Christiane Gruber will eine weitere Gentrifizierung in Herrsching verhindern. Die Buchhändlerin sitzt seit 2002 im Gemeinderat für die Bürgergemeinschaft. Foto: Jörg Reuther

„Wie verhindern wir, dass Herrsching zu einem gesichtslosen Vorort von München wird?“

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Das Wachstum in Herrsching ist an seine Grenzen gestoßen, glaubt Herrschings dienstälteste Gemeinderätin Christiane Gruber. Im Interview mit herrsching.online macht die Buchhändlerin deutlich, dass die Gemeinde nicht weiter wachsen kann, wenn sie ihr Gesicht bewahren will. Ständiger Zuzug und der Bau gehobener bis luxuriöser Eigentumswohnungen treiben die Mieten so stark, dass viele Familien nur mit doppelten Gehältern über die Runden kommen. Das Interview mit der BGH-Fraktionssprecherin erscheint in einer Gesprächsreihe, die herrsching.online mit Kommunalpolitikern aller im Gemeinderat vertretenen Parteien führen wird.

herrsching.online: Sie wollten eigentlich nicht mehr antreten – 24 Jahre im Gemeinderat schienen Ihnen genug zu sein. Nun doch ein Rückzug vom Rückzug. Warum?

Gruber: Die Aussicht, dass sich an der Spitze der Rathausverwaltung etwas ändert, hat mich bewogen, weiterzumachen. Außerdem will ich noch dabei sein, wenn eingeweiht wird, was wir einmal angeschoben haben. Zum Beispiel die Einweihung des Gemeindeprojekts Bezahlbares Wohnen.

herrsching.online: Glauben Sie daran, dass die Herausforderin eine Chance gegen einen Langzeitbürgermeister hat?

Wenn Frauen Frauen wählen würden…

Gruber: Wenn Frauen Frauen wählen würden, sähe ich gute Chancen. Das hat sich bei Frau Heene, die in der letzten Wahl gegen Schiller angetreten ist, nicht bewahrheitet. Dabei sind jetzt ein Blick über den Tellerrand und Kreativität notwendig gerade jetzt in der schwierigen Finanzlage, in der sich die Gemeinde befindet. Da ist es wichtig, dass jemand mit einem unverstellten Blick draufschaut. Es ist wichtig, dass sich jemand erklären lässt, wie wir die Dinge neu machen.

herrsching.online: Die CSU hat ja bei ihrer Entscheidung, den aktuellen Bürgermeister zu unterstützen, betont, dass es in stürmischen Zeiten einen erfahrenen Kapitän auf der Brücke brauche. Sind die Stürme hausgemacht, oder ist die Lage des Landes desolat?

Gruber: Die Sache mit der millionenschweren Rückzahlung von Gewerbesteuern ist über Herrsching hereingebrochen wie ein Unwetter.  Das ist einfach ein Hammer, dafür ist niemand in der Verwaltung verantwortlich.

„Das Rathaus hat keine Konzepte für die Zukunft“

herrsching.online: Sie kritisieren aber vermutlich andere Dinge in der Rathauspolitik?

Gruber: Ja, ich kritisiere, dass man keine Konzepte für die Zukunft hat. Wir können uns nicht ausruhen auf den Errungenschaften der Vergangenheit. Wir müssen jetzt die Prioritäten fürs nächste Jahrzehnt festlegen.

herrsching.online: Hat Herrsching genügend getan, um neue Gewerbesteuerquellen zu generieren?

Gruber: Ja, das glaube ich. Es gibt mit Frau Schneck im Rathaus eine gute Ansprechpartnerin. Dass wir einen stetigen Wechsel in den Ladengeschäften haben, ist sicherlich den Bodenpreisen und den daraus reslultierenden Ladenmieten geschuldet. Vielleicht sollten politisch Verantwortliche auf die Vermieter zugehen und um langfristige Mietverträge mit erschwinglichen Mieten werben.    

herrsching.online: Sind die Ladenmieten zu hoch in Herrsching?

Gruber: Wenn man die Mieten für eine Buchhandlung im fränkischen Raum und unsere Mieten vergleicht, dann muss man das bejahen. 

herrsching.online: Wird im Herrschinger Rathaus mehr verwaltet als gestaltet?

