Das ganze Rathaus machte Überstunden: Bürgermeister Schiller am Rednerpult, die Abteilungsleiter an den Rechnern

März 2022: „Der Bürgermeister und die Bäume”

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Das vergangene Jahr 2022 in Herrsching/Ein Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse//

Die letzte Bürgerversammlung im März stand ganz im Zeichen von Corona – und einer neu erwachten Baum-Bürgerschaft. Durch den Kahlschlag am Kienbach bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich besonders dem Schutz der grünen CO2-Speicher widmet. Überschattet aber wurde die Bürgerversammlung in der Martinshalle durch die Datenschutz-Vorgaben bei der Live-Übertragung. Es ging heiß her im kühlen März. Hier der Originalbericht auf herrsching.online vom 21. März 2022

Die Bürgerversammlung hatte „Corona”. Sie litt unter einer gewissen Spannungslosigkeit. Nur 36 Bürger verloren sich in der Martinshalle. Und an den Rechnern draußen saßen bis zu 170 Streamer. Der Rest von prickelnder Erwartung verkokelte dann in den Datenschutz-Vorgaben: Keine Live-Übertragung von Bürgeranfragen im Saal, warnte der oberste bayerische Datenschützer („Damit wird der Demokratie Schaden zugefügt”). Wie in einem Kriminalroman wurde es erst am Schluss spannend, als Karin Casaretto, Christine Voit und Karl-Heinz Wirth leibhaftig ans Mikrofon treten und ihre Fragen stellen durften.

Die Kamera für den Livestream war stur auf das Rednerpult gerichtet. Ein Schwenk über die Bürgerschaft oder gar die Übertragung eines Redebeitrages hätte als Datenschutz-Debakel gegolten.

Dabei lag schon vor der Versammlung reichlich Zündstoff herum. In einer Pressemitteilung der Gemeinde wurde mitgeteilt, dass alle Fragen der Bürger vorher eingereicht werden müssen. Bürger Karl-Heinz Wirth legte deshalb Beschwerde bei der Regierung von Oberbayern ein („Herr Schiller will … das gesetzlich verbriefte Wortrecht der Bürger untergraben”). Im Rahmen dieser Beschwerde soll die Regierung von Oberbayern auch darauf hingewiesen haben, dass Bürgeranfragen nicht per Livestream übertragen werden dürfen.

Die Gemeinderverwaltung hätte sich dieser Rechtsansicht nicht anschließen müssen – in Seefeld lief ein Bürgerforum-Stream ohne jeden Rechtsärger ab. Und Gemeinderat Alexander Keim fragte in einem Kommentar auf herrsching.online, warum es jede Aktiengesellschaft geschafft habe, in den letzten 2 Jahren Aktionärsversammlungen abzuhalten. „Mit einer vorab erteilten Einverständniserklärung, zum Beispiel bei der Registrierung, wäre die Übertragung möglich gewesen.”

Also begann die Versammlung mit einem Bürgermeister-Monolog, so lang wie ein Fußballspiel, nur ohne Pause und Elfmeter-Spannung.

Corona-Maßnahmen: Herrsching, so Bürgermeister Schiller, spielte bei der Corona-Bekämpfung eine wichtige Rolle im Landkreis: Viele Bürger aus anderen Gemeinden seien zum Testen nach Herrsching gekommen. Schiller freute sich auch darüber, dass Herrsching eines von 3 Impfzentren im Kreis bekommen habe. Auch das Rathaus war von den Restriktionen stark betroffen – die Bürger mussten im Windfang des Rathauses bedient werden. Die Terminvergabe habe sich aber bewährt, „das werden wir auch nach Corona beibehalten”.

Verkehr: Die Tempo-30-Zonen links und rechts der Staatsstraße sind noch nicht bei jedem Autofahrer angekommen. Die Lösung mit abwechselnd markierten Parkräumen („alternierend”) würden den Verkehr erkennbar bremsen, berichtete Schiller. Eine Musterlösung ist in der Schönbichlstraße zu besichtigen. In der Madeleine-Ruoff-Straße wird eine Fahrradstraße verwirklicht. So soll auch der Schranken-Umgehungsverkehr eingebremst werden. Die Querungshilfe am künftigen Kindergarten neben der Polizei hat mit Nebenarbeiten 400 000 Euro verschlungen. Die umfangreichen Arbeiten an der südlichen Mühlfelder Straße, die durch das neue Gymnasium notwendig wurden, haben auch den Herrschinger Bürgern segensreiche Neuerungen gebracht – zum Beispiel eine neue Fahrbahndecke und bessere Straßenbeleuchtung. Insgesamt 2,8 Millionen Steuergelder stecken im Bauvorhaben von Landratsamt, Straßenbauamt und Gemeinde. Herrsching kam mit dem geringsten Beitrag davon – nur 200 000 Euro flossen aus der Gemeindekasse.

Eine Aufgabe, die noch nicht ansteht, aber wie ein Monster aus der Ferne grüßt, ist eine Unterführung der Bahngleise. Schiller klagte vernehmlich über den Umgang der Bundesbahn mit der Gemeinde: „Es gibt zuverlässigere Geschäftsbeziehungen als mit der Bahn.” Keine Unterführung habe je einen Schönheitswettbewerb gewonnen, aber wenn die S-Bahn häufiger verkehre, wären die Schranken öfter geschlossen, als uns allen lieb wäre. Der Umgehungsverkehr durch die Madeleine-Ruoff-Straße würde unerträglich werden.

