Ist der Bahnhof in Herrsching nicht mehr sturmsicher? Am Mittwoch zog gegen 15 Uhr eine Böe mit knapp sieben Windstärken über See und Gemeinde – ohne größere Schäden. Am Donnerstag blies eine freundliche Brise aus West, die Segler jubelten, die Kiter und Surfer waren eher frustriert: Am frühen Nachmittag gegen 16 Uhr raffte sich eine Böe zu knappen fünf Windstärken auf. Das war für einige Dachziegel auf dem über 120 Jahre alten Bahnhof zuviel. Sie fielen, vielleicht von der Mittwochs-Böe losgerüttelt, vom Dach und zerschellten auf dem Gehweg. Die Gemeinde sperrte den Bereich ab, so dass für Fußgänger keine Gefahr mehr bestand. Verletzt wurde augenscheinlich niemand durch die herabfallenden Ziegel. Nach dem „Fall“ waren Bauhofmitarbeiter und Feuerwehrleute auf dem Dach und haben geprüft, ob sich weitere Ziegel gelockert haben.
Video-Urheberin: Karin Casaretto
Seit 2006 doktert Herrsching an dem „Patienten Bahnhof“ (Bürgermeister Schiller) herum. 2009 hatte die Gemeinde das Gemäuer von der Bahn gekauft. 2015 schließlich machten sich Städteplaner und Architekten über die Umgebung des Bahnhofs her, zwei Jahre später bekam das Planungsbüro silands I Gresz +Kaiser Landschaftsarchitekten PartG mbH Ulm den ersten Preis. Eine Umsetzung der Planung (geplant für 2019) scheiterte an den Grundstücksverhältnissen. 2021 gibt die Bahn endlich den pensionierten Bahnhof frei, er kann „entwidmet“ werden. Aber auf den umgebenden Grundstücken sitzt die Bahn wie eine Glucke.
Bevor überhaupt ein Investor – im Gespräch war ein bekannter Gastronom, der sich inzwischen aber wieder zurückgezogen hat – zugreift, muss die Gemeinde den Bahnhof soweit sanieren, dass das Gemäuer nicht irgendwann wegen Baufälligkeit geschlossen werden muss. Diese „Ertüchtigung“ (Verwaltungsdeutsch) des Hauses mit Kellerdecken-Erneuerung, Sanierung der Firstpfanne, Dämmung der obersten Geschossdecke und vollständiger Erneuerung der Haustechnik soll mindestens 1,7 Millionen Euro kosten.
Der von der Gemeinde beauftragte Planer Christoph Welsch, Architekt und Gemeinderat in Herrsching, hatte in einer Gemeinderatssitzung seine Entwürfe vorgestellt und eine erste Kostenschätzung abgegeben. Er sieht im Südkopf des Bahnhofs Funktionsräume für ein Restaurant, in der Halle den Gastraum und im Nordkopf drei Läden (Wein und Fahrkartenschalter) vor. Eine kulturelle Nutzung der Halle hatte der Gemeinderat schon früher mit der Gastronomie verkuppelt. Ganz sicher nicht im Sinne des möglichen Investors wäre eine kleine Bedarfsküche, in der nach den Vorstellungen des Architekten nur angelieferte Speisen servierfertig aufbereitet würden.
Der Allgäuer Genossenschaftsexperte und Altbausanierer Christian Skrodzki hat eine andere Idee für den Herrschinger Bahnhof: Den Leutkircher Bahnhof hatte er mit 1,1 Millionen Euro aus einer bürgerschaftlichen Genossenschaft wiederbelebt. Dieses Modell, so der Herrschinger Grünen-Gemeinderat Gerd Mulert, könnte auch beim Herrschinger Bahnhof funktionieren. Für seine Sanierungen des Leutkircher Bahnhofs hat Skrodzki nicht nur viel Lob bekommen, sondern auch das Bundesverdienstkreuz. Am Geld, da ist Skrodzki sicher, wird es auch in Herrsching nicht fehlen: „Geld ist üppig vorhanden.“
Jetzt wird es aber „langsam“ Zeit, mit der Sanierung des Bahnhofsgebäudes! Absperrungen sind keine Lösung, verhindern aber Verletzungen bei Mensch und Tier. Wann es geht es los? Ich hoffe der Termin steht und die Renovierungsauftraege sind für den Bahnhof vergeben. Oder hat unsere Gemeinde zu viele offene Baustellen und Machbarkeitsstudien am Laufen, dass die Planungen entglitten sind? Das waere peinlich.
Seit Jahren wünschen sich Bürgerinnen und Bürger, dass dem Bahnhof neues Leben eingehaucht wird: mit Kultur, Café und Kiosk. Doch die Herrschinger Prioritätensetzung ist eine andere:
Während das Bahnhofsgebäude langsam zerbröselt, leistet sich die wohlhabende Ammerseegemeinde lieber ein Designer-Klo für schlappe 400.000 Euro – inklusive einem schillernden Herrsching-Logo auf der Außenwand. Hauptsache, das stille Örtchen glänzt . Mir jedenfalls hätte ein zweckdienlicher Lokus gereicht.
„Wir fordern etwas Abwechslung in unsrer Umlaufbahn ….“, singen die Einstürzenden Neubauten, und ich finde, ein gutes Motto für Herrschings einstürzenden Altbau: Ein pulsierender Bahnhof, mit Menschen und Leben gefüllt – das ist, was Herrschings Zentrum wirklich barucht!