Der Bürger sollte früh beteiligt werden

Gruber: Zweifellos braucht es mehr Kreativität – und mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Kommunalpolitik, Beispiel Seepromenade, Beispiel Bahnhof. Wenn öffentliche Mittel für solche Projekte fehlen, könnte man ja die Bürger möglichst früh einbinden und dann auch beteiligen.

herrsching.online: Wenn Sie das Fehlen von Zukunftsperspektiven beklagen, haben Sie mit Ihrer Bürgergemeinschaft konkrete Visionen, wie sich Herrsching weiter entwickeln sollte?

Welche Entwicklungsgrenzen müssen wir setzen?

Gruber: Hinter dem Stichwort Weiterentwicklung würde ich mal ein Fragezeichen machen. Angesichts des neuen Bauturbos aus Berlin müssten wir uns überlegen, welche Grenzen der Entwicklung wir setzen können. Zum Beispiel, wieviel Einwohner Herrsching überhaupt verträgt, und ob wir nicht mit 11 000 Einwohnern schon ausentwickelt sind. Schließlich muss die Gemeinde ja die nötige Infrastruktur schaffen. Es geht um Kindergärten, Schulplätze und Alterspflegeplätze.

herrsching.online: Heißt das, dass Herrsching das Wachstum begrenzen sollte?

Gruber: Ich würde das Wachstum in Herrsching begrenzen wollen.

herrsching.online: Sind die hohen Mietpreise nicht schon eine perfekte Wachstumsbremse?

Gruber: Offensichtlich ist die nicht wirkungsvoll genug. Durch die Seelage und die Nähe zu München bietet Herrsching ein attraktives Umfeld. Und Leute aus der ganzen Republik legen den Finger auf die Landkarte und sagen: Da möchte ich einmal leben. Wer sich’s leisten kann, der zieht dann nach Herrsching.

herrsching.online: Und beschleunigt damit den Gentrifizierungsprozess.

Gruber: Ja. Wir haben zwar auch viele junge Familien in Herrsching, aber da müssen Mann und Frau Vollzeit arbeiten, um sich Herrsching leisten zu können. Man sieht es auch beim ehrenamtlichen Engagement in Herrsching. Es gibt nicht mehr so viele Menschen, die es sich zeitlich leisten können, mit Kindern einen Bastelnachmittag wahrzunehmen.

herrsching.online: Kürzlich erzählte uns eine Mutter mit zwei Kindern, dass die Familie ihre ganzen Ersparnisse aufgebraucht habe, als sie wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten konnte.

Gruber: Ja, das ist kein Einzelfall. Wir müssen uns neben der Begrenzung des  Wachstums überlegen, wie wir den Lebensstandard für die Bürger, die schon in Herrsching leben, halten oder gar steigern können. Das Ziel heißt klar: Wie verhindern wir, dass wir zu einem gesichtslosen Vorort von München werden?

herrsching.online: Die Entwicklung ist doch schon in vollem Gange. Schauen wir zum Beispiel in die Fischergasse, in die Seestraße, in die Kientalstraße oder in die Schönbichlstraße. Überall wird auf Kosten von Bäumen und Gärten gebaut, was das Baurecht hergibt. 

Gruber: Das ist ja nicht nur ein Herrschinger Phänomen. Diese Entwicklung ist auch den Veränderungen im Baurecht geschuldet. Wir haben im Gemeinderat durchgesetzt, dass die neue Abstandsflächensatzung nur im Ortskern gilt. Die Hoffnung bleibt, dass wir Widdersberg, Rausch, Breitbrunn, aber auch Wartaweil in der gewohnten Qualität erhalten können.  Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir möglichst viel Grün am Bau ermöglichen.  

herrsching.online: In vielen Bauausschuss-Sitzungen haben wir erlebt, dass Sie strikt gegen exzessives Bauen stimmten und – wie es eine Gemeinderatskandidatin formulierte – den Finger in die Wunde legten. Welche gestalterischen Möglichkeiten haben Sie im Bau- und Kommunalrecht?

Sind Baupläne die letzte Hoffnung gegen den Turbo?

Gruber: Es gilt nun mal, dass alles, was da ist, auch als Referenz möglich ist bei Neubauten. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass wir trotz Bauturbo bestehende Bebauungspläne nicht ohne Grund aussetzen. Die regeln nämlich noch viele Dinge mehr als die Kubatur.  

herrsching.online: Immerhin haben Sie mit ihrer Fraktion und der Unterstützung einiger Grüner verhindert, dass bestehende Bebauungspläne gekippt werden.