Die neue Dreifachturnhalle für die Realschule komme, freute sich Schiller, auch den Herrschinger Sportvereinen zugute. Das Gemeindehaus in Widdersberg, das in absehbarer Zeit fertig wird, schlägt mit 1,35 Millionen zu Buche.

Hätte eine Baumschutzverordnung diese gesunde Kastanie am Seehof retten können?

Baumschutz: Bei diesem Thema steigerte sich die Aufmerksamkeit im Saale merklich, einige Bürgerinnen und Bürger rutschten unruhig auf ihrem Stuhl herum. Schiller beklagte anfangs gleich eine mitunter „unsachliche” Diskussion”. Man müsse sich da ja nicht gleich die Köpfe einrennen. Der Bürgermeister ließ mit den ersten Sätzen schon erkennen, dass er bei diesm heiklen Thema nicht die weiße Fahne hissen wird. „Wir leisten uns teure Maßnahmen, um alte Bäume zu erhalten, zum Beispiel Kronensicherungen mit Stahlseilen.” Aber Bäume hätten nun mal auch ein biologisches Ende. Schiller gestand ein, dass seine früheren Angaben, man investiere einen sechsstelligen Betrag, nicht korrekt war. Im Haushalt ausgewiesen sind 53 000 Euro, wie eine Bürgerin herausgefunden hatte. „Wir leisten uns teure Baumpflege wie zum Beispiel bei den Rosskastanien an der Seepromenade.” Andere Gemeinden würden viele solcher alter Bäume fällen, weil das billiger sei.

Mit einem historischen Bild, das vor dem Ersten Weltkrieg entstanden war, wollte Schiller darlegen, dass Herrsching eigentlich eine Wiesen- und Acker-Gemeinde war. „Herrsching ist auf der Wiese entstanden.” Die Gemeinde verändere sich auch heute weiter, schließlich sei der Siedlungsdruck enorm, Herrsching sei vom See und von Moränenlandschaften eingekreist. Entwicklung sei aber unvermeidlich, die Gemeinde habe beschränkte Möglichkeiten, das Bauen zu beeinflussen.

Der Generalverdacht, dass Herrsching gerne Bäume umsäge, stimme nicht (Schiller spielte auf den Satz der BI-Sprecherin Christine Voit in herrsching.online an, Motorsägen seien der Sound von Herrsching). Im Baugesetz gebe es aber den Grundsatz, dass Baurecht vor Baumschutz gehe. Wer als Gemeinde anders handle, riskiere Schadenersatzforderungen durch Bauherren.

BaumschutzVerordnung: Mit der Baumschutzverordnung, die bis 2018 galt, habe man viel Erfahrung sammeln können. Ein solches kommunales Gesetz habe nur eine eingeschränkte Geltung, mit einem Gutachten könne man Fällverbote umgehen. Außerdem wiederholte Schiller das Standard-Argument, dass Baumbesitzer, die ein Gehölz beseitigen wollen, gar nicht so lange mit der Fällung warten, bis der Stamm unter die Verordnung falle. Bevor er einen schutzwürdigen Umfang erreiche, werde er – völlig legal – abgeholzt. Deshalb hätten nur 5 Prozent der bayerischen Gemeinden eine gültige Baumschutzverordnung.

Auf privaten Grundstücken leben die Bäume gefährlich: Niemand bietet ihnen Schutz vor den Kettensägen der Gartenbesitzer

Das im Gemeinderat verwendete Argument, eine Baumschutzverordnung brauche bis zu 2 neue Stellen im Rathaus, wiederholte Schiller aber nicht mehr. Der Herrschinger Bürger Norbert Wittmann hatte durch Recherchen in Neufarn und Herzogenaurach herausgefunden, dass in diesen Gemeinden gültige Verordnungen von einer einzigen Fachkraft verwaltet werden.

Schiller schlug andere Wege vor, Bäume im Privatbesitz zu erhalten. Er brachte monetäre Anreize für Bürger ins Spiel, bestehende Bäume zu pflegen und Prämien für Neupflanzungen auszuloben. Warum der Bürgermeister eine Verordnung vehement ablehnt, scheint an der Geisteshaltung mancher Gartenbesitzer zu liegen: „Baumschutzverordnungen sind große Aufreger, wir tun uns damit keinen Gefallen.”

Dass die Emotionen so hochgekocht seien, liege auch an der Häufung von Baumfällungen in diesem Winter. Er zählte die Fällungen auf dem Gymnasiumsgelände, am Kienbach und am Fendlbach auf. „Aber selbst mit der schärfsten Baumschutzverordnung hätten wir keine einzige Fällung verhindern können”, behauptete Schiller. Die skandalumrankte Fällung von 5 Bäumen am Kienbach habe das Wasserwirtschaftsamt als Präventivschutz für Bachmauern und Gebäude bezeichnet. Zahlreiche Mitglieder der neuen Bürgerinitiative sind anderer Ansicht.

Die Gemeinde habe, so Schiller, über 100 Bäume und Sträucher gepflanzt. Gegen einen Baumkiller der übelsten Art gebe es ohnehin keine Verordnung und kein Bußgeld: Der Biber, streng geschützt, habe Dutzende von Bäumen umgelegt.

Öffentliche Mülltonnen: Ein Problem, das einer Sisyphos-Arbeit gleicht, sind die sommerlichen Müllberge durch den Ausflugsverkehr. 130 Mülltonnen müssten im Sommer fast täglich geleert werden. Für 330 Kubikmeter Müllbeseitigung gibt Herrsching 136 000 Euro im Jahr aus.

Über die Bürgerfragen berichten wir in Kürze.

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