Am Donnerstagabend wird der virtuelle Schalter geschlossen: Die Gemeinde hatte die Bürgerinnen und Bürger bis Ende Februar eingeladen, über neue Namen für die NS-belasteten Straßen
• Ploetzstraße
• Erich-Holthaus-Straße
• Madeleine-Ruoff-Straße
nachzudenken. Bisher sind 60 Stellungnahmen bei der Gemeinde eingegangen. 65 Prozent der E-Mails sprachen sich für eine Umbenennung aus, 35 Prozent waren gegen neue Straßennamen. Die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger werden dann dem Gemeinderat vorgelegt. Der hat dann das letzte Wort, ob die Straßen überhaupt umbenannt werden und, wenn ja, welche verdienstvolle Bürgerin, welcher ehrenwerte Bürger künftig mit einem Straßenschild verewigt wird.
Unter der Überschrift „Wir können uns nicht mehr wegducken“ hatte herrsching.online ausführlich über die 3 NS-belasteten Namen berichtet. Angestoßen wurde das Thema von der Bürgergemeinschaft Herrsching mit ihrer Sprecherin Christiane Gruber. Die BGH stützte sich auf die Forschungsergebnissen der Gemeinde-Archivarin Dr. Friederike Hellerer.
Hier noch einmal Auszüge aus dem Artikel:
Nazi-Namen tilgen: „Wir können uns nicht mehr wegducken“
Eines der spektakulärsten Gebäude der Gemeinde thront mit fast feudaler Dominanz über der Herrschinger Bucht: Das Gut Rezensried, früher einmal Sommerresidenz der Äbte von Fürstenfeld, gehört seit 1914 der Familie Ploetz. Und dieser Name steht nun plötzlich wieder in der Zeitung, weil Herrschings Gemeinderat drauf und dran ist, die Ploetzstraße neu zu benennen. Nach wem die Stichstraße heute benannt ist, weiß man heute nicht mehr so genau: Nach dem ehemaligen Gemeinderat Alfred Ploetz oder doch noch nach seinem Großvater, dem Rassenhygieniker Alfred Ploetz, den Adolf Hitler einmal für die Friedensnobelpreis vorgeschlagen hatte? Der 1940 verstorbene Mediziner Ploetz widmete sich in vielen Schriften „der Ausmerzung Minderwertiger“ und zeigte Wege auf, wie man einem „schwächlichen oder missgestalteten Kind „einen sanften Tod bereitet“. 2002 wurde die nach diesem Rassen-Ideologen benannte Straße kurzerhand in Ploetzstraße umbenannt. Ein Haus in dieser Straße trägt – aus Unachtsamkeit oder mit Bedacht? – noch immer die Anschrift Albert-Ploetz-Straße.
Vom Obersturmbannführer zum VdK-Wohltäter
In dem Text über Erich Holthaus, den Hannelore Doch vorlas, wird Holthaus zuerst als Nachkriegs-VdK-Ortsverbandsvorsitzender vorgestellt. Er hatte eine VdK-Siedlung initiiert, die 1956 gebaut worden war. Da war wohl seine tiefbraune Vergangenheit noch nicht bekannt. Holthaus war trotz einer Beinamputation im Ersten Weltkrieg Obersturmbannführer der SA geworden und hatte sich dann „um die vormilitärische Wehrerziehung besonders verdient gemacht“. Für die braune Sache hatte er sich schon ab 1929 beim „Stahlhelm“, einem demokratiefeindlichen Zusammenschluss ehemaliger Frontsoldaten, engagiert
Ruoff bereicherte sich an „arisierten“ Immobilien
Bei Madeleine Ruoff ist der Sachverhalt komplizierter. Die gebürtige Amerikanerin war Tochter eines weltberühmten Industriellen, des Papierfabrikanten Alfred du Pont. 1911 übersiedelte sie nach Deutschland. Sie stiftete den Herrschinger Kindergarten und soll nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Besatzungsmächten für Herrsching „interveniert“ haben. 1961 verlieh ihr der Gemeinderat die Goldene Bürgermedaille. Sie starb 1964 und wurde in Herrsching beerdigt. Nur 6 Jahre später benannte die Gemeinde den prominenten seenahen Straßenabschnitt von der Rieder bis zur Kienbachbrücke in Madeleine-Ruoff-Straße um. Es könnte die wunderbare Geschichte einer Wohltäterin sein, wenn nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dass sich Madeleine Ruoff und ihr Mann an arisierten Immobilien bereichert haben sollen. Sie kauften 1940 zwei Gebäude der Familie der jüdischen Familie von Dr. Franz Philbert Löwenherz. Damals hätten fast alle zum Verkauf angebotenen Immobilien jüdischen Besitzern gehört, die wegen des Arisierungsgesetzes zum Verkauf gezwungen worden waren, heißt es in einem Anwaltsschreiben. Tatsächlich wurde der Kauf 1953 rückabgewickelt. Die Verleihung der Bürgermedaille hatte übrigens der Bürgermeister Ludwig Schertel betrieben. Schertel war auch von 1937 bis 1945 Bürgermeister gewesen. Da haben die alten Seilschaften aus braunen Tagen auch in der neuen Republik funktioniert.
78 Jahre nach Kriegsende wäre es an der Zeit, sich der Geschichte zu stellen
Die anschließende Debatte eröffnete die BGH-Sprecherin Christiane Gruber mit dem Hinweis auf Gemeinden wie Pöcking und Feldafing, die sich auch mit den braunen Verstrickungen befassen. Gauting habe soeben 2 Straßen umbenannt. ”78 Jahre nach dem Untergang der Nazi-Herrschaft könnten wir doch auch mal belastete Straßennamen ändern“, sagte Gruber. „Deshalb haben wir ja auch die Recherchen zu diesem Thema angestoßen.“ Sie regte an, dass die alten Bezeichnungen nicht unbedingt verschwinden müssten, man könne ja noch Bezug auf die alten Namen („vormals So- und So-Straßen“) nehmen.
Hellerer: Heute gibt es Quellen, die früher nicht einsehbar waren
Auch ihr Kollege Rainer Guggenberger war der Meinung, dass man sich jetzt mal diesem Thema stellen und nicht mehr wegducken könne. Die Bürger sollten die Gelegenheit bekommen, sich dazu zu äußern. Warum die problematischen Straßennamen heute wieder auf der Tagesordnung stehen, erklärte die Gemeinde-Historikerin Dr. Hellerer auch damit, dass inzwischen neue Quellen zur Verfügung stehen. Viele Akten seien früher uneinsehbar bei den Amtsgerichten gelegen. Hans-Hermann Weinen erinnerte daran, dass sich inzwischen viele Institutionen, Konzerne und Banken ihrer Geschichte stellen. FDP-Rat Alexander Keim mahnte einen fairen Umgang mit den betroffenen Familien an. Er regte Gedenktafeln an historischen Gebäuden an und bekräftigte, dass die Gemeinde die Kosten für die Umbenennungen in Kauf nehmen müsse. Auch die Grüne Traudi Köhl setzte sich dafür ein, dass alle 3 Straßen umbenannt werden. Der CSU-Rätin Hannelore Doch war wichtig, dass die „guten Seiten“ der historischen Figuren nicht in Vergessenheit geraten (zum Beispiel die VdK-Siedlung und der Kindergarten).
Kosten für die Umbenennungen sind noch nicht absehbar
Die ganz profane Seite der Umbenennungen sind die Kosten. Wie teuer das komme, hänge von möglichen Schadenersatzforderungen der Anlieger ab. Alle Anlieger müssen schließlich ihre Adressen ändern lassen – sogar im Grundbuchamt. Auch die neue Geschäftsausstattung von Firmen verschlinge viel Geld. Und noch ein großer Brocken liegt auf den neu zu benennenden Straßen: Man muss neue Namen für sie finden. Flüsterte die Grüne Anke Rasmussen: „Aber bitte keine Personennamen mehr…“
Der Gemeinderat beschloss als erste Maßnahme, die Straßennamen mit einem QR-Code zu versehen, der auf diese Texte verlinkt.
Die Sache wird ausgehen wie das Hornberger Schießen. Es ist ja nicht einmal möglich, die bisher zur Debatte stehenden, doppelten Straßennamen (Seestraße und Kapellenweg) mit sinnvollen Zusätzen zu versehen, wie es in Seefeld-Hechendorf geschehen ist.
Bei den Befragungen werden diejenigen Bürger zustimmen, die eigentlich gar nicht betroffen sind, weil sie woanders wohnen. Diejenigen, die umfängliche Änderungen vornehmen müssten, weil ihre Adresse einen der zur Debatte stehenden Namen enthält, werden dagegen sein, weil sie den Aufwand scheuen.
Wahrscheinlich wird das Problem (mal wieder) durch endlose Vertagungen gelöst werden.
N.B. Bei der Vermutung, die Ploetz-Straße sei nach dem noch lebenden Alfred Ploetz benannt worden, scheint es sich um ein nicht totzukriegendes Gerücht zu handeln.
Auch wenn Alfred Ploetz jun. der Enkel, sich als Gemeinderat und langjähriges Mitglied des Behindertenbeirats sich zweifellos Verdienste erworben hat, ist es meines Wissens erst einmal vorgekommen (im Fall des Dekan-Wenzl-Weges), dass eine Straße nach einer noch lebenden Person benannt wurde. Zudem müsste Alfred Ploetz jun. noch sehr jung gewesen sein, als die Straße diesen Namen erhielt – äußerst unwahrscheinlich nach meinem Dafürhalten.
Wenn sich der Gemeinderat zur Umbenennung entschließt, was ich persönlich verstehen würde, dann sollten als neue Straßennamen keine Personen gewählt werden. Dauerhaft unbelastet waeren geografische, tierische oder pflanzliche Benennungen. Mir gefallen auch immer sehr gut Blumennamen. Die sind völlig unpolitisch. Auch bei der Namensgebung des neuen Gymnasiums sollte vorausschauend Vorsicht walten. Vorallem Dichter, Künstler und Wissenschaftler eignen sich leider nicht immer als gute politische Vorbilder.