Gruber: Diese Bebauungspläne westlich der Schönbichlstraße sind funktional gut. Und sie verhindern auch, dass die Qualität der Wohnlagen verschlechtert wird.  Konkretes Beispiel: Je großer ein Bau wird, desto größer ist auch die Verschattung des Hauses auf dem Nachbargrundstück.

herrsching.online: Was nützt ein Bebauungsplan, wenn sich die Gemeinde nicht mehr an bestehende Bebauungspläne halten muss.

Gruber:  Muss nicht, aber sie kann.  Da geht es um die Begründung. Wenn ein Anwohner vier Geschosse hat, dann darf der Nachbar eben auch nur vier Geschosse hoch bauen, weil sich sechs Geschosse nicht in die Eigenart der Bebauung einfügen. Immerhin kann eine Zustimmung der Gemeinde nicht mehr vom Landratsamt ersetzt werden. Deshalb wird es sehr spannend, auf welche Bereiche wir uns einigen können. Der Gemeinderat wird sich damit in einer Klausur im Januar befassen. 

herrsching.online: Das wird vermutlich keine Harmonieveranstaltung werden, weil Parteien wie die CSU eher für eine Liberalisierung stimmen, während BGH und Grüne größere gestalterische Eingriffe befürworten?

Gruber: Ich spreche der CSU nicht ab, dass sie einem Bauwerber einfach ein Dachgeschoss oder ein zweites Haus auf dem Grundstück für die Kinder ermöglichen will. Wenn es aber darum geht, den letzten Quadratmeter zu bebauen, um den teuren Grund möglichst optimal auszunutzen, sage ich: Wir können nicht nur wirtschaftlichen Erwägungen folgen.

herrsching.online: Wenn es gilt, ein Grundstück mit der maximal möglichen Kubatur zu bebauen, hilft gerne auch das Landratsamt, das nach unserer Beobachtung immer großzügiger bei den Genehmigung ist. Sehen Sie das auch so?

Gruber: Das ist oft auch dem Personalmangel im Landratsamt geschuldet. Die Devise heißt: Ja keinen Rechtsstreit provozieren, weil das wieder Personal bindet, das wir anderweitig brauchen. Außerdem kosten Rechtsstreitigkeiten möglicherweise Geld, das der Kreis nicht mehr hat. 

herrsching.online: Spielt da nicht auch eine Rolle, dass die Regierung möglichst viele Neubauten möglich machen will?

Die Baujuristen haben keine Zeit mehr, die Lage vor Ort zu checken

Gruber: Das spielt sicher auch eine Rolle. Aber wie gesagt, die Baujuristen im Landratsamt haben nicht mehr die Zeit, vor Ort mal mit eigenen Augen zu besichtigen, wie sich ein möglicher Bau in die Umgebung einfügen würde. Ich habe das Gefühl, dass die Entscheider nur noch Google Earth als Entscheidungshilfe benutzen. Aber man darf das Ortsbild nicht in Laissez-Faire-Manier vernachlässigen.

herrsching.online: Wird das Ortsbild eines der Wahlkampfthemen werden?

Gruber: Wir wollen auf jeden Fall eine größere Bürgerbeteiligung durchsetzen, gerade bei so teuren Projekten wie der Seepromenade. Je stärker wir die Leute einbringen in die Entscheidungsprozesse, desto größer ist die Akzeptanz hinterher.  Das gilt auch für den Bereich um den Bahnhof. 

herrsching.online: Glauben Sie, dass die BGH-Fraktion im neuen Gemeinderat stärker wird?

Gruber: Wir hoffen, dass wir einen zusätzlichen Sitz gewinnen. Unsere Liste bietet übrigens elf Frauen, die CSU hat nur fünf Frauen als Kandidatinnen ins Rennen geschickt. Und die Bürgerbeteiligung haben wir längst etabliert: Bei den monatlichen Mitgliederversammlungen besprechen wir die Gemeinderatsthemen, und an diesen Treffen dürfen natürlich auch alle Unterstützer der Bürgergemeinschaft teilnehmen. Das hilft mir dann auch bei der Argumentation im Gemeinderat, weil bei uns ein breites Spektrum an Bürgerinnen und Bürgern zu Wort kommt.

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