Die Herrschinger Künstlerin, Kunsttherapeutin und Dozentin Patricia Wolf verfolgt mit „gemischten Gefühlen" die Bemühungen der Gemeinde, eine sehr dunkle Vergangenheit zu bewältigen. Foto: Gerd Kloos

„Das Schweigen hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack“

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Örtlich steht sie über den Dingen, emotional ist sie mittendrin: Teilweise entsetzt verfolgte die Künstlerin Patricia Wolf die letzte Gemeinderats-Diskussion um NS-belastete Straßennamen. Verständlich – sie hat „als Angehörige einer jüdischen Familie, die aus Stuttgart stammt und deren Geschichte von Flucht und Verlust geprägt ist, einen tiefen emotionalen Bezug zu diesen Themen“. Wenn nun die Madeleine-Ruoff- und die Erich-Holthaus-Straße umbenannt werden (wie der Gemeinderat beschloss), ist das „ein wichtiges Zeichen“ für sie. Dass aber die Ploetzstraße ihren Namen behält, findet sie „unverständlich“. herrsching.online sprach mit Patricia Wolf über ihre Gefühle während der Debatte im Gemeindeparlament.


herrsching.online: Sie haben die Gemeinderatsdiskussion über die Umbenennung NS-belasteter Straßennamen verfolgt. Welche Gedanken und Gefühle kamen bei Ihnen auf?

Patricia Wolf: Die Diskussion hat in mir gemischte Gefühle ausgelöst. Einerseits ist es positiv zu sehen, dass ein Dialog über die Umbenennung stattfindet, andererseits entsetzt es mich, dass es immer noch Widerstand gegen die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte gibt. Das Schweigen derjenigen, die sich nicht klar von den Verbrechen des Nationalsozialismus distanzieren, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Ich habe als Angehörige einer jüdischen Familie, die aus Stuttgart stammt und deren Geschichte von Flucht und Verlust geprägt ist, einen tiefen emotionalen Bezug zu diesen Themen. Die Unfähigkeit, die Vergangenheit offen zu thematisieren, macht es schwer, Vertrauen in die heutige Gemeinschaft zu haben.

Patricia Wolf mit einer ihrer Installationen im Kurpark

herrsching.onine: Man kann Vergangenheit durch Verdrängen oder durch das konsequente Aufarbeiten „bewältigen“. Nun hat Herrsching eine Historikerin Dr. Friederike Hellerer als Archivarin, die sich große Verdienste um die Aufhellung einer dunklen Zeit erworben hat. Andererseits gelingt es der Gemeinde nicht, einen historisch belasteten Namen aus dem Straßenverzeichnis zu tilgen. Verstehen Sie Ihre Heimatgemeinde noch?

Patricia Wolf: Diese Widersprüche machen es mir schwer, zu verstehen. Es ist wichtig, die Vergangenheit zu beleuchten, aber wenn die Gemeinde nicht bereit ist, aus diesen Verbrechen zu lernen und aktiv die Konsequenzen zu ziehen, bleibt die Aufarbeitung oberflächlich. Dies zeigt sich an Hand der Alfred-Ploetz-Strasse. Er wurde von Hitler geehrt wegen seiner Taten zur Rassehygiene. Heute bleibt der Straßenname Ploetz bestehen, was ich unverständlich finde auch im Hinblick auf die nächste Generation und ihr Verständnis für Aufarbeitung. Ich persönlich habe immer wieder versucht, die komplexen Aspekte der Nazi-Greultaten in meiner Kunst und in meinem Leben aufzuarbeiten. Als Nachfahrin einer geflüchteten jüdischen Familie sehe ich die Verantwortung, die Erinnerungen an eben diese, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, wachzuhalten.

herrsching.online: Herrsching war im Dritten Reich eine tiefbraune Gemeinde, die Zahl der NSDAP-Mitglieder lag deutlich über dem deutschen Durchschnitt. Wie leben Sie als sensible Künstlerin mit jüdischen Wurzeln in einer solchen Gemeinde?

Patricia Wolf: Als Künstlerin ist es für mich essenziell, mein Bewusstsein für die Geschichte in meiner Kunst einzubringen. Ich fühle mich oft herausgefordert, insbesondere wenn ich mit der Geschichte der Nationalsozialisten und ihre Morde konfrontiert werde. Ich komme aus einer jüdischen Familie, deren Geschichte durch das Schweigen meiner Großeltern und meines Vaters über ihre Erlebnisse in Deutschland geprägt ist. Dieses Schweigen hat in mir viele unbeantwortete Fragen ausgelöst und führt zu einem tiefen Bedürfnis, die Themen von Erinnerung und Identität in meiner Arbeit zu reflektieren.

herrsching.online: Auf der konservativen Seite des Gemeinderates gab es praktisch keine Stellungnahme zu den Straßenumbenennungen. Wie erklären Sie sich das, wo doch die Bekämpfung des Antisemitismus zur Staatsraison gehört?

Patricia Wolf: Das Schweigen und die mangelnde Stellungnahme der konservativen Fraktion sind alarmierend. Es zeigt, dass es viele gibt, die den gesellschaftlichen Druck scheuen oder Angst haben, sich gegen ihre eigenen Ideologien zu positionieren. Gerade in einer Gemeinde, die eine derart belastete Geschichte hat, ist es unverzichtbar, dass wir uns aktiv mit diesen Themen auseinandersetzen. Die Verantwortung für das „Nie wieder“ muss von jedem Einzelnen getragen und gelebt werden.

herrsching.online: Wären Sie persönlich zufrieden damit, wenn die Nazi-Verehrerin Madeleine Ruoff und der SA-Mann Holthaus nicht mehr mit Straßennamen geehrt würden? Wäre das für Sie ein gutes Zeichen der Vergangenheitsbewältigung?

Patricia Wolf: Ja, ich wäre zufrieden, wenn die Namen von Personen, die aktiv im Nationalsozialismus verwickelt waren, aus dem Straßenverzeichnis entfernt werden. Dies wäre ein wichtiges Zeichen für die Vergangenheitsbewältigung und ein Schritt hin zu einer gerechten Gedenkkultur. Es ist essenziell, dass Straßen und Plätze die Werte und Ideale widerspiegeln, die wir in der heutigen Gesellschaft vertreten wollen. Es gab in Herrsching auch jüdische Familien, die denunziert und umgebracht wurden. Erinnern wir uns an die verlorenen Leben und erweisen wir den Opfern Respekt, indem wir ihre Geschichten nicht vergessen. Vielleicht wären die bekannten „Stolpersteine“ eine geeignete Idee, oder eine Skulptur in Herrsching, die an diese Familien und Personen erinnern, die unter dem Nationalsozialismus gelitten und gestorben sind.

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