„Hast du keine Jacke dabei?“ fragt Wolfgang Schneider fürsorglich einen Schüler. Dem Jungen fehlt offensichtlich nicht nur eine Mütze Schlaf, sondern auch ein warmes Kleidungsstück in der ekeligen Morgenkälte. Es ist dunkel, ein feiner Regenspray macht die Haltestelle zur Nasszelle. Man möchte um 7 Uhr morgens alles sein, nur keine tapfere Schülerin, ein braver Schüler – und schon gar kein Busfahrer, der in der zögerlich weichenden Dezembernacht ein 12 Meter langes Gefährt durch engste Dorfstraßen fädeln muss. Wolfgang Schneider, 73, ist so ein Held der frühen Stunden, er fährt ab 6:55 Uhr mit seinem Mercedes-Reisebus einen Schülershuttle zwischen Seefeld, Hechendorf und Herrsching.
Eigentlich wollten wir nur mal zuschauen, wie Schneider ein netto 2,50 Meter breites, 12 Meter langes und 3,65 Meter hohes Monstrum durch die Nadelöhre der Summerstraße, die verwinkelten Dorfgassen Breitbrunns und die zugeparkte Seestraße in Hechendorf zirkelt. Und dann waren wir noch neugierig, ob sich die junge „Kundschaft“ im Bus so furchtbar benimmt, wie es manchmal in der Zeitung steht.
Arbeiten über 70? Schneider macht das gern
Wir treffen morgens um 6.55 Uhr auf dem Gelände des Busunternehmens Ammersee-Reisen auf einen gut ausgeschlafenen, freundlichen Mann, Altersanmutung so um die 55, 60 Jahre: Wolfgang Schneider, in seiner Freizeit Dritter Bürgermeister von Herrsching, Gemeinderat und Träger der Goldenen Bürgermedaille, bereitet seinen Arbeitsplatz vor, fährt die Systeme im Bus hoch und schlängelt den eleganten Reisebus dann zwischen zwei Pfählen vom Hof. Schneider, schlank und sportlich wie früher, als er noch Skilehrer war, steuert den Mercedes, nicht so schlank mit einer Brutto-Breite von 2,90 (inklusive Außenspiegel), am Pilsensee vorbei Richtung Bahnhof Hechendorf. Dort warten schon die Kinder auf ihn. Ob es die drohende Schule, die ungemachte Hausaufgabe, die frühe Morgenstunde oder das fehlende Frühstück ist – die Kinder sind jedenfalls einsilbig wie ein Senner beim Morgenmelken.
Schneider begrüßt jeden zugestiegenen Schüler, jede Schülerin mit einem aufmunternden Guten Morgen, als hätte er zahlende Kundschaft an Bord. So viel gute Laune am frühen Morgen? „Selbstverständlich, wie man in den Wald hineinruft, so kommt es raus.“ Wenn die Schüler den Bus verlassen, müsste also ein fröhliches „Ciao Wolfgang“ kommen, aber nur einer bedankt sich bei ihm. Macht nichts, Schneider ruft den jungen Fahrgästen ein aufmunterndes „Schönen Tag“ nach. Ob die Kinder auch im Klassenzimmer so fröhlich empfangen werden?
14 Millionen steckt der Landkreis in den Nahverkehr
Die Kinder, die in einem 400 000 Euro teuren Bus direkt vor die Schule gefahren werden, wissen natürlich nicht, wie teuer das staatliche Großtaxi ist. Für den Öffentlichen Nahverkehr hat der Landkreis 2026 14,6 Millonen eingeplant. In dieser Summe steckt der gesamte Aufwand für 41 ÖPNV-Linien mit 600 000 Streckenkilometern. Dazu kommen noch die Kosten von sieben Millionen Euro für das 365-Euro-Schüler-Ticket.
Besonderen Dank darf man von Schülern und Eltern für diesen öffentlichen Service natürlich nicht verlangen – Arbeitnehmer werden schließlich auch subventioniert mit der Kilometerpauschale von 30 bis 35 Cent pro km. Die Kinder werden um halb sieben aus den Betten geschmissen, damit der Unterricht pünktlich um 8 beginnen kann.
