In bayerischen Archiven hat man ihr die Namen der „Euthanasie“-Opfer verweigert, in Baden-Württemberg gibt es sogar „Stolpersteine“ zum Gedenken an die Menschen, denen die Nazis das Lebensrecht abgesprochen hatten: Die Gemeindearchivarin Dr. Friederike Hellerer hat am Wochenende eine „schmerzhafte Ausstellung“ im Rathaus über die Morde an geistig oder körperlich behinderten Menschen gezeigt. In ihrem Einführungsvortrag berichtete Friederike Hellerer aber auch von Menschen, die mit ihrem scheinbar „abartigen“ Lebensstil ihr Lebensrecht „verwirkt“ hatten. So erwähnte sie den Breitbrunner Josef Bader, der ein fideler Kerl gewesen sei, aber leider auch gerne gezündelt habe. Er wurde zuerst zwangssterilisiert und fiel dann im österreichischen Hartheim der „industriellen Tötungsmaschine“ zum Opfer.
Der Kulturreferent des Gemeinderates, Hans-Hermann Weinen, so die Gemeindearchivarin zu Beginn ihres Vortrags, habe sie auf ein Publikum von 4, 5 Zuhörern im Rathaussaal vorbereitet. Tatsächlich war der Rathaussaal bis auf den letzten Platz besetzt, einige Zuhörer fanden nur noch einen Stehplatz. Das düstere Thema berührt die Herrschingerinnen und Herrschinger auch in düsteren Zeiten. „Nach meinen Forschungen gab es im Landkreis über 50 Opfer im Rahmen der sogenannten T4- und dezentralen Mordaktion. Ich habe bei meiner Forschung außerdem über 200 Zwangssterilisationsopfer gefunden. Dabei war die Zwangssterilisation nur ein erster Schritt. Es betraf körperlich und/oder geistig behinderte Menschen. Als „behindert“ galten bei den Nationalsozialisten auch Menschen, die blind, taub oder stumm waren. Und es betraf Menschen, die als „liederlich” bezeichnet wurden, zum Beispiel unverheiratete Frauen, die schwanger wurden, oder Frauen, die Kinder von 2 verschiedenen Männern bekamen. Auch solchen Frauen drohte die Zwangssterilisation.“
Das Grauen hatte einen geistigen Vater, der in Herrsching lebte: Alfred Ploetz bereitete mit seiner Rassenhygiene den Nährboden für die Beseitigung der „Ballast-Existenzen“, wie Behinderte bei den Nazis genannt wurden. „Man kriegt eine Gänsehaut, wenn man Sätze von Ploetz liest“, sagte Hellerer. In Fritz Lenz bekam der Herrschinger Arzt einen gelehrigen Schüler, der mit seiner „Menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ den Nazis geistig den Grifffel führte. Schon 1933 konnten die neuen Machthaber das fertige „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aus der Schublade ziehen – von einer perfiden Propaganda begleitet: „Ein Erbkranker kostet die Gesellschaft 60 000 Reichsmark.“ Diese Zahl, so Hellerer, war vollkommen aus der Luft gegriffen.
Breitbrunn mit seinem Kloster geriet schnell in den Fokus der Mörder. Der bekannte Autor vieler Heimatbücher, Robert Volkmann, zitierte in seinem Werk über Breitbrunn Schwester Norberta: „Am 7. Juni 1935 war der Bezirksarzt von Starnberg hier und prüfte die Insassen auf Erbkrankheiten. Einige mussten auf Grund des Gesetzes zur Sterilisierung in die Frauenklinik nach München.“ Am 19. November 1940 kamen dann die Busse und holten die „Ballast-Existenzen“ endgültig ab. Volkmann berichtet in seinem Buch, dass es den Schwestern gelungen sei, 70 Pflegebefohlene wieder zurückzuholen.
Die Vernichtungs-Aktionen hatte Hitler selbst 1939 mit dem Erlass vorbereitet, „unwertes Leben soll von seinen Leiden erlöst werden“. Diese Erlösung passierte dann in Gaskammern – wohl der „Testlauf“ für die industriellen Massentötungen in den Vernichtungslagern, wie Dr. Hellerer vermutet. „Die Menschen ahnten, was ihnen bevorstand, sie klammerten sich in ihrer Todesahnung voller Verzweiflung an ihre Pfleger“, hat die Historikerin bei ihren Forschungen herausgefunden. Die Angehörigen der ermordeten Menschen bekamen dann in bester deutscher Gründlichkeit Todesnachrichten, die eine erfundene Todesursache nannten. Eine Urne konnten sich die Angehörigen auf Wunsch schicken lassen.
In Andechs traf es Georg Birk, der Verbindungen zum Kloster hatte. Ein 22-Jähriger vom Wörthsee stand auf der Liste für die Zwangssteriliserung – er warf sich, bevor die Schergen kamen, vor den Zug.
Nach dem Vortrag fragte eine Zuhörerin, ob an eine Gedenkstätte für die Opfer im Landkreis gedacht sei. Das Landratsamt wolle, so Hellerer, auf der Website die Opfernamen veröffentlichen.
Die Gemeinde- und Kreisarchivarin hatte zu Beginn ihres Vortrags die Unterstützung von Altlandrat Karl Roth und von Landrat Stefan Frey für ihre Arbeit besonders hervorgehoben.