7 Millionen Euro kosten – und böte keinen Mehrwert für die Herrschinger Bürger.

Gemeinderat Roland Lübeck (CU) sprach sich deshalb für eine Machbarkeitsstudie aus: Für was taugen die alten Mauern überhaupt? Bauamtsleiter Guido Finster entgegnete, dass die ja bereits vorliege. Er plädierte klar für eine Nutzungsänderung. Und dann müsse man den Architekten eine klare Ansage machen, was die Gemeinde mit dem Bahnhof machen wolle.

Die  Grüne Traudi Köhl fürchtet, dass das alte Gemäuer bei den ambitionierten Plänen auf lange Sicht nicht saniert werde. Sie plädierte deshalb vehement gegen eine Nutzungsänderung. Bürgermeister Schiller bestätigte indirekt ihre Befürchtung: Man brauche für ein großes Konzept auch die Flächen um den Bahnhof, aber die Bahn wolle nicht verkaufen. „Das kann noch Jahre dauern.” Ohne eine Nutzungsänderung (vulgo: nur eine bautechnisch notwendige Sanierung) müsse man aber keinen Bauantrag stellen.

Alexander Keim (FDP), der sich schon im Vorfeld für eine kulturelle und soziale Nutzung des Bahnhofs stark machte, beschrieb in eindringlichen Worten den Status des alten Hauses: „Wir müssen den Verfall des Bahnhofs aufhalten und endlich Geld in die Hand nehmen. Es muss endlich Leben in den Laden kommen.” Auch BGH-Rat Guggenberger beklagte, dass der Bahnhof eine miserable Visitenkarte für Herrsching sei. Deshalb konnte er sich vorstellen, mit ein paar Tischen und Stühlen den Bahnhof aufzuwerten, ohne gleich eine teure Nutzungsänderung zu beschließen. „Wir sollten alles machen, was unterhalb einer Nutzungsänderung möglich ist.” Bauamtschef Finster aber warnte: Kulturveranstaltungen mit Programmcharakter wären schon eine Nutzungsänderung.

Dann grätschte CSU-Fraktionssprecher Thomas Bader in die eher kleinteilige Diskussion und bekräftigte: „Wir wollen kein Provisorium mehr, wir kommen um eine Nutzungsänderung nicht herum.” Auch Grünen-Rat Welsch war der Meinung, dasss man einem Planer 2 oder 3 Konzepte vorlegen müsse. Sein Fraktionskollege Gerd Mulert brachte einen völlig neuen Gedanken ins Spiel. Wenn die Gemeinde auf absehbare Zeit kein Geld für eine große Lösung hat, dann sucht man sich halt jemanden, der Geld hat: „Landsberg hat den Bahnhof erfolgreich einem privaten Investor überlassen.”

Und das sind die Beschlüsse

Genug der Worte, der Bürgermeister ließ dann abstimmen. Die Grundsatzfrage lautete: Will der Gemeinderat eine große Lösung mit einer Nutzungsänderung?

• Ja, das will er. Nur 2 Gegenstimmen stemmten sich gegen eine völlig neue Überplanung des Gebäudes.

• Der Gemeinderat will einstimmig einen gastronomischen Betrieb, der auch mal für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann.

• Das Reisezentrum mit Fahrkartenverkauf fand einstimmigen Beifall

• Kleine Geschäfte, eventuell auch Marktveranstaltungen, fanden nur eine knappe Mehrheit von 11 Stimmen.

• Wohnungen sollen erhalten und saniert werden.

• Selbstverständlich für den Gemeinderat, dass das Gebäude auch öffentliche Toiletten, entweder inner- oder außerhalb der Außenmauern, bekommt.

• Von einer Mehrheit abgelehnt wurden ein Aufenthaltsraum und Bürgertreff außerhalb der Gastronomie.

• Auch die „Möglichkeit einer Kulturausübung” im Bahnhof wurde abgelehnt, obwohl die CSU in ihrem Vorschlagspapier davon sprach, dass der „Innenraum als Saal für sämtliche Geschäfte und Veranstaltungen nutzbar sein soll”.

Nach diesen Grundsatzbeschlüssen wird nun ein Architekt gesucht, der dem Gemeinderat ein schlüssiges Konzept liefert.

Zur Umsetzung von Plänen gehören Expertise, Gestaltungswille, Zeit und vor allem: Geld. Dieses Geld wird die Gemeinde voraussichtlich in den nächsten Jahren kaum aufbringen. Der Bahnhof könnte noch viele Jahre als „Patient” dahinsiechen.

1 Comment

  1. Nutzungsänderung o.k. – doch wer schützt den Bestand?

    Ist nur ein “entweder – oder” möglich?
    Die Gemeinderätin Köhl hatte sicher recht mit ihrer Befürchtung, unter den gegebenen Bedingungen würde eine grundlegende Restaurierung des Bahnhofgebäudes bis zu zehn Jahren dauern.

    Wer pflegt in der Zwischenzeit den Bestand?
    Was geschieht in der Zeit bis zur vollzogenen Nutzungsänderung? Wann werden die ersten Fensterscheiben eingeworfen? Wann vermüllt die Bahnhofshalle noch mehr? Wann ziehen Obdachlose in die geschützte Halle? Welche Kosten entstehen wenn ein Sicherheitsdienst die Kontrolle übernimmt? Wie lange hält es Herr Vetter dort noch aus?
    Alles Erscheinungen, die eine langdauernde Nichtnutzung nach sich ziehen.

    Genau das wollten die Seniorenbeiräte mit ihrem Antrag eines Bürgercafe-Treffs zu verhindern helfen. Schade!

    Mia Schmidt

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