Muss ein Mensch aber um 8 Uhr morgens schon mit Cicero, dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder der Hauptstadt von Mali behelligt werden? Nein, sagen zum Beispiel die Iren, die den Schulunterricht zwischen 8.45 und 9 Uhr beginnen. Sind die Iren deshalb dümmer als die Deutschen? Nein, nur ausgeschlafener. Lediglich das neue Herrschinger Gymnasium hat begriffen, dass ein früher Vogel nicht den Wurm fängt, sondern der Wurm im frühen Start steckt. Dort beginnt der Unterricht zwischen 8 und 8.30 Uhr.
Ein typischer deutscher Autofahrer würde sich jeden Morgen einen Herzinfarkt einhandeln, wenn er einen Bus durch Dorfstraßen steuern müsste. Schneider dagegen strahlt an seinem Arbeitsplatz professionelle Gelassenheit aus. In Breitbrunn fragt er eine wartende Mutter, ob sie noch ein Auto sehe, das sich eilig der Haltestelle nähere und ein verspätetes Kind abliefern wolle. Diese Mutter steht übrigens jeden Morgen exakt an der gleichen Stelle, Schneider nimmt sie als Markierungspunkt, an dem er den Bus zum Stehen bringt.
Alle fünf Jahre zum Medi-Check und zur MPU
Weil wir gerade beim Herzinfarkt sind: Alle fünf Jahre muss ein Busfahrer ab dem 50. Lebensjahr zum Medizincheck und zusätzlich noch eine Medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) absolvieren. Busfahrer werden also engmaschig kontrolliert und haben deshalb (mutmaßlich) auch eine höhere Lebenserwartung: Die Untersuchungen bringen alle versteckten Defekte ans Licht: Wenn eine Herzklappe rasselt, wird sie ersetzt, bevor der GAU eintritt. Wenn die Augen schlechter werden, sieht das der Augenarzt und verschreibt eine neue Durchblickerbrille. Der Busfahrer ist also mutmaßlich fitter als viele seiner Passagiere.
Kein Rezept und kein Doktor aber hilft dem Fahrer, wenn mal wieder ein Blitzer jäh die morgendliche Dunkelheit zerreißt. Ein paar Wochen später guckt sich die Kollegin in der Firma das Beweisfoto an und steckt dem ertappten Fahrer den Anhörungsbogen ins Postfach. Maximal „3 übern Durst“ darf man fahren, also 33 auf verkehrsberuhigten Gemeindestraßen, 53 auf den Staatsstraßen innerorts, 73 auf vielen Staatsstraßen außerhalb.
Nur eine Tour war bei den Fahrern gefürchtet
Draußen die Tempo-Wegelagerer, im Bus hin und wieder ein stressiges Kind. „Gustl“ (Name geändert), ruft Schneider dann in die Tiefen des Fahrgastraums und stöhnt hinterher. „Der Gustl ist so ein Sargnagel.“ Auf unserer Tour allerdings blieb meist alles ruhig bis totenstill, die Kinder werden ja heute durchs Handy stillgelegt. Nur eine Tour haben die Schulbusfahrer früher gefürchtet: Tutzing-Terror. Es kam es schon mal vor, dass ein Sitz aufgeschlitzt worden war. Kostet ja praktisch nichts, die 2000 Euro Schadenersatz zahlt ja Papa.
Aber solche Zwischenfälle passieren selten. Schülertransporte im Münchner Speckgürtel sind offensichtlich weniger ereignisreich als in Münchner Problemvierteln.








Pünktlich, sauber und auch noch ein gut gelaunter Busfahrer, kein gestresstes Mama/Papa Taxi und die kleinen Hoffnungsträger/innen kommen sicher an auch bei Schmuddelwetter. Public Transport gelungen.
Ein schöner Beitrag!