Am Montagmittag war der Quadratmeter Boden an der Ploetzstraße noch 1400 Euro wert, am Montagabend nach der Bauausschuss-Sitzung stieg der Bodenpreis mutmaßlich um 20 bis 40 Prozent.

Wertgewinn abschöpfen: Gemeinderäte fordern sozialen „Deal“ zwischen Rathaus und Bauherren

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Ganz geräuschlos verlief die erste Bauturbo-Zündung in Herrsching nicht: Der Bauausschuss der Seegemeinde hatte am Montagabend einen bestehenden Bebauungsplan mit der Abrissbirne beseitigt. Nutznießer ist zuerst einmal die Gemeinde selbst, die ihr eigenes Grundstück an der Ploetzstraße mit einem simplen Beschluss wertvoller machte. Sie vergrößerte auf dem 1325 großen Grundstück einfach das Baurecht – statt eines Doppelhauses sind nun zwei Doppelhäuser (also vier Häuser) erlaubt. Der Grundstückswert, bisher schätzungsweise 1,85 Millionen, dürfte sich dadurch auf weit über zwei Millionen gesteigert haben.

Was sich aber die Gemeinde selbst gestattet, muss sie natürlich auch den Nachbarn im Viertel Ploetzstraße-Adolf-Sturm-Straße erlauben. Die Eigentümer der benachbarten Grundstücke sind deshalb am Dienstagmorgen aufgewacht und um viele hunderttausend Euro reicher geworden. Soviel unverdientes Glück hat im Bauausschuss zu einem gewissen Unbehagen geführt. Grünen-Gemeinderat Gerd Mulert: „Ich finde, wenn wir für Herrsching mit der Hilfe des Bauturbos den Ertrag deutlich steigern können, dann sollten nicht im Schlepptau Privatpersonen in der Nachbarschaft daraus einen rein privaten Nutzen ziehen.“ 

Sind Bäume die großen Verlierer des Bauturbos?

Der FDP-Gemeinderat Puntsch nahm den Gedanken auf und erinnerte an die neuen gesetzlichen Möglichkeiten, 30 Prozent der Neubauwohnungen mit einer Sozialklausel zu versehen. Das sei nach neuem Recht mit einem städtebaulichen Vertrag zwischen Bauträger und Gemeinde möglich.

Und ausgerechnet ein weiterer Architekt hatte auch Bedenken: „Es handelt sich an der Ploetzstraße um einen rechtsgültigen Bebauungsplan, und die Frage ist jetzt, wie der  Baumbestand, der im Bebauungsplatz einen besonderen Schutzstatus hat, mit einer Nachverdichtung in Einklang zu bringen ist.“ Da wir keine Baumschutzverordnung haben, bringe ein Bebauungsplan einen gewissen Schutzstatus für den Baumbestand.  „Deshalb kann es sein, dass zusätzliches Baurecht mit im Bebauungsplan geschützten Bäumen kollidiert.“

Soziale Bindung: Keine Fraktion hat Bauchschmerzen

Im Bauausschuss war ein anderes Thema, das in den Kommentarspalten von herrsching.online heiß diskutiert wird, kein Thema. Die kinderlose Erblasserin hatte testamentarisch verfügt, dass die Gemeinde das Anwesen Ploetzstraße 6 erben solle. Der Erlös aber solle einem sozialen Zweck dienen. Die Gemeinderäte, die sich in diesem Herbst über einen extrem angespannten Haushalt beugen mussten, sehen offensichtlich kein Problem darin, den Erlös des Grundstücksverkaufs für die Sanierung der Kassenlage zu verwenden. „Im Hinblick auf die aktuelle Haushaltslage“ sei der Verkauf des Grundstücks zwingend erforderlich, ließ das Rathaus in der Bauausschuss-Sitzung verlauten.

Es gibt da augenscheinlich großes Einvernehmen zwischen allen Fraktionen des Gemeinderates. Grünen-Rat Mulert: „Unserer Gemeinde wurde das Grundstück in der Ploetzstraße mit einer klar ausgedrückten Bindung an eine soziale Verwendung geschenkt. Ich finde es daher im Grundsatz richtig, dass wir auch aus dem Geschenk einen möglichst hohen, finanziellen Nutzen für unsere Gemeinde und weniger begüterte Bürgerinnen und Bürger ziehen.“ 

Auch die Testamentsvollstreckerin, so war aus verschiedenen Quellen zu vernehmen, habe kein Problem damit. Die Gemeinde baue ja am Mitterweg 26 Wohnungen, die nach einem sozialen Kriterienkatalog vergeben werden. Das Geld aus dem Grundstücksverkauf Ploetzstraße allerdings kommt nur mittelbar diesem Objekt zugute, denn die Finanzierung des Mitterwegs ist längst in trockenen Tüchern.

Das Grundstück Oppelt an der Ploetzstraße ist 1325 Quadratmeter groß. Der aktuelle Bodenrichtwert liegt in dieser Lochschwaber Gegend bei 1400 Euro. Daraus ergäbe sich ein Grundstückswert von 1,85 Millionen Euro. Bei dem bestehenden Baurecht, das durch einen Bebauungsplan gedeckelt ist, wollte allerdings kein Bauträger zugreifen (erlaubt waren ein Stock und Dachgeschoss mit einer maximalen Grundfläche von 160 Quadratmetern).

Um das Grundstück im Wert hochzujazzen, hat der Bauauschuss nun das Baufenster weit aufgemacht. Möglich wurde das erst durch den kaum eineinhalb Monate alten „Bauturbo“, mit dem eine Gemeinde bestehende Bebauungspläne einfach ignorieren kann. Auf dem Grundstück dürfen nun also vier Doppelhaushälften von jeweils 160 Quadratmetern Grundfläche errichtet werden. Damit wird das Grundstück mutmaßlich über zwei Millionen Euro wert sein.

Wertgewinn abschöpfen

Aber nicht nur die Gemeinde, auch die umliegenden Anwesen zwischen Ploetz- und Adolf-Sturm-Straße sind Nutznießer dieser Baurechts-Vermehrung. Mulert hat wie sein Ratskollege Johannes Puntsch einen städtebaulichen Vertrag zwischen Gemeinde und Bauherrn im Auge – neudeutsch heißt das Deal: „Wir als Gemeinde investieren 100 Prozent von dem Wert unseres Grundstückes in einen sozialen Zweck. Ich meine, wir müssen daher auch den zwangsläufigen zusätzlichen Wertgewinn, der bei den Nachbarn durch die Baurechtsmehrung anfällt, abschöpfen und ebenfalls einem sozialen Zweck zuführen. Wenn das umgesetzt wird, zum Beispiel mit einem städtebaulichen Vertrag, bin ich auch für die Baurechtsmehrung nach dem Bauturbo.“ 

1 Comment

  1. Nun hat sich der Gemeinderat die Gewinnmaximierung und Erweiterung der Versiegelung der Natur auf dem ererbten Grundstück so zurechtgerückt, dass keinerlei schlechtes Gewissen mehr aufkommt. Auch die leere Gemeindekasse aufzufüllen dient jetzt einem sozialen Zweck, der ja von der Erblasserin verlangt wurde, heisst es.
    Oder wird der Vorschlag von Herrn Punsch realisiert, und die Gemeinde erlässt für
    30% der neuen Wohnfläche eine Sozialklausel ? Und schützt vielleicht sogar dazu noch einigen Baumbestand ?

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