Viel Papier verschlingt die neue Untersuchung der Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer über nach Personen benannten Straßen in Herrsching. Dem Vernehmen nach soll die Dokumentation über 100 Seiten stark sein. In der Arbeit geht es um mögliche weitere NS-Bezüge bei den Straßennamen. Foto: Gerd Kloos

Gemeinderat diskutiert wieder über NS-belastete Straßennamen

4 mins read

Am 28. April begegnet dem Gemeinderat wieder ein Dauerthema: Die Umbenennung der drei Straßenamen Ploetzstraße, Erich-Holthaus-Straße und Madeleine-Ruoff-Straße steht auf der Tagesordnung. Wie berichtet, hatte die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer vom Gemeinderat den Auftrag bekommen, alle 38 Straßen, die nach Personen benannt sind, noch einmal auf NS-Bezüge zu untersuchen. Gemeinderätin Christiane Gruber (BGH) sprach damals von einem leicht „schikanösen Auftrag“.

Die Forschungsergebnisse der promovierten Historikerin über Alfred Ploetz, Erich Holthaus und Madeleine Ruoff sollten, so der Auftrag, um die „Wohltaten der benannten Personen“ ergänzt werden. Erst wenn die „Unterlagen, Texte und Informationen vorliegen, soll in einer Gemeinderatssitzung ein Grundsatzbeschluss“ folgen, hieß es im Beschluss aus dem letzten Mai. Dem Vernehmen nach umfasst die neue Untersuchung Dr. Hellerers mehr als 100 Seiten. Die Sitzung könnte zu einem historischen Seminar werden.

Die Gemeinde, das ließ Bürgermeister Schiller in der Gemeinderatssitzung am 13. Mai 2024 anklingen, befürchtet Klagen von betroffenen Anliegern. Deshalb ließ sich die Verwaltung im Vorfeld der Sitzung vom Landratsamt rechtlich beraten. In diesem „kommunalrechtlichen Beratungsgespräch“ seien, so Hauptamtsleiter Guido Finster, neue Aspekte aufgetaucht:

• „Die persönliche Beteiligung von Damen und Herren des Gemeinderates als betroffener Anlieger“

• Die Gründe für die damalige Straßenbenennung müssen geklärt werden. Es seien auch die positiven Aspekte der Namensgeber zu beleuchten. Die entsprechenden Texte seien entsprechend zu ändern/ergänzen.

• Bedenken werden bei einer eventuellen Änderung der Ploetzstraße gesehen, da der Familienname nicht im Rahmen der „Sippenhaft“ beurteilt werden könne.

• Grundsätzlich sei der Datenschutz bei Bezügen zu lebenden Personen beziehungsweise Nachfahren zu beachten.

Bei der persönlichen Beteiligung von Gemeinderäten spielen die Juristen wohl auf den ehemaligen FDP-Gemeinderat Alfred Ploetz an. Ploetz ist ein Enkel des NS-Rassenhygienikers Alfred Ploetz (Zitat aus einem der Aufsätze von Professor Ploetz aus dem Jahre 1928: „Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen (Eheberatungsstellen), durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (Möglichkeit von Straferlass bei Sterilisierung), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches.” ).

Der ehemalige FDP-Gemeinderat Alfred Ploetz sagte 2018 der Süddeutschen Zeitung: Seinen Großvater (also den NS-Rassenhygieniker) als Nazi hinzustellen, sei völlig daneben.

FDP-Gemeinderat Alexander Keim sah in der Gemeinderatssitzung im Mai bei den Namensgebern der drei Straßen „keine Verbrecher gegen die Menschlichkeit“. Wörtlich teilte er herrsching.online mit: „Ich hatte von Anfang an gefordert, dass wir auf die Integrität der betroffenen Familien Rücksicht nehmen müssen, da ich jede Form der Kontaktschuld entschieden ablehne.“

Die BGH-Gemeinderätin Susanne Hänel, als Lehrerin der Sprache besonders verpflichtet, stellte gleich eine kritische Nachfrage: „Das Wort Wohltaten ist mir aufgestoßen.“ Im Lexikon werden Wohltaten so definiert: „Freiwillige Aktion, mit der jemand einem Bedürftigen oder einer Gruppe Armer ohne Gegenleistung hilft.“

Christiane Gruber, die mit ihrer BGH-Fraktion die Umbenennung der Straßen angestoßen hatte, hielt den Auftrag an Archivarin Hellerer, noch einmal Straßennamen mit Personenbezug auf NS-Bezüge zu untersuchen, für „leicht schikanös“.

Ob das Thema am 28. April im öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung oder aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ hinter verschlossenen Türen abgehandelt wird, ist noch nicht bekannt.

2 Comments

  1. Durchaus lesenswert sind hierzu die „Handreichung des Deutschen Städtetags zur Aufstellung eines Kriterienkatalogs zur Straßenbenennung“ und der „Abschluss der Kommission zum Umgang mit NS-belasteteten Straßennamen in Hamburg“. Beide Publikationen sind im Internet abrufbar.
    Die Tatbestände „Kriegsverbrechen“, „Verbrechen gegen den Frieden“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurden im Londoner Statut vom 08. August 1945 kodifiziert und zählen zu den Kernverbrechen des Völkerrechts. Daneben gelten die Vorschriften des Strafgesetzbuches.
    Die Hamburger Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennahmen erläutert ausführlich die Kriterien, wann eine Umbenennung der Straße erfolgen sollte.

  2. Vielleicht hilft es den Herrschinger Gemeinderäten, dass sie mit der Entscheidungssaufgabe belastete Straßennamen umzubenennen nicht allein sind. Auch in München stehen fast 40 Straßennamen auf dem Prüfstand. Namen wie Doepfner und Wendel (Kirchenmaenner), Quandt oder Messerschmitt (Wirtschaft) usw. handelten politisch nicht so vorbildhaft wie die Münchner dachten. Auch in Herrsching hat man sich vor Jahrzehnten geirrt und falsch benannt. Das kann jetzt berichtigt oder weiter vertuscht werden. Dass seit vielen Jahrzehnten immer wieder in allen deutschen Städten und Gemeinden umbenannt wird, ist Alltag und grundsätzliche Aufgabe der gewählten Vertreter in den Kommunen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Aktuellste Meldungen

Anzeige