Der Allgemein-Mediziner Dr. Daniel Bach: „Man sollte seinem Hausarzt ausdrücklich die Frage stellen, ob man eine Krankheit hat, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt."

„Ältere  Menschen sind bei Hitze besonders gefährdet, weil der Flüssigkeitshaushalt anfälliger ist“

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Schlägt die Hitze nicht nur aufs Gemüt, sondern auch auf die Unfallstatistik durch? „81-Jährige übersieht Gegenverkehr – Crash an der Kreuzung“, „Herrschinger prallt in der Eichenallee gegen Baum„, „Autofahrer prallt in Andechs gegen Baum„, „86-Jähriger missachtet Vorfahrt am Breitbrunner Sportplatz – Motorradfahrer schwer verletzt“: Die Polizeimeldungen über schwer erklärbare Unfälle häufen sich in den Tagen der größten Sommerhitze. Besorgte Nachfrage beim Leiter der Herrschinger Polizeiinspektion: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den hohen Temperaturen und der Unfallhäufigkeit? Der Leitende Polizeihauptkommissar Winfried Naßl sieht noch keine Korrelation zwischen Crash-Häufigkeit und Celsiusgraden: „Die Unfallbeteiligung älterer Autofahrer wird sich im Lauf des Jahres wieder nivellieren. Einen Zusammenhang zwischen Hitze und Unfallhäufigkeit können wir von der Polizei nicht feststellen.“

Allgemeinmediziner Dr. Daniel Bach

Der Breitbrunner Allgemeinmediziner Dr. Daniel Bach, der in Etterschlag eine Privatpraxis betreibt, sieht dagegen besorgt auf die Unfallstatistik. „Ältere  Menschen sind bei Hitze tatsächlich besonders gefährdet, weil der Flüssigkeitshaushalt anfälliger ist als der von Jüngeren.“ Allerdings hänge die Leistungsfähigkeit älterer Autofahrer vom Fitness-Status ab. Dr. Bach erläutert in diesem Interview, bei welchen Vorerkrankungen Senioren am Steuer besonders vorsichtig sein sollten.

„Ein älterer Mensch kann nicht einfach eineinhalb Liter Flüssigkeit nachfüllen. Und dieser Mangel beeinträchtigt dann auch die Hirnleistung“

herrsching.online: Sind ältere Menschen bei Hitze besonders gefährdet? Und wenn ja, wie äußert sich das?

Dr. Bach:  Ältere  Menschen sind bei Hitze tatsächlich besonders gefährdet, weil der Flüssigkeitshaushalt anfälliger ist als der von Jüngeren. Die Kompensationsmechanismen sind bei Älteren deutlich schlechter, wenn es sehr heiß  ist. Das bedeutet, dass sie zum Beispiel anfälliger sind für Kreislaufbeschwerden.

herrsching.online: Was bedeutet Flüssigkeitshaushalt?

Bach: Jüngere Menschen haben einen höheren Wassergehalt. Ein Säugling zum Beispiel hat einen Wassergehalt von 85 Prozent, ein alter Mensch könnte 55 Prozent Wassergehalt haben. Ältere Menschen sind also anfälliger bei Flüssigkeitsveränderungen.

Der Flüssigkeitshaushalt ist übrigens extrem komplex.  Ich zum Beipiel habe ein Blutvolumen von 5 bis 6 Litern. Wenn ich nun viel schwitze und zu wenig trinke, verliere ich die Flüssigkeit aus dem Zwischenzellraum, in dem sich der Löwenanteil der Flüssigkeit befindet. 5 bis 6 Litern Blut bestehen aus 3 bis 3,5 Liter Wasser. Und dieses Verhältnis bleibt bis auf Extrembedingungen sehr konstant. Wenn ich nun trinke, wird die Flüssigkeit über den Darm aufgenommen und dann im Zwischenzellraum verteilt. Diese Rückverteilung der Flüssigkeit funktioniert nun bei älteren Menschen sehr viel schlechter. Ein älterer Mensch kann also nicht einfach eineinhalb Liter Flüssigkeit wieder nachfüllen. Und dieser Mangel beeinträchtigt dann auch die Hirnleistung.

herrsching.online: Ältere Menschen können den Flüssigkeitsmangel also weniger effektiv kompensieren als jüngere?

Bach: Das kommt auf die Vorerkrankungen an. Bei Herzschwäche oder Bluthochdruck könnte es sein, dass die zugeführte Flüssigkeit nicht da landet, wo sie hingehört, sondern zum Beispiel in den Beinen. Solche Wasseransammlungen in den Beinen sind bei älteren Menschen regelhaft. Und das macht das Zuführen der dringend benötigten Flüssigkeit bei älteren Menschen schwieriger.

herrsching.online: Dieses Flüssigkeitsdefizit kann die Gehirnleistung stark einschränken?

Bach: Ja, wenn die Gehirnleistung ohnehin schon am seidenen Faden hängt, kann ein Mangel an Flüssigkeit die kognitiven Fähigkeiten spürbar einschränken. Wie stark solche Beeinträchtigungen dann tatsächlich sind, hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Aber man kann zusammenfassend sagen: Je älter jemand ist, umso schwieriger wird es, Flüssigkeitsdefizite schnell kompensieren.

herrsching.online: Das Thema Hitze beschäftigt nicht nur Mediziner, sondern sogar die Verkehrspsychologen.  Macht Hitze generell die Menschen aggressiver – viele Leute klagen, dass „die“ Leute bei hohen Temperaturen aggressiver fahren.

