Hunderte von Breitbrunnern und Gelegenheits-Breitbrunnern beobachteten am Sonntag, wie der neue Maibaum in den Himmel wuchs. 27 oder 28 Meter (die Angaben differieren leicht) weiß-blaues Brauchtum wuchteten 30 starke Männer Zentimeter um Zentimeter in die Senkrechte. Das Johannes-Kircherl hat endlich wieder Gesellschaft in Augenhöhe bekommen. Wochen vorher schon hatten Männer von der Feuerwehr, von den Sportfreunden Breitbrunn, den Morgenstern-Schützen und dem Trachtenverein d’Jaudesbergler das Brauchtumsstangerl festlich herausgeputzt. Die Fichte ist nach forstlicher Expertise ungefähr 80 Jahre alt und stammt aus dem Töring-Wald zwischen Breitbrunn und Schlagenhofen. Bezahlt hat ihn aber nicht der Waldbesitzer Graf Töring, sondern der neue Jagdpächter Maximilian Bleimaier.
Der Baum, frisch geschlagen und entrindet, wurde auf dem Bolzplatz neben dem Kindergarten für den großen Tag eingekleidet – nach Feierabend, versteht sich. Der Maibaum ist nicht nur Brauchtum, sondern auch ein Monument ehrenamtlicher Arbeit. Grundierung und weißblaue Farbgirlanden hat höchstselbst der Malermeister im abendlichen Neonlicht aufgetragen. Die Stunden für die Nachtwachten hat niemand gezählt – die Breitbrunner Vereine haben pro Nacht zwei Wachdienste gestellt, um 1 Uhr nachts war Schichtwechsel. Schließlich waren die Inninger Burschen, die sich durch Maibaum-Diebstähle einen legendären Ruf erarbeitet hatten, dem Vernehmen nach schon auf der Lauer gelegen. Aber den Baum-Guards entging nichts, nicht mal das Biertragl.
Am Sonntag gegen 10 Uhr lag der Baum – eingefädelt in die eiserne Fassung – für die Aufstellung bereit. Ein Kranwagen der Firma Greimel hatte den Baum gesichert, ein Unfall durch Umfall war ausgeschlossen. Der Kran durfte aber beim Stemmen nicht helfen, die Breitbrunner legten größten Wert darauf, dass jeder Zentimeter Richtung Vertikale strammen Männermuskeln entsprang. Dirigiert wurde die 30-köpfige Mannschaft von Andy Steigenberger, an den Stemmgabeln wuchteten Breitbrunner Feuerwehrmänner, unterstützt von anderen Vereinsmitgliedern und den Vigili del Fuoco aus Ravina-Romagnano (die kriegen im Juni mit Herrschinger Unterstützung auch einen Maibaum).
Eineinviertel Stunden später stand der Baum in seiner Halterung und kann mit der Krone weit über den Ammersee blicken.
Schmuck steht er da mit seiner blauen Bauchbinde. Diese Girlande aber ist modernes Zierwerk. Der Volkskundler und Buchautor Robert Volkmann weiß aus alten Quellen, dass Maibäume früher nicht einmal entrindet waren und ganz oben noch einen grünen Wipfel trugen. Historisch unkorrekt ist auch die Baumart: „Früher wurden häufig Birken als Maibäume hergenommen”, erzählt Volkmann. Als Schmuck trugen sie Girlanden aus Papier und eiserne Ringe, die festlich geschmückt waren.
Es war nicht immer eine freiwillige Ehre, einen Maibaum stiften zu dürfen: In vielen Vertragen zwischen Waldbesitzern und Jagdgenossenschaften war vereinbart, dass die Flinten-Träger einen Maibaum zu spendieren hatten. Das konnte ganz schön ins Geld gehen: Oft maßen die stattlichen Bäume, die zwischen 80 und 120 Jahre alt waren, 40 Meter. Diese Festmeter waren bares Geld und schmerzten viele Jägersleute.
Volkmann kennt aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine herrliche Geschichte über Geist und Geiz der Brauchtumspflege. In den Vertragsklauseln zur Maibaumspende wurde häufig auch die maximale Länge des Stammes festgelegt. Als Graf Töring in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts beim Maibaumaufstellen in Breitbrunn bemerkt hatte, dass der Stamm deutlich länger als vereinbart war, wollte er die Breitbrunner zur Kasse bitten. Die Breitbrunner rächten sich, indem sie den Baum ohne jeden Schmuck aufstellten – sozusagen als rohes Schandmal.
Überhaupt galt der Maibaum in den unruhigen Jahren des 19. Jahrhunderts als revolutionäre Manifestation: Subversive Demokratieanhänger hatten aus dem jakobinischen Frankreich den Brauch importiert, den Maibaum der bürgerlichen Freiheit zu widmen. Ein hintersinniger Brauch: Die Jagdpächter galten als Teil der Obrigkeit und mussten einen Freiheitsbaum stiften.
Etwas spöttisch guckt Volkskundler Robert Volkmann auf die Länge des neuen Breitbrunner Maibaums: Die 27 oder 28 Meter sind im Vergleich zum Seefelder und zum Steinebacher Maibaum bescheiden. Deren Protzstangerl ist 40 Meter hoch. Da wird sich doch kein Konkurrenzdenken in den Himmel recken: Wer hat den Längsten?
Gewisse Anspielungen erotischer Art verbieten sich in diesem Text, aber Volkmann weiß, dass das Aufstellen eines Maibaums in Zeiten der Germanen und Kelten als Fruchtbarkeitsritual galt.
Rund im die Freinacht zum 1. Mai wurden früher aber nicht nur mächtige Bäume aufgestellt. Junge Birken mussten dran glauben, wenn ein junger Bursch seiner Angebeteten einen grünen Wink geben wollte. Die Birke, die der schmachtende Liebhaber in den Garten stellte, musste aber von schönem Wuchse sein. War sie krumm und schiach, wusste die Jungfer, was der Baumaufsteller von ihr hielt.