Bach ohne Beton: Herrschings Kienbach soll wieder sichtbar werden

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• Bachwanderung der Bürgerinitiative: Pro Natur Herrsching will keine punktuelle  Bachbett-Sanierung

• Der Kienbach soll im Ortsbild wieder besser sichtbar und revitalisiert werden

• Gemeinderat Mulert bezeichnet Grundstückspolitik der Bahnverwaltung als Skandal

• Grüne Parteimitglieder widersprechen Mulert bei der Frage, ob für die Bahnhof-Umgestaltung Bäume gefällt werden dürfen

• BI-Sprecher Konrad Herz greift Rathaus-Chef scharf an. Er beklagt mangelnde Kontrolle der Gemeinde

Herrschinger Bachfreunde fürchten um den Kienbach: Die Bürgerinitiative Pro Natur hat bei einer Wanderung an Herrschings „Wildbach“ klargestellt, dass sich die Bürger einmischen, bevor die staatlichen Bachbett-Planer den Beton für neue Ufermauern anrühren.

Christine Voit, Konrad Herz und Norbert Wittmann von der Bürgerinitiative Pro Natur. Vielen Bürger-Bewegungen geht’s ums Eigeninteresse, Pro Natur dagegen kämpft uneigennützig – ohne politische Schonung – für Bäume und Bach

Die staatlichen Wasser-Aufseher hatten abgesagt: An privaten Veranstaltungen nehme man nicht teil, teilte das Wasserwirtschaftsamt trocken mit. Die Kienbach-Wanderung der Bürgerinitiative Pro Natur Herrsching fand also ohne die amtlichen Bachsanierer statt, obwohl die Bachfreunde viele Fragen und Argumente auf der Zunge hatten.  

Dabei sind die Sprecher der Initiative weder grüne Jakobiner noch wissenschaftsferne Schwärmer. BI-Initiatorin Christine Voit umriss den Sinn der Bachwanderung so: „Die gesamte Strecke des Kienbachs von der Quelle bis zur Mündung muss in die Planung miteinbezogen werden. Es kann – auch aus wissenschaftlicher Sicht –  nicht sein, dass das Wasserwirtschaftsamt den Bach nur punktuell betrachtet, nämlich im Herrschinger Ortsgebiet, und nur dort die Sanierung der Ufermauern plant, während der gesamte Oberlauf, der viel Wassereintrag mitbringt, außen vor gelassen wird.“

Wolfgang Aigner: Selbst bei Starkregen erhöht sich der Flusspegel nur um 25 Zentimeter

Der studierte Geograf Wolfgang Aigner führte seinen 50 Zuhörern den „Lebenslauf“ des Baches so faktenreich vor, wie es nur ein Studienrat kann: Das Bacherl entspringt auf 713 Meter Höhe im Süden von Andechs und arbeitet sich dann durch Erling. Weiter nördlich hat sich der Bach eine Schlucht gegraben, in die  schon manch bierseliger Wildbiesler gestürzt ist. Der Kienbach rieselt mit dem „Eintrag“ der Andechs-Touristen durch die bis zu 70 Meter tiefe Schlucht und ergießt sich schließlich  nach 180 Metern Höhenunterschied in den Ammersee.

Was für die Bier-Pilger im Kienbachtal nur ein Ausnüchterungsweg ist, elektrisiert die Geologen: Moränenmaterial, Nagelfluh, Schotter, Sande machen den Kienbach zum Forschungsobjekt.

Auf Herrschinger Gemeindegebiet ist dann Schluss mit natürlicher Uferböschung: Im 19. Jahrhundert floss der Kienbach schwunghaft wie ein Peitschenseil durchs Dörflein. Nach einem großen Hochwasser 1885 aber zog man das Bachbett stramm wie eine kaiserliche Uniformhose: Stützmauern kasernierten den Wildbach, die Bebauung rückte immer näher ans Ufer. Das Bett wurde schmaler und die Fließgeschwindigkeit nahm zu. Immer mehr Grundstücke im Dorf bekamen einen Asphaltdeckel und das Regenwasser wurde mit Rohren in den Bach geleitet. „Der Bach“, beklagte Aigner in seinem Vortrag, der immer wieder zur Vogelgesang unterbrochen wurde, „hat nur noch eine minimale Möglichkeit, sich natürlich zu verhalten mit sogenannten Prall- und Gleithängen und Geschiebe-Ablagerungen.“

Trotzdem macht sich der Kienbach nicht viel aus Platz- und Starkregen. Aigner zeigte man Beispiel Mai: Nach starken anhaltenden Regenfällen in den Vortagen stieg der Pegel um etwa 25 Zentimeter.” Behördliche Aufgeregtheiten wegen 25 Zentimetern mehr Kienbach-Wasser wirken deshalb etwas hysterisch. Und sogenannte „Verklausungen“, also Aufstauungen durch Schwemmholz, sind ebenfalls eher theoretischer Natur. Die BI-Sprecherin Christine Voit leicht ironisch: „Nach dem Starkregen im Mai haben wir ein paar Asterl gefunden.“ Voit stellte deshalb auch das geplante Rückhaltebecken in Frage, das irgendwo in der Schlucht angespültes Schwemmholz aufhalten soll. Dieses „massive Bauwerk“ mitten in der Natur müsse durch Zufahrtsstraßen erschlossen werden, gab Voit zu bedenken. Auch eine Betonsanierung der Ufermauern lehnt sie ab: „Was das Wasserwirtschaftsamt in Garmisch gemacht hat, ist schlicht gruselig. Wir wollen am Kienbach kein Betongerinnsel.“

Die Wanderung führte dann an der Erlöserkirche vorbei den Bachlauf entlang bis zur Grünbrache südlich des Bahnhofs. BI-Sprecher Norbert Wittmann entwickelte hier seine Vision einer „Revitalisierung“. Wittmann: „Der in den Untergrund verbannte Kienbach könnte  wieder sichtbar werden. Eine Bepflanzung am Ufer würde dann auch das Ortsbild beleben.“

Grünen-Gemeinderat Gerd Mulert: Widerspruch von Parteifreunden

Das Stichwort für den grünen Gemeinderat Gerd Mulert, der sich mit Leidenschaft in die Debatte warf: „Die Gemeinde bräuchte dieses Grundstück neben dem Bahnhof. Es ist schlicht ein Skandal, dass die Bahn dieses Grundstück nicht hergibt, obwohl sie es nie mehr brauchen wird.“ Auf dem ungenutzten Grund verlaufen sich die alten Bahngleise im Gebüsch, in einer stillen Ecke liegen Pizzaschachteln und alte Kleidungsstücke herum. „Wenn die Gemeinde dieses Grundstück in ihrem Besitz hätte, wären wir viel weiter“, so Mulert in seinem emotionalen Statement.

An der Tourist Info setzte sich die Diskussion fort. Mulert verteidigte das preisgekrönte Konzept der Landschaftsarchitekten Gresz und Kaiser. Die Ulmer Grünplaner wollen die Straße näher an die Volksbank rücken, müssten dafür eine dritte Brücke bauen und die 3 mächtigen Bäume am Kienbachufer (hinter der Tourist Info) opfern. Da regte sich energischer Widerspruch aus den Reihen grüner Parteifreunde. Auf der Brücke herrschte kurzzeitig eine Atmosphäre wie auf einem stürmischen Grünen-Parteitag. Lerneffekt für den Gemeinderat: Wer Hand an große, gesunde Bäume legt, erntet politisches Zündholz.

Auf dem Holzweg befand sich nach Meinung der Bürgerinitiative auch das Wasserwirtschaftsamt, als es im Januar 5 schöne, prächtige Bäume an der Fischergasse fällen ließ. Die Anwohnerin Karin Casaretto schilderte den Bachfreunden, wie eines Morgens ein mächtiger Kran seine Stelzen ausfuhr und die Kettensäge die amtliche Baumenthauptung exekutierte.

Die Fällaktion ist für die Bürgerinitiative immer noch eine Mischung aus Behördenwillkür und intransparenten Privatinteressen. Baumfreundin Casaretto berichtete allerdings auch mit Trauer in der Stimme, dass private Bachanlieger nicht bereit seien, einen Teil ihres Gemeinschaftsgrundstücks für ein grünes Pflanzenufer ohne Mauern zu opfern. Naturliebe vergeht, Hektar besteht, heißt eine alte  Bauernweisheit.

Immer noch geschockt von der Baumfällaktion des Wasserwirtschaftsamtes: Karin Casaretto

Der Landschaftsingenieur Konrad Herz vermisst amtliches Engagement bei der Verteidigung von Baum und Strauch. So beklagte er, dass in der Neubausiedling Lagoom an der Rieder Straße Bewohner im Bebauungsplan vorgeschriebene Bäume rausgerissen und durch andere Hölzer ersetzt hätten. Geahndet worden sei dieser Grünfrevel nicht: Wo kein Kläger, da kein Richter, sei ihm bedeutet worden. Herz sieht da sehr wohl auch eine Verantwortlichkeit im Herrschinger Rathaus: „Der Bürgermeister muss die Richtung vorgeben. Da gibt es einen Chef, der nicht aufpasst.“ Mulert dagegen meinte, auch die Bürger sollten aufpassen, ob gegen gültige Bebauungspläne verstoßen werde. Im übrigen sei die Überwachung Sache des Landratsamtes.

Ein weiteres Beispiel kommunaler Großzügigkeit sei die Entwässerungssatzung, die eine Versickerung des Regenwassers auf dem Grundstück vorschreibe.  Diese Schwammfunktion verhindere, dass zuviel Regenwasser in den Bach geleitet werde. Tatsächlich aber werde auf 95 Prozent aller privaten Grundstücke das Regenwasser satzungswidrig abgeleitet – und zwar viel zu schnell, wie Herz behauptet. „Die Gemeidesatzung wird hier einfach ignoriert,“  meint er.

So müssen die Herrschinger Bäche wie Kienbach und Fendlbach bei Wolkenbrüchen viel Wasser aus privaten Grundstücken schlucken. Und wenn’s zuviel wird, geben die Bäche das Wasser einfach zurück und fluten Straßen und Keller.

Bachbett zwischen Fischergasse und Kienbachstraße: Links eine romantische Uferböschung, die den Fluss auch bei Hochwasser bremsen kann, rechts angeblich einsturzgefährdete Betonmauern

1 Comment

  1. So, so, an privaten Veranstaltungen nimmt das WWA nicht teil. Wir hatten es aber mit keiner Faschingsfeier zu tun, sondern mit einer Begehung von Natur, die die Initiative nicht ohne Widerstand den fragwürdigen Plänen des WWA überlassen will. Was andernfalls herauskommt, sieht man an der unsinnig übereilten Baumfällaktion in der Fischergasse, von der die Gemeinde allerdings informiert war. Es wäre der Sache dienlich gewesen, wenn sich Herr Haas vom WWA den Fragen der Kienbach-Wanderer gestellt hätte. In der Behörde wird offensichtlich verkannt, dass sie vom Steuerzahler finanzierter Dienstleister und den Bürgern verpflichtet ist.

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