Bach: Bei mir würde ich sagen: Nein, ich liebe den Sommer und komme mit Hitze gut zurecht. Ich bin zur Zeit so ausgeglichen wie nie. Man muss aber gar keine medizinischen Weisheiten bemühen, um festzustellen, dass die Umstände, hervorgerufen durch die Hitze, aggressiv machen können: Stau und Parkplatzprobleme am Seeufer bringen jeden Menschen auf die Palme. Ich würde das aber nicht auf medizinische Ursachen zurückführen. Generell gelingt es dem Menschen sehr gut, seine Körperkerntemperatur konstant zu halten.

herrsching.online: Der Mensch ist also sehr anpassungsfähig. Kann man diese Fähigkeit durch eigenes Zutun dramatisch steigern?

Bach: Gesundheit zeichnet sich aus durch Kompensationsfähigkeit. Ein gesunder Körper kann Einschränkungen besser kompensieren. Egal ob es sich um ein Schlafdefizit, ein Flüssigkeitsdefizit oder eine Bewegungseinschränkung handelt. Leider hängt diese wunderbare Fähigkeit auch wieder vom Alter ab. Je älter man ist, desto schlechter gelingt es, solche Defizite auszugleichen.

In der Mittagshitze die Füße stillhalten

herrsching.online: Das bedeutet, dass man in den Stunden der größten Hitze die Füße stillhalten sollte?

Bach: Ich rate meinen älteren Patienten, in der Mittagszeit sich mit garnichts zu beschäftigen, also weder im Garten zu werkeln noch Auto zu fahren.

herrsching.online:  Das Statistische Bundesamt will herausgefunden haben, dass unfallbeteiligte Senioren zu einem hohen Prozentsatz auch die Unfallverursacher sind. Die Zahlen ähneln denen von Führerscheinneulingen. Was können autofahrende Senioren selber tun, dass sie sichere Verkehrsteilnehmer sind?

Bach: Zum einen gibt es die Angebote  vom TÜV, vom ADAC und den Fahrschulen, einen anonymisierten Sicherheitscheck machen zu lassen. Von medizinischer Seite rate ich jedem Autofahrer schon ab 55, seine Sehfähigkeit überprüfen zu lassen. Ab 35 geht’s nämlich mit der Sehfähigkeit bergab. Bei diesem Check entdeckt der Arzt oder Optiker zum Beispiel auch Hornhautverkrümmungen, die besonders bei Nacht die Sehfähigkeit dramatisch einschränken. Und dann sollte man seinem Hausarzt ausdrücklich die Frage stellen, ob man eine Krankheit hat, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt. Der Arzt darf sich nämlich wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht an die Behörden wenden, es sei denn, es ist Gefahr im Verzug. Die Verantwortung liegt also beim Autofahrer, der sich proaktiv darum kümmern muss, ob er noch fahrtüchtig ist.

herrsching.online: Welche konkreten Krankheiten beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit besonders dramatisch?

Bach: Gefäßerkrankungen, die Durchblutungsstörungen des Gehirns auslösen, ein Schlaganfall, der übrigens ein gesetzliches Fahrverbot nach sich zieht, eine Diabetes-Erkrankung, die die Sehleistung und Gefäße schädigen kann. Herzerkrankungen könnten – worst case – einen Herzinfarkt während des Autofahrens auslösen. Generell kann man sagen, dass alle Erkrankungen, die zu regelmäßiger Medikamenteneinnahme führen, einen Autofahrer veranlassen sollten, den Arzt zu befragen, ob er so gut eingestellt ist, dass die Fahrtüchtigkeit nicht beeinträchtigt ist.

herrsching.online: Herr Dr. Bach, jetzt haben wir soviel über die altersbedingten Einschränkungen gesprochen. Nun machen Sie den Senioren doch auch mal Mut.

Bach: Ich habe 80-Jährige als Patienten, die auf dem SUP-Board unterwegs sind, die radeln, die Tennis spielen oder eine Firma leiten. Die sind mitunter fitter als ein 65-Jähriger mit diversen Vorerkrankungen, die keinen Sport treiben. Seine Koordination und Reaktionsfähigkeit kann und sollte man in jedem Alter trainieren.

1 Comment

  1. Ohne einen Zusammenhang mit den Verkehrsunfällen herstellen zu wollen, möchte ich noch anmerken, dass im Alter das Trinken häufig „vergessen“ wird, weil das Durstgefühl sich nicht rechtzeitig meldet. Es gibt nicht wenige Menschen, die dehydriert und mit Verwirrtheits-Symptomen im Krankenhaus landen, und die sich nach Zufuhr von Flüssigkeit wieder vollkommen regenerieren.
    Deshalb sollten ältere Menschen sich selbst beobachten und immer wieder rekapitulieren, welche Mengen an Flüssigkeit sie pro Tag zu sich nehmen. Eineinhalb Liter sollten es schon sein.

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