Eine würdevolle und wunderschöne Idee, die der bildenden Kunst vorbehalten ist: Zusammen mit den Werken des verstorbenen Vaters eine gemeinsame Ausstellung gestalten. Der Breitbrunner Künstler und Kunsterzieher Thomas Barnstein zeigt noch dieses Wochenende im Bürgersaal Breitbrunn virtuose Zeichnungen und Grafiken seines Vaters und eigene Skulputuren, bei denen er hohes handwerkliches Geschick mit genialischen Perspektivspielen kombiniert. Er nennt das Dialog zwischen den Bildern seines Vaters uns seinen seinen Werken.

Thomas Barnstein wurde 1952 in München geboren und wuchs in Schwabing auf. Als er noch Grundschüler war, zogen seine Eltern nach Breitbrunn um – sein Vater hatte in der Zugspitzstraße ein Ferienhaus gebaut, das jetzt als neue Heimat diente. 2 Jahre lang besuchte Thomas die alte Dorfschule in der Schulstraße. Breitbrunn hatte noch einen eigenen Bürgermeister – das Dorf verdächtigte Herrsching großstädtischer Allüren. Vater Otto Barnstein arbeitete in einem grafischen Atelier am Elisabethplatz in München und fuhr jeden Tag mit dem Bus an den Hauptbahnhof. Eine S-Bahn war damals noch Science Fiction, und eine A 96 unvorstellbar. Der Bus schaffte die Strecke in 55 Minuten. Jeden Morgen um 6 Uhr hörten Nachbarn den alten Barnstein an die Bushaltestelle stiefeln – eine bewundernswerte Disziplinleistung, Otto hatte im Krieg ein Bein verloren. Vor dem Krieg schien dem gelernten Graveur eine sportliche Karriere zu gelingen, 1936, Hitler ließ sich gerade bei den Olympischen Spielen in Berlin feiern, wurde Otto Barnstein Deutscher Jugendmeister im 110-Hindernislauf. 6 Jahre später musste er nach der Kriegsverletzung und Oberschenkel-Amputation alle sportlichen Ambitionen begraben – jetzt mussten seine Hände den Hang zur Perfektion übernehmen. Otto begann neben seiner Brotarbeit zu zeichnen – sogar im Krieg zerbombte Häuser gaben ihm Motive.
Sein kleiner Sohn Thomas hat die väterliche Obsession am Küchentisch nachgeahmt. Noch heute weiß er, dass Rot seine Lieblingsfarbe war. Da Kunst meist von einem Gewerbe unterfüttert ist, weil man von Bildern allein nicht leben kann, hat Thomas später Erziehungs- und Kunstgeschichte studiert. Wie Alexander von Humboldt zog es dann nach Südamerika, wo sich sein künstlerischer Horizont weitete. Vielleicht war’s väterlicher Einfluss, aber Kopfarbeit war Thomas nicht genug, er machte in Landshut eine Töpferlehre und versuchte sich zwischendurch als Lehramtsanwärter. Im Museumspädagogischen Zentrum der Antikensammlung begann er schließlich seine Lehrtätigkeit, studierte später aber in der Keramikklasse der Kunstakademie weiter. Schließlich bestätigte ihm 1986 ein Diplom, dass er nun akademischer Künstler ist. Im Atelier in Haidhausen und auf der Praterinsel enstanden immer häufiger architektonische Plastiken, die sich mit den Urthemen der Architektur auseinandersetzten. Völlig neue Wege ging er auch mit keramischen Tonplatten, die als Grundmaterial für Skulturen dienten. Die Preise und Verkaufserfolge ließen nicht auf sich warten. So bekam er den Bayerishen Staatsförderpreis für junge Künstler und den Haus-der-Kunst-Preis. Seine Arbeiten erschienen zunehmend auch im öffentlichen Raum, zum Beispiel an der Realschule in Oberföhrung und im Schlosspark Horin in Tschechien. Da man von akademischen Ehren und von öffentlichen Aufträgen allein nicht leben kann, heuerte Thomas Barnstein an einer Rudolf-Steiner-Schule als Kunsterzieher an. 2018 zog Barnstein schließlich auf den Spuren seiner Eltern ganz in die Zugspitzstraße und baute sich in Breitbrunn ein Atelier aus. Weil Kunstfertigkeit eine zwingende Voraussetzung für eine Formen und Materialien ist, entstanden nicht nur faszinierende Arbeiten wie eine Arche Noah, sondern auch scheinbar kunstferne Exponate wie ein aus Haselnusszweigen und Zeitungspapier bestehendes Kanu. Das schwamm übrigens zuverlässig wie ein Kunststoffschiffchen.
Barnsteins Interessen gehen – siehe Kanu – weit über die Mauern seines Ateliers hinaus: Er ist Segler aus Leidenschaft, steuert einhand sein Finn Dinghi auch bei strammem Wind durch die kurze, steile Ammerseewelle und engagiert sich für Natur- und Baumschutz.
Alles aber ist vergänglich – auch die Kunst im öffentlichen Raum. So wurde seine Arbeit Artcircolo, die im Schlosspark Melnik in Tschechien stand, durch Vandalismus zerstört. Aber das kennt er ja aus Breitbrunn, wo Toilettenhäuschen zertrümmert (Gebrauchskunst) und Hähne bei nächtlichen Beachpartys enthauptet wurden.
