Starnberg macht’s vor, folgt nun auch Herrsching? Auf Flächdächern könnte man demnächst das Gras wachsen sehen. Der Bauausschuss des Gemeinderats beschloss mit großer Mehrheit, dass die giebelfreien Dächer einen grünen Pelz bekommen (bei Neubauten). Die grüne Fraktionssprecherin Anke Rasmussen hatte die Begrünung von Flachdächern angeregt. „Pflanzen kühlen im Sommer das Haus und halten bei Starkregen das Regenwasser zurück“, wirbt der Landschaftsingenieur Konrad Herz für die „Punkfrisur“ auf Hausdächern. Bedenken gegen Bewuchs auf dem Dach, so der AWA-Chef Maximilian Bleimaier, sind unbegründet: „Ein professionell gebautes Gründach ist absolut dicht.“
In der Starnberger Grünordnungssatzung, die auch für Herrsching Vorbildchararkter haben könnte, ist festgelegt: „Flachdächer und vergleichbare Dächer mit bis zu 10 Grad Neigung sind jeweils mit Ausnahme der Attika-Abdeckung vollständig zu begrünen. Dies gilt sowohl für …Hauptgebäude als auch für Nebengebäude, Tiefgaragenzufahrten und Garagen einschließlich Carports.“
Die genaue Ausformulierung der Satzung in Herrsching wird noch von der Verwaltung ausgetüftelt.
Begrünungen von Dächern sind keine neugrünen Spinnereien: Die erste Dachbegrünung auf einem Betondach war 1867 bei der Weltausstellung in Paris zu sehen. Solche Dachgärten nützen der ganzen Gemeinde, weil die Anlagen bei Starkregen temporär Wasser aufnehmen – im Fachbegriff Retention. Durch die Wurzeln und das Substrat wird der Wasserabfluss in die Kanalisation gedrosselt.
„Man kann sich das wie einen Bierkasten vorstellen, der auf 8 Zentimeter heruntergeschnitten ist“, erklärt Landschaftsingenieur Konrad Herz. „Über diese flächig verlegten Hohlkörper wird ein Filtervlies verlegt, damit der Hohlraum sauber von Sedimenten bleibt. Dieser Zwischenspeicher fängt dann rund 80 Litern Regenwasser auf einen Quadratmeter auf. Dieses gespeicherte Wasser wird über eine individuell einzustellende Drosselung langsam abgegeben und entlastet die Kanalleitungen. Das Verfahren wird in München gefördert und deshalb regelmäßig angewandt, selbst auf Tiefgaragendächern unter Pflasterflächen. Retention ist Stand der Technik bei Flachdächern.“
Dabei müssen Bodenschichten nicht einmal dick sein. „Es gibt verschiedene Begrünungsarten: von extensiv mit bis zu 15 Zentimetern oder intensivem Aufbau bis zum Beispiel 60 Zentimetern mit Strauchwerk und Kleinbäumen“, weiß Landschaftsingenieur Herz. Starnberg schreibt bei Decken von Tiefgaragen außerhalb von Gebäuden einen Bodenaufbau bis zu 60 beziehungsweise 80 Zentimeter vor.
Sogar Dächer mit 60 Grad Neigung können begrünt werden
Das grüne „Haupthaar“ von Häusern ist übrigens nicht nur bei Flachdächern möglich. Landschaftsingenieur Herz: „Inzwischen werden selbst Dächer mit einer Neigung bis 35 Grad begrünt. Neuere grüne Module, die man auf Dachpfannen (Dachziegel) aufsetzen kann, ermöglichen die Begrünung bis 60 Grad. Mit Unterstützung von geschulten Fachbetrieben geht es auch noch steiler.“
Die gängigste Begrünung wird extensiv mit extrem kälte- und trockenresistenten Sedum-Kräuter-Mischungen ausgeführt. Volkstümlich ist Sedum unter dem Begriff „Fette Henne“ oder „Fettblatt“ bekannt. Diese Sedum halten es aus, wenn längere Zeit kein Regen fällt. Sie schrumpeln zusammen, und wenn sie Wasser bekommen, gehen sie wieder auseinander. Als Ergänzung gibt es Ansaaten mit 50 Prozent Kräutern und 50 Prozent Gräsern. Oder es werden vorbegrünte Matten verlegt, die man einfach ausrollt. Dann habe man unmittelbar das Dach extensiv begrünt, weiß Herz.
Spezialpflanzen werden nur 15 Zentimeter hoch
Aber das kostet alles wieder Geld und Pflege, wendet der Hauseigentümer ein. Herz kann beruhigen: „Bei der extensiven Sedum-Begrünung pflegt man zweimal im Jahr und muss mit einem Quadratmeter-Aufwand von unter einem Euro rechnen. Wenn zum Beispiel die Birke nicht auf dem Dach wachsen sollte, muss man diese zupfen. Die Pflanzenauswahl der Extensivbegrünung ist so gewählt, dass die Pflanzen kaum höher als 10 bis 15 Zentimeter wachsen.“
Immer wieder wird auch von Zielkonflikten zwischen Dachbegrünung und Fotovoltaikanlagen berichtet. Konkurrenz zwischen Pflanze und Photovoltaik muss aber nicht sein: Die PV-Platten sitzen auf Ständern, die um die 60 Zentimeter hoch sind. Begrünung und Technik kommen sich nicht in die Quere.
Übrigens weiß man mittlerweile, dass ein Gründach auch aufgrund seiner Schutzfunktion die Lebensdauer des Flachdachs um das Zwei- bis Dreifache verlängert.
Ein Beschluss zur Grünplanung im Bauausschuss, der in die richtige Richtung geht. Das macht mir persönlich viel Hoffnung für die Zukunft.
Wenn man sich für eine extensive oder intensive Dachbegrünung entscheidet, darf man nicht übersehen, dass für die zweimal jährliche Pflegemaßahme (Aussage von Herrn Herz) bei einer Absturzhöhe über 3 m nach ASR (Arbeitsschutrecht) eine Schutzvorrichtung gegen Absturz auf dem Flachdach vorzusehen ist. Diese kann durch ein umaufendes Geländer, einem Seilsystem, oder sogenannten Anschlagpunkte erfolgen. Bei dem Seilsystem und den Anschlagpunkten ist zusätzlich eine PSAgA (Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz) zu tragen. Weiter darf nicht vernachlässigt werden, dass der Zugang auf das begrünte Flachdach nach ASR möglich ist; entweder durch eine innenliegende Dachluke (ohne PSAgA) oder einen gesicherten Zugang von Außen. Abschließend ist weiter zu berücksichtigen, dass durch den schlechteren Abfluss des Regenwassers, dies in der statischen Dimensionierung des Flachdachs zu berücksichtigen ist. Dies ist vor allem bei Bestandsflachdächern wichtig, im Vorfeld durch einen Statiker überprüfen zu